Jan Delay (Rosengarten Mannheim, 2007)
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Jan Delay (Rosengarten Mannheim, 2007) Fotos: Jonathan Kloß © regioactive.de

Auf dem Planeten Cajun könnte es nicht wilder abgehen. Jan Delay verrät uns lieber ganz relaxt mehr zu seinen Lieblingssongs und Sutton Hoo zeigen uns, wie hoch die Messlatte für Newcomer hängt. Shooting John sind schon wieder solch moderne Schweden, die uns durch ihre Eigenständigkeit überzeugen. In ganz andere Zeiten verführt uns das neue Album von John Q. Irritated.

Jan Delay Compilation – Pop Portrait | Pias

{image}Mit der über Pias veröffentlichten Kompilationsreihe Pop Portrait würdigen etablierte Musiker ihre deutschsprachigen Wegbereiter und -begleiter. Zum Auftakt der Serie portraitiert Beginner Jan "Eißfeldt" Delay 18 seiner Lieblings-Tracks. Alpha und Omega des Samplers bildet – welch Überraschung – kein geringerer als Udo Lindenberg, der als einziger Künstler mit Commander Superfinger und Radio Song gleich doppelt vertreten ist. "Meines Erachtens hat Udo nicht nur die Tür für authentische deutschsprachige Musik aufgemacht, sondern das ganze Haus gebaut, die Tür eingesetzt und dann aufgestoßen", begründet Jan seine Wahl. Wer nun für den Rest der Spielzeit ein Stelldichein des Who’s Who der hiesigen HipHop-Szene erwartet, befindet sich auf dem Irrweg. Außer den obligatorischen Meilensteinen Fenster Zum Hof von den Stieber Twins und Kapitel I von Torch, teilen sich nur Dynamite Deluxe mit Deluxe Soundsystem, Freundeskreis mit Telefonterror und Der Tobi & Das Bo mit Is Mir Egal jeweils einen der raren Plätze in Jans ganz persönlicher Top of the Pops-Liste. Eine interessante Klangfarbe bekommt die Zusammenstellung durch die bunte Mixtur an unterschiedlichsten Genres, bei der unter anderem Falcos Synthie-Pop mit Ösi-Charme auf Mias Elektro-Pop aus Berlin trifft, die sommerliche Seeed-Fraktion auf das melancholisch durchzogene Ohne Dich von Selig stößt oder sich die Beatsteaks und Die Goldenen Zitronen begegnen. Während die CD in musikalischer Hinsicht vielfältiger nicht sein könnte, verbindet die einzelnen Künstler am Ende doch eine gleichgesinnte Attitüde, die sich durch einen stets politisch motivierten Hintergrund oder explizite Gesellschaftskritik im Inhalt ausprägt. Einzig die ehemalige Schülerband Echt fällt in der Auswahl etwas aus dem Rahmen und zu Recht stellt sich die Frage, wieso sich Hamburgs bekanntester Nasalist nicht für die kantigere Originalversion von Rio Reiser entschieden hat. Insgesamt ein sehr gelungener Einstand für die Reihe Pop Portrait, die nicht nur Jan Delays Fans anspricht, sondern gleichfalls einen schönen Überblick über die Entwicklung deutschsprachiger Popmusik gibt. Man darf auf den zweiten Sampler gespannt sein, der von Tocotronic portraitiert wird.

Wertung: ++++ (Andreas Margara)

 

Cajus – Planet Cajun | Flow 'n Flava (Interscope)

{image}Nach beachtlichen fünf gemeinsamen Alben arbeiten die fünf Bandkollegen von Blumentopf inzwischen verstärkt an ihren Soloprojekten. DJ Sepalot hat bereits mit einem klassischen DJ-Album vorgelegt, Schu hat sich in die Kollaboration mit Janna vertieft, Roger hat sich als Backpacker offenbart und mit Planet Cajun ist nun auch das erste komplette Soloalbum von Cajus fertig. Zusammengetan hat sich Cajus aka Heinemann aka Master P dafür mit dem Produzenten Buba Stylez, um eine urban-elektrisierte Novität zu kreieren. Der galaktische Rahmen bedeutet dabei weniger, dass Cajus mittlerweile abgehoben ist, sondern vielmehr, dass er den Hörer auf eine Entdeckungsreise einladen möchte. Auf dem Planeten Cajun kann man Cajus pur und unverfälscht erleben und den Menschen hinter dem Rapper besser kennenlernen. Und genau das sticht auch gleich nach den ersten Reimzeilen heraus: das Album ist weitaus persönlicher und individueller, als das im Reimquartett auf einem Topf-Album zu verwirklichen wäre. Die Beats sind unkonventionell und legen den Schwerpunkt deutlich auf eine experimentellere Synthie-Schiene, als auf das im Rap gebräuchliche Sample-Fundament. Während sich Cajus flowtechnisch im erquickend jugendlich-frischen Tempo über die Rhythmusschläge bewegt, spricht er thematisch eine reifere Zielgruppe an. Überhaupt hebt sich das Album mit den futuristischen Klängen und erwachsenem Gedankengut (z.B. Kinderwunsch) deutlich von den gegenwärtigen deutschen HipHop-Releases ab. Cajus präsentiert sich im Raumanzug wesentlich kompromissloser und wird mit seinem anorganischen Sound wohl für eine gespaltene Zuhörerschaft sorgen. Als rappende Gäste befinden sich auf Planet Cajun nur Minute von der Münchner Crew Vierzueins und Orange Son. Interessante Scheibe!     

Wertung: +++ (Andreas Margara)

 

Shooting John – Happiness +/- | Marilyn Records

{image}"I waited long for a release, for a stranger land/to be expressed, quite perfectly by steady hands". Bereits seit einigen Jahren beweist die schwedische Musikszene eine Vielschichtigkeit, wie sie selten anzutreffen ist. Jeder Künstler, jede Band hat ihren unverkennbaren Sound. Das kann man auch bei Shooting John und ihrem Zweitlingstwerk Happiness +/- sehen. Nordische Melancholie ohne Traurigkeit, Schatten mit Licht, all das findet sich hier wieder. Es treffen sich typische Americana-Sounds und eine Melange aus Folk, Indie, Rock und Pop. So ist es auch wenig verwunderlich, dass ein Synthesizer, ebenso wie Gitarre, Bass und Schlagzeug, zum festen Instrumentarium gehört. Wie der Albumtitel bereits verrät, werden die guten und schlechten Zeiten des Lebens thematisiert. Dies schlägt sich nicht nur in den Texten nieder. Auch die Musik ist davon durchzogen. Düsteres Moll neben "strahlenden" Stimmen des Sängers Peder Gravlund und im Hintergrund durch Helena Arlock. Besonders beeindruckend ist der Songs Artist’s Dilemma, der die Zweifel, Ängste und Höhenflüge eines Künstlers beschreibt. Die tiefe, leicht rauchige Stimme Peder Gravlunds trägt die schweren Harmonien und fügt sie zu einem Ganzen. Die Worte scheinen Gravlund häufig schwer über die Lippen zu kommen, die Stimme bricht beinahe ab. Dabei ist sie weich und sanft. Ein Widerspruch? Die zweite Stimme Helena Arlocks und die klaren Gitarrenklänge verheißen Hoffnung. Doch dann, der Gesang setzt aus und die Gitarre schreit und windet sich. Der Song klingt schließlich zu zarten Klavierklängen aus. Wunderbar! Das Album ist im Vergleich zum Vorgänger Moodwsings "erwachsener", wenn man dieses Wort bemühen möchte. Bei Moodswings experimentierten die sechs Musiker noch mit mehreren Musikstilen, wie Folk, Jazz, Americana und Country. Americana und Folk sind geblieben und man hat das Gefühl, dass Gravlund und seine Band ihren Sound nun vollkommen entdeckt haben und es bleibt zu hoffen, dass dies auch so bleibt.

Wertung: +++ (Sarina Pfiffi) 

 

Sutton Hoo – just a matter of time EP | unsigned

{image}Die Karlsruher Rocker und Sieger des SWR-DASDING Newcomer-Contest Sutton Hoo wissen, wie das Genre funktioniert: wahlweise fetzige Gitarrenriffs oder auch mal leise, dabei doch immer dreckig und direkt. Mitreißende Rhythmen, eingängige Melodien und leidenschaftlicher Gesang. Mit diesen Mitteln erreichen sie eine Art Suchtfaktor und mit ihrem zweiten Album gibt die 2002 gegründete Band alles, um ihr Ziel zu erreichen. Für ihre gerade mal 5 Tracks ist die kurze Scheibe enorm abwechslungsreich. So wird bei to make or to measure ordentlich mit dem Fuß gewippt. Die Nummer ist schnell und rockig, mit einer vorstechenden Orgel. Der zweite Track hey! ist gleich wieder tanzbar. Dabei werden auch Jet-Anleihen deutlich. Mit see myself gibt es hingegen einen krassen Kontrast. Die ruhige Art entspannt den Hörer und lädt zum Träumen ein. Das kann man wiederum über yes i know nicht sagen. Auch hier sind die Beine in Bewegung, der Refrain ist eingängig und der Schluss des nach Franz Ferdinand klingenden Songs wird mit einem kräftigen Orgelpart eingeläutet. Der krönende Abschluss der Platte bleibt dem wieder etwas gedrosseltem just a matter of time vorbehalten. Ganz klar eine absolute Empfehlung, vielleicht an einigen Stellen nicht übermäßig innovativ, aber weit mehr als solide!

Wertung: ++++ (Björn Reinhard)

 

John Q. Irritated – 5 days of flat water | Hazelwood (Indigo)

{image}Wenn auf einer aktuellen Veröffentlichung eines dieser alten Stereozeichen prangt und dieses dazu auch noch mit dem Untertitel "the sound that makes you swing" verziert ist, dann kann man schon grob erahnen, welche Musik sich im Inneren dieser Hülle befindet. Die Rede ist hier von 5 days of flat water, der neuen CD von John Q Irritated, einem Trio, das mit dem Retrosound der 50er Jahre kokketiert. Das dieser zur Zeit beim Hörer hoch in Kurs steht, kommt auch dieser Platte zugute, die Band ist dabei aber nicht auf fahrende Züge aufgesprungen – John Q beschreiten ihren musikalischen Weg schon deutlich länger, als es Amy Winehouse und Konsorten überhaupt gibt. Auch das jetzige Album bleibt durch eine Mischung aus Rock'n'Roll, Country, Boogie, Swing und einem Schuss Beat linientreu. Derlei klingt an sich schon außergewöhnlich, der wahre Clou versteckt sich aber in der Produktionsgestaltung: Uralte Studiotechnik muss im Einsatz gewesen sein, um den Sound derart alt und kaputt zu kriegen – schwammige Mitten, kratzige Höhen, indifferent schnarriger Gesang. Was jetzt negativ klingt, ist im Gegenteil als Lob zu verstehen, denn die Aufnahme klingt, als hätte man sie 1956 in den Sun Studios vom Stapel gelassen. Für heutige Ohren ist das gewöhnungsbedürftigt, dafür aber mit einem Flair gesegnet, den keine moderne Produktion in dieser Form bieten kann. Dazu gesellen sich als Gastmusiker fantastische Bläser, die so eng, so scharf und so attack-lastig spielen, dass man jargongerecht von einer "Wand" sprechen möchte. Vor allem Quit Runnin' spricht da Bände und steht durch seine treibende Kraft schon fast im Kontrast zu Nummern wie Mr. Vertigo, das irgendwie das Titelthema eines schmierigen Italowestern sein könnte. Absolut hörenswert auch die charmante Hommage des vierten Liedes Travel, an den Richard Berry Song Have love, will travel, die aber wohl eher mit einem Augenzwinkern in Richtung The Sonics gemeint ist.

Alles in allem betrachtet ein amtliches Werk, eine Amy Winehouse wird man damit wohl trotzdem nicht vom Thron stoßen: Die größte Schwachstelle des Albums offenbart sich ausgerechnet beim gleichnamigen Titelstück. So genial der Sound, so spritzig der Flair, so schmerzlich die schwache Dynamik: Was letzlich fehlt ist der entscheidende Akzent, der zündende Gedanke – die Lieder klingen wie korsagiert, mit dem starken aber vergeblichen Drang zum Ausbruch. Das Album bleibt ein Höhepunkt ohne eigene Höhepunkte und ist daher nicht für jedermann, sondern vor allem den Fans des Genres zu empfehlen. Diesen sei die Platte wärmstens ans Herz gelegt, alle anderen werden sich in John Q.'s Universum nur schwer zurecht finden.

Wertung: ++ (Julius Reich)

 

 

So werten wir:

+

schnell auf ebay damit, bevor es jemand merkt

++

hier mangelt es an so einigen Ecken und Enden

+++

das kann sich wirklich hören lassen

++++

ein TOP-Album

+++++

Hiermit wird Musikgeschichte geschrieben

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aufgelegt jan delay cajus sutton hoo