Aufbau Bon Jovi in Hamburg
Foto: Markus Sorger

Aufbau Bon Jovi in Hamburg Foto: Markus Sorger © www.tour-blog.de

Markus Sorger ist Experte auf dem Gebiet der Veranstaltungs-, insbesondere der Bühnen- und Tontechnik, sein Weblog ein Tourtagebuch des Technischen Leiters. Immer wieder berichtet er, oft mit Fotos, aus dieser Welt hinter den Bühnen und vor den Konzerten: Bon Jovi auf Schalke, Annett Louisan überall, Max Raabe u.v.a.. Tourleben aus einem Blickwinkel, in den es selten Einblick gibt. Er erzählte uns nicht nur darüber viel Wissenswertes, sondern gibt in diesem Interview auch hilfreiche Tipps für Musiker.

{image}Markus Sorger ist in der Blogosphäre als "Tour-Blogger" bekannt und geschätzt. Er selbst spricht von "nicht immer ernstzunehmenden und vor allem privaten Gedanken über den Alltag in der Veranstaltungsbranche".

Hallo Markus. Wie war dein Werdegang in dieses Business? Man kommt ja kaum von heute auf morgen dazu, bei solchen Top-Events verantwortlich tätig zu sein, wie du es bist. Hast du eine Ausbildung zum Tontechniker gemacht? Oder bist du Quereinsteiger?

Als ich anfing, mich mit Tontechnik zu beschäftigen, gab es für Radio-, Fernseh- und Studioleute zwar das Studium zum Toningenieur und für die "Klassiker" den Tonmeister, aber ansonsten keine geregelte Ausbildung. In Zeiten des klassischen Rock'n'Roll kam man nur mit learning by doing weiter. Ich selbst habe mit 12 Jahren mein erstes kleines Mischpult nach einer Elektor-Bauanleitung zusammengelötet und mich dann später, neben dem anfänglichen Hauptberuf Optiker, immer weiter nach oben gewurschtelt.

{image}"Nach oben gewurschtelt" – wie darf man sich das denn vorstellen?

Da läuft ganz viel über Mundpropaganda. Die erste Schülerband war mit meiner Arbeit zufrieden, empfahl mich einer zweiten, die kannte dann eine Tanzkapelle und die wiederum die "lokalen Helden". Dann darf man nicht vergessen, dass ich gewissermaßen aus der Kirchenmusik komme. Auch hier gab es zahlreiche Kontakte, die mir weitergeholfen haben. So hatte ich bereits mit Mitte 20 die Gelegenheit, als technischer Leiter bei einer großen Pfadfinderveranstaltung mit zwei großen Bühnen zu arbeiten. Und bei jedem Job lernt man ja neue potentielle Kunden kennen.

Wie unterscheiden sich die Groß-Events von den kleinen Club-Veranstaltungen im Ablauf? Deinem Blog ist zu entnehmen, dass bereits lange im Vorfeld gemeinsam mit Architekten und anderen geplant, an Modellen gebaut und Pläne geschmiedet werden.

Ein Clubgig ist ganz einfach: die Band kommt mit ihrer Backline und eventuell einigen wenigen "Specials", die Technik ist fest im Club eingebaut. Die Vorbereitung ist recht einfach und schnell, da man nur abgleichen muss, was im Club vorhanden ist und was – so es der Etat zulässt – zugemietet werden muss. Bei einer Hallentour mit Tourtechnik ist es schon etwas aufwendiger. Hier muss man sich tatsächlich schon im Vorfeld Gedanken über das Bühnendesign machen, die Technik und den Transport buchen, sowie überprüfen, ob auch alles in die Hallen passt, in denen man spielt.

Bei Openairs kommt neben vielen Behördengängen noch hinzu, dass man sich die komplette Infrastruktur (Bühne, Garderoben, Strom, Wasser/Abwasser, Gastronomie, Parkplätze usw.) erst bauen muss. Wie aufwendig die Planung ist, hängt auch ganz stark vom jeweiligen Künstler ab. Der eine stellt sich einfach auf die Bühne, spielt und legt keinen Wert auf das Drumherum; der andere plant eine ausgetüftelte Show. In diesem Fall vergehen oft Monate, in denen Skizzen, 3D-Renderings und Modelle erstellt werden und bei Bauten auch Baubücher für die Behörden erstellt werden müssen. Während man vor 20 Jahren einfach mal baute und sich auf Behördenseite eigentlich niemand dafür ernsthaft interessierte, muss heute alles den Vorschriften entsprechen — was zwar manchmal lästig, aber oft schon berechtigt ist.

{image}Bleiben viele Behördengänge tatsächlich bei dir hängen? Welche Angelegenheiten gilt es da zu regeln?

Als Produktionsleiter ist man derjenige, der hauptverantwortlich alles mit den Behörden regelt. Gerade bei Openairs. Neben der Ausführung der Bühne und der Deko mit allen statischen Gesichtspunkten ist man beispielsweise auch für die Fluchtwegsplanung verantwortlich. Dann muss sichergestellt werden, dass es nicht zu laut wird, dass die Verkehrsanbindung klappt, es genug Toiletten gibt. Bei normalen Hallen- und Clubkonzerten kann man sich auf die örtlichen Infrastrukturen verlassen. Aber bei allem was draußen oder in nicht erschlossenen Sonderlocations stattfindet, ist man Wochen mit den Behördengängen beschäftigt.

Wie bist du auf die Idee gekommen, deinen Tour-Blog zu schreiben?

Ein Freund, der schon länger blogte, bequatschte mich regelmäßig. Und auch meine Tochter wollte mehr von meinem Alltag hören. Damals fing ich eigentlich an, um für mein persönliches Umfeld zu schreiben. Mittlerweile lesen ihn viel mehr Menschen, als ich es je gedacht hätte.

Lesen viele Kollegen oder sogar auch Auftraggeber deinen Blog?

Es gibt tatsächlich einige Kollegen, Hallenmitarbeiter und auch Kunden, die regelmäßig lesen. Interessant ist, dass gerade von denen die Reaktionen nicht als Kommentar, sondern als Email eintrudeln.

Was vermutest du, warum dem so ist? Wenig Erfahrung mit Blogs oder wollen sie nicht öffentlich sein?

Mal abgesehen davon, dass vielen Menschen Blogs suspekt, zu exhibitionistisch sind, so sind wir doch in unserem Beruf eher darauf getrimmt, schön im Hintergrund zu bleiben und andere schimmern zu lassen. Das mag mit eine Rolle spielen.

{image}Gibt es bei den großen Events auch Feedback direkt von Künstlern? Ist dir das überhaupt wichtig?

Natürlich ist mir wichtig, dass die Künstler sich auf der Bühne wohlfühlen und optimal ihre Arbeit machen können. Wenn ich das nicht erreichen kann, dann ist das frustrierend. Natürlich will man auch, dass es dem Publikum gefällt, aber zu den Leuten auf der Bühne hat man den direkten Zugang, mit denen sitzt man doch auch oft noch zusammen und trinkt ein Bier.

Bei großen, internationalen Stars hat man dann manchmal weniger direkten Kontakt, wobei auch das sehr vom jeweiligen Künstler abhängt. Aber auch dort möchte ich natürlich, dass sie mit meiner Arbeit zufrieden sind, damit ich wieder gebucht werde. Künstlerfeedback im Blog gibt es manchmal auch. Da allerdings bisher nie mit Klarnamen, sondern mit Pseudonymen.

Und anders herum, zu dem "Feedback", das du selbst via deinem Blog gibst: Du schreibst, dass es mittlerweile sehr oft eine Klausel in den Verträgen gibt, die dich zur Schweigepflicht über das jeweilige Event verpflichten: Was denkst du darüber und inwiefern ist sie angebracht, inwiefern völlig überflüssig?

Schweigeverpflichtungen gibt es bei Industriejobs. Das sind interne Veranstaltungen von Firmen. Weite Teile der Verpflichtungen kann ich gut verstehen. Wenn beispielsweise ein international agierender Elektronikkonzern intern Forschungsergebnisse diskutiert, dann will er sie nicht am nächsten Tag der Konkurrenz präsentiert wissen. Manchmal gehen solche Verträge aber in meinen Augen auch zu weit. Das hat dann den Geschmack eines Geheimdienstfilms: "Sie haben mich nie gesehen."

Dass ich bei Tourneen nicht aus dem Privatleben meiner Künstler plaudere versteht sich von selbst. Ich halte mein Privatleben ja auch weitgehend aus meinem Blog heraus.

Hast du schon mal einen Job von vorneherein abgelehnt oder mittendrin geschmissen, vielleicht sogar gerade wegen solcher oder anderen schwierigen Auflagen?

Natürlich gibt es Jobs, die ich nicht annehme. Sei es, dass ich für einen bestimmten Veranstalter einfach nicht mehr arbeiten will, sei es, dass mich ein Thema absolut nicht interessiert. Oben genannte Auflagen würden mich allerdings nicht schrecken. Geschmissen habe ich erst einen Job, denn das ging menschlich einfach gar nicht mehr. Ansonsten bin ich der Meinung, dass man Zusagen einhalten muss und das heißt, dass ich einen Job zu Ende bringe, egal wie er ist.

Kommen wir mal zu dem, was du den Musikern auf unserem Portal eventuell an Tipps geben kannst: Was z.B. sind denn deiner Ansicht nach die größten Missverständnisse, die es zwischen Technikern und Musikern gibt?

Die größten Missverständnisse entstehen immer dann, wenn man nicht miteinander spricht. Ich finde es elementar, dass man vor einem Job alles mal durchgeht. Oft hat der eine ganz andere Erfahrungen gemacht als der andere, jeder nimmt seine Erfahrung als Selbstverständlichkeit und schon kommt am Konzerttag schlechte Stimmung auf.

Als Techniker bekommt man oft keine vernünftigen Kontaktdaten zu den Künstlern, darum auch als Band ruhig mal bei den Technikern anrufen, wenn man eine Nummer hat. Dabei aber bitte gewisse Hackordnungen einhalten. Konzerte sind streng hierarchisch organisiert. Für die Musiker ist erstmal eher der Technische Leiter Ansprechpartner, als beispielsweise direkt der Monitormann.

{image}Was ist denn so das typischste Missverständnis, das du wegen mangelnder Kommunikation oft erlebst?

DAS Missverständnis an sich gibt es nicht. In kleineren Clubs ist vielleicht die Zahl der Monitorwege begrenzt, die zudem noch aus der Front gefahren werden. In einem anderen Fall kann der Soundcheck zum Beispiel erst ganz kurz vor dem Konzert stattfinden und muss dementsprechend gut vorbereitet werden. Oder die Techniker verlassen sich darauf, dass alle Klinkenkabel durch die Musiker gestellt werden, die Musiker verlassen sich auf die Techniker. Manchmal gibt es auch eine Vorband, oder die Besetzung hat sich verändert. Da ist es dann praktisch, wenn das auch alle Beteiligten wissen.

Was ist das schlechteste, das Musiker machen können in Bezug auf die Live-Technik(er) vor Ort? Was nervt dich persönlich? Und welche Tipps lassen sich daraus ableiten, gibt es ein paar unverzichtbare DOs und DON’Ts, die du uns nennen kannst?

Das Schlechteste, das man machen kann: auf der Baustelle aufkreuzen und den allwissenden, coolen, unnahbaren Macker mimen. Das kommt vielleicht bei einer bestimmten Gruppe Frauen gut an, aber ansonsten ist das eher ein Eigentor, weil dann die Kollegen vor Ort ganz schnell keine Lust mehr haben und nur noch Dienst nach Vorschrift abliefern. Sehr ungern gesehen ist auch nachlässiger Umgang mit Material, denn das Zeug kostet ja Geld. Wenn dann beispielsweise ein Sänger das Frontgitter der Wedges (Monitorlautsprecher) verbeult, weil er sich ständig draufstellt, dann will man das nicht sehen.

Bei Sängern fällt mir noch auf, dass das oft diejenigen sind, die sich am wenigsten mit ihrem Instrument und der Technik dazu auseinandersetzen. Viel zu wenige arbeiten ganz bewusst klangformend mit dem Mikrofon und einige haben sich nie darüber Gedanken gemacht, wie so ein Mikro überhaupt funktioniert. Beispielsweise ist es jenseits von Playbackshows tödlich, wenn man die Mikrokapsel zuhält. Das mag zwar cool aussehen, führt aber gerade auf kleineren Bühnen ganz schnell zu bösen Feedbacks.

Recht ärgerlich sind auch Gitarristen, die ihre Amps auf der Bühne so laut drehen, dass man in kleineren Clubs nicht mal ansatzweise die Chance hat, einen gescheiten Sound für das Publikum hinzubekommen. Ich weiß, der Amp klingt erst so richtig geil, wenn er auf 11 steht. Aber wenn dadurch alles andere nicht mehr zu hören ist, dann ist das für die Gesamtband nicht förderlich. Gleiches gilt für Schlagzeuger, die leider vergessen, daß sie nicht vor 10.000, sondern nur vor 50 Leuten spielen.

Das sind ja einige Dont's. Vielleicht hast du noch ein paar ergänzende Do's, an die man als Musiker von vornherein denken sollte, um zum Gelingen beizutragen?

Mal abgesehen davon, dass es immer hilft, wenn man offen zu einem Konzert kommt, ist es schon mal gut, wenn alles dabei ist: Kabel, Gitarrengurt, Sticks, Ständer, Saiten, Stimmgerät. Ich finde es erstaunlich, wie oft Musiker ihren eigenen Kram nicht dabei haben und ganz selbstverständlich erwarten, dass es vor Ort schon eine Lösung gibt. Darum: vor der Abfahrt zu Hause checken, ob auch wirklich alles mit dabei ist, dann pünktlich vor Ort sein und bandförderlich handeln.

Und ein abschließendes "Danke" kann der Schlüssel zu einer guten Zusammenarbeit bei einem Folgetermin sein. Wird gerade von Newcomern viel zu oft vergessen, weil sie ihren Erfolg feiern müssen.

{image}Ist es leichter oder schwieriger, mit Newcomern zu arbeiten im Vergleich zu den großen Stars?

Jenseits von persönlichen Eigenheiten, die einen Künstler nett oder unausstehlich werden lassen — völlig egal, auf welcher Stufe der Karriere er steht — machen manche Neulinge den Fehler, Unsicherheit durch besonderes Getue kompensieren zu wollen. Es ist viel cooler zu sagen, dass das hier jetzt der erste große Auftritt ist, man sich fast in die Hosen macht und über jeden Tipp dankbar ist, als den welterfahrenen Mann zu geben und dabei künstlich anstrengend zu sein. Ich kenne einige wirklich große Stars, die jeden Abend vor Aufregung kaum den Weg zur Bühne schaffen und den ersten Song brauchen, um ihre Angst zu besiegen. Seit Jahrzehnten.

Darüber hinaus sind es gerade bei gepushten Neulingen oft gar nicht die Musiker selbst, sondern das Umfeld, das das Arbeiten unnötig anstrengend macht. Das Wort "Superstar" wird leider nicht nur im Fernsehen viel zu inflationär gebraucht.

Was empfiehlst du jungen Bands ganz generell? Sollte man sich z.B. von vorneherein einen festen Mischer suchen?

Ein guter fester Mischer ist Gold wert. Er kann mit seiner Erfahrung eine Band oft weiterbringen und kann einzelne Stellen viel besser featuren, weil er die Songs einfach kennt und weiß, was wann passiert. Generell schadet es nie, sich die Meinung von erfahrenen Leuten einzuholen. Ehrlicherweise gibt es aber natürlich auch bei Technikern und Managern einige, die mit dem Mund mehr Erfahrung haben, als in der Realität. Auch sollte man bei Namedropping kritisch bleiben. Wenn jemand behauptet, schon für die Stones gearbeitet zu haben, so kann das natürlich sehr wohl sein. Die Frage ist dann, in welcher Position es war. Wenn ein Techniker vor zehn Jahren mal "Hand" bei einem Konzert war, bringt eine Band das im Zweifelsfall nicht wirklich weiter.

Vielen Dank für das Interview, Markus!

 

Wenn ihr mehr über Markus und seinen Tour-Blog erfahren wollt, dann lest seine Erlebnisse und Geschichten auf www.tour-blog.de nach.