Sie trank aus diesem Glas: Britney Spears - Objekt der Begierde.
Fotograf: Christian Hoffmann

Sie trank aus diesem Glas: Britney Spears - Objekt der Begierde. Fotograf: Christian Hoffmann © www.musicandpress.de

Im Rahmen der Sonderausstellung "Macht Musik" fanden zahlreiche Aktionen und Vorträge zum Thema Musik und alles was sie umgibt statt. Etwas, das für die Musik scheinbar unerlässlich ist, sind Stars. Und so fand unter dem Namen "Weißt du wie viele Sterne stehen?" ein Vortrag von Professor Dr. Hans-Otto Hügel über Begriff, Funktion und Geschichte des Stars statt.

{image}Manchmal kann die Verehrung von Stars groteske Züge annehmen. Etwa dann, wenn alltägliche Gegenstände zu geheiligten Devotionalien aufgewertet werden, nur weil sie ein prominenter Mensch berührt hat. Dieser Tatsache widmet die Sonderausstellung Macht Musik im Mannheimer Landesmuseum für Technik und Arbeit in dem Abschnitt "Konsum und Kult" sogar einen eigenen Raum, in dem verschiedene Reliquienschreine aufgestellt sind: In Vitrinen liegen ein Kaugummi von Avril Lavigne, ein Orangensaftglas von Britney Spears oder ein Evian-Fläschchen von Mick Jagger aus. Doch was macht eigentlich einen Menschen zum Star? Darüber referierte unter der blumigen Überschrift "Weißt du wie viele Sterne stehen?" Professor Dr. Hans-Otto Hügel im Landesmuseum.

Violinist Niccolò Paganini, der italienische Teufelsgeiger, um den sich rätselhafte Mythen ranken, war einer der ersten Stars. Für Dozent Hügel ist dieser Begriff problematisch. "Durch die Vielzahl an Sternchen unserer Zeit setzte eine Inflation ein", erklärt Professor Hans-Otto Hügel von der Universität Hildesheim. In unzähligen Bereichen gibt es Stars, ob in Musik, Film, Politik oder gar in Mode und Technik. Oft verwenden Medien die weitfassenden Ausdrücke Promi und Star gleichbedeutend. Der alltägliche Sprachgebrauch sei da nicht allzu weit von der Wissenschaft entfernt, erläutert Professor Hügel. Man müsse jedoch präziser unterscheiden. "Nicht jeder Prominente, der etwas geleistet hat, ist ein Star", analysiert Kulturwissenschaftler Hügel. Zwar ist die personalisierte Außergewöhnlichkeit oder Außeralltäglichkeit eine wichtige Voraussetzung zum Starsein, allerdings kein alleiniges Hauptargument. "Mutter Teresa ist zwar eine Medienperson und mag vielleicht eine Ikone der Barmherzigkeit sein, sie ist aber im eigentlichen Sinn kein Star", wertet Hügel. Das Terrain der Karitas ist zu ernst, um Stars hervorzubringen. Konstitutiv für Stars sei vielmehr, dass ihr Werk und ihr Image zusammen rezipiert werden. Ein griffiger Künstlername trägt dazu bei, diese beiden Ebenen zu vereinen. In Marilyn Monroe sehen viele die begehrliche Sexgöttin, ihr Image. Obwohl die Monroe über ein erheblich vielschichtigeres Filmwerk verfügt, reduzieren sie Kinoliebhaber gerne auf Rollen wie in "Das verflixte 7. Jahr". Werk und Image gehen also eine starke Synthese ein. Das Image der Sexgöttin wird im Bewusstsein der Öffentlichkeit noch verstärkt durch ikonographische Fotos wie dem hochgewehten Rock über dem Luftschacht der U-Bahn oder Andy Warhols Pop-Art-Siebdruck. "Wir glauben, dass Marilyn Monroe immer die gleiche Rolle gespielt hat."

{image}Nach Hügels Auffassung ist Roman Abramowitsch, der russische Ölunternehmer und Inhaber des Fußballclubs FC Chelsea, bestimmt eine Medienperson mit großer Bedeutung, dennoch sei Abramowitsch kein Star. Eine heikle Starfigur ist Harrison Ford, der ein Saubermann-Image nach außen trägt: Die am häufigsten von ihm geäußerten Worte in Spielfilmen sind "meine Frau, meine Familie". Ungeachtet dessen, dass Harrison Ford in etlichen Actionstreifen wie Indiana Jones agierte. Bei Harrison Ford ist die Verbindung zwischen Werk und Image also nicht besonders eng, der Rückschluss des filmischen Abenteurers auf Ford gelingt nicht ungehemmt. Brigitte Bardot gestaltete den Typ der emanzipierten Frau, sie ist eine historische Figur und repräsentiert eine gewisse Epoche. Die politische Tierschützerin sehen nur wenige in ihr. "Stars regen zu Diskussionen an", nennt Professor Hans-Otto Hügel einen weiteren Faktor – was würde bloß die Boulevardpresse ohne den Klatsch und Tratsch über Stars machen?

Ein Star ist nach Medienwissenschaftler Richard Dyer verdichtet, das heißt, er besitzt eine offen gehaltene Mehrdeutigkeit. Der Rezipient muss die Bedeutung für sich selbst aus den Zeichen herauslesen. "Stars geben die Wirkung ihrer Zeichen nicht vor", denkt Professor Hügel weiter. Der Star mache nur ein Angebot. Dort liege der Unterschied zwischen einem Star und einem Idol: Ein Idol besitzt einen verpflichtenden Charakter. "Folgt mir nach, ich bin der Meister", sei laut Hügel die Aussage des Idols. Der Star indessen lasse eine Interpretation offen. Eine Beliebigkeit im Star ist dennoch auszuschließen.

{image}Leistungsbezogene Stars sind Personen wie Boris Becker, deren Status von ihrer Leistung abhängt. Nach dem Besenkammerskandal 2001 wurde es ruhig um Becker. "Leistungsbezogene Stars lassen sich aber revitalisieren", urteilt Hügel, wie ein Werberspot Boris Beckers für die Biermarke "König Pilsener" veranschaulicht – das komplette Leben des Tennisstars komprimiert auf 20 Sekunden. Wie sich eine Imageschärfung entwickeln kann, legt der Referent chronologisch an Stones-Gitarrist Keith Richards dar, der sich eine Bedeutungssteigerung erarbeitete. Vom schüchternen Buben zum barocken Kerl mit vernarbtem Piratengesicht. Heute wird Keith Richards in Interviews neben seiner Musik nach seiner politischen Meinung gefragt, zuletzt wegen der Veröffentlichung des Songs Sweet Neo-Con auf dem Album A Bigger Bang. Das Einmischen in Politik und Gesellschaft ist für Dozent Hans-Otto Hügel eine wichtige Bedingung, um ein Star zu werden. Haltung einnehmen, Zähne zeigen, jedem ungefragt die Ansicht aufzwingen wie Dieter Bohlen in seinen Castingshows. Und das Verhältnis zu den Fans? Kritische Fans halten eine emotionale Distanz zu ihren Stars und gehören nicht zu den affektiven Energiebündeln auf den Konzerten. Die Experten sammeln und deuten, sind in der Lage, zwischen zwei Auftritten von Bob Dylan zu vergleichen, bei welchem Auftritt Dylan die bessere Version von All Along The Watchtower zu Gehör brachte.

Gegenwärtig ist das Medienangebot jedoch viel zu breit und unübersichtlich, um noch echte Stars hervorzubringen. Die meisten prominenten Sternchen wirken verwaschen. "Stars haben keine Konjunktur", schließt Professor Dr. Hans-Otto Hügel seinen Vortrag.

Literatur: 

  • Lob des Mainstreams – Zu Begriff und Geschichte von Unterhaltung und populärer Kultur (Hügel, Hans-Otto; Halem 2007) 
  • Musikermythen – Alltagstheorien, Legenden und Medieninszenierungen (herausgegeben von Bullerjahn, Claudia / Löffler, Wolfgang; Olms 2004)

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