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Interview mit Alexander Schulz, Geschäftsführer des Reeperbahn Festivals in Hamburg

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 24.08.2012

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Interview mit Alexander Schulz, Geschäftsführer des Reeperbahn Festivals in Hamburg

Alexander Schulz nahm sich bei der Konzeption des Reeperbahnfestivals das SXSW in Austin zum Vorbild

Was liegt näher, als eine im Ausland gut funktionierende Idee nach Deutschland zu übertragen, dachte sich Alexander Schulz, Geschäftsführer und Begründer des Hamburger Reeperbahn Festivals. Das bietet junge, aktuelle Bands, eine bunte Mischung aus Kunst, Performances und Entertainment sowie das Angebot an Profis des Musikgeschäfts, dort zusammenzukommen und sich auszutauschen. Um jedoch den Plan erfolgreich zu verwirklichen benötigte Alexander Schulz nicht nur die notwendigen finanziellen Ressourcen, sondern vor allem auch jeden Menge Geduld und Ausdauer.

Backstage PRO: Wo liegen die Ursprünge des Reeperbahn Festivals?

Alexander Schulz: Die Idee ist vom South By Southwest-Festival (SXSW) in Austin, Texas, geklaut, das ich erstmals im Jahr 2000 besucht habe. Zwischen dem dortigen Standort, der 6th Street, und der Reeperbahn gab und gibt es eine Menge Parallelen. Aufgrund dieser atmosphärischen Nähe hatte ich die Idee, das auch einmal in Hamburg zu probieren.

Was hat Sie in Austin besonders beeindruckt?

Eigentlich war das Beeindruckende das Gefühl, dass Popmusik in allen möglichen Zusammenhängen für einige Tage über dieser Straße liegt. Sie wird gehört, bildlich dargestellt aber auch besprochen. Dieser Mix war das Eindrückliche.

Diesen Mix versuchen Sie auch in Hamburg zu verwirklichen?

Ich glaube das gelingt uns zunehmend, vor allem im vorderen Teil der Reeperbahn, wo sich auch unser Veranstaltungszentrum befindet. Dort haben wir mit dem Spielbudenplatz eine recht große öffentliche Fläche zur Verfügung. Gerade in diesem Bereich schaffen wir es, alles mit Musik zu überziehen, so dass jeder die Gelegenheit hat, sich auf mehreren Ebenen intensiv mit Musik zu beschäftigen, sie also nicht nur zu hören.

Sie sagen, SXSW ist sehr groß geworden, das Reeperbahn Festival wächst ja auch. Was verändert sich eigentlich, wenn ein Festival wächst?

Aus meiner Sicht ist das SXSW inzwischen unübersichtlich geworden, allein aufgrund der Masse an Menschen. Außerdem ist die Zahl der Spielstätten auf über 80 gestiegen, wodurch sich die Wege automatisch verlängern. Man kann oftmals keine konkreten Pläne machen, weil viele Konzerte früh wegen Überfüllung geschlossen sind. Das ist natürlich frustrierend. Selbst das Angebot im Konferenzbereich ist so gigantisch, dass die Orientierung oft schwerfällt.

Reeperbahn Festival (Pressefoto, 2011)

Reeperbahn Festival (Pressefoto, 2011), © Nina Zimmermann

Wie versuchen Sie diese Entwicklung zu vermeiden?

Ich glaube wir sind noch nicht an diesem kritischen Punkt angekommen, noch sind wir übersichtlich und fassbar. Nachdem was wir an Locations auf der Reeperbahn kennen, glaube ich nicht, dass wir jemals eine größere Kapazität als 30.-35.000 Besucher schaffen. Das wäre immer noch übersichtlich. Grundsätzlich bleibt es aber unser Ziel, den Zuschauern zu ermöglichen, einen guten Teil der Konzerte zu besuchen, die er sehen will. In Austin geschehen viele Dinge recht zufällig.

Im Chaos liegt ja auch eine Chance.

Selbstverständlich. Ich will auch nicht verhehlen, dass der ein oder andere persönliche oder geschäftliche Kontakt durch Zufall entstanden ist, aber ich finde, das sollte nicht zum Prinzip werden.

Der deutsche Ordnungssinn sträubt sich da etwas?

(lacht) Nein, das ist es nicht. Wenn ich mich länger auf eine Veranstaltung vorbereite, dann habe ich bestimmte Vorstellungen, sowohl als Besucher der Konzerte als auch als Profi im Musikgeschäft. Diese Ziele sollten sich wenigstens zum Teil verwirklichen lassen, was gute Überraschungen natürlich nicht ausschließt. Vielleicht ist das ein bisschen deutsch; ich glaube, es ist europäisch.

Waren Sie schon im Musikgeschäft tätig, bevor Sie das Reeperbahn Festival ins Leben gerufen haben?

Ich habe Anfang der 1990er ein kleines Label und einen Musikverlag besessen, gleichzeitig aber immer Veranstaltungen ganz unterschiedlicher Art gemacht. Da die Veranstaltungen gut liefen, traten Label und Verlag immer mehr in den Hintergrund. Alles ging aber aus meiner Leidenschaft für Musik hervor, weshalb ich mich freue, dass ich mich jetzt wieder intensiv mit populärer Musik beschäftigen darf.

Das empfinden Sie als Glücksfall?

Ja, definitiv! Es waren spannende Jahre, zumal das Konzept in den ersten Jahren nicht funktioniert hat. Bei der Premierenveranstaltung des Reeperbahn Festivals hat sich der Besucher eine Karte gekauft, obwohl er vielleicht gerade mal 20% des Programms kannte. In vielen anderen Ländern haben die Menschen dazu eine andere Haltung, aber als wir in Deutschland damit anfingen, war das hierzulande völlig neu. Dementsprechend häufig wurden wir darauf angesprochen, auch von Pressekollegen. Die haben immer gefragt: "Wer sind eure Headliner?"

Und Sie haben geantwortet: "Wir haben keine Headliner, wir wollen aktuelle Musik in ihrer ganzen Bandbreite abdecken."

Genau. Konzept und Marke sind der Headliner. Es dauerte einige Jahre, die Leute davon zu überzeugen. Es gelang auch nur, da Menschen, die sich doch darauf eingelassen haben, von der künstlerischen Qualität der Darbietungen überzeugt waren und es anderen mitgeteilt haben.

Wie lange hat das denn gedauert?

Die erste inhaltlich, aber noch nicht finanziell erfolgreiche Veranstaltung, war im dritten Jahr. Das hat sich im vierten dann auch in den Besuchszahlen niedergeschlagen.

Wie hält man das psychologisch und finanziell durch, wenn man sich drei Jahre Mühe gibt, ein gutes Festival aufzuziehen und man erhält als Reaktion: "Ich verstehe eigentlich nicht, was ihr da so macht. Wieso habt ihr eigentlich beispielsweise nicht mal The Killers da?"

Reeperbahn Festival (Pressefoto, 2011)

Reeperbahn Festival (Pressefoto, 2011), © Matias Boem

Solche Aussagen gab es in der Tat. Am Ende hält man es nur aufgrund des unbeirrbaren Glaubens an das Konzept durch. Man weiß ja, dass es in anderen Ländern funktioniert und hat es selbst erlebt. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass die Besucher nicht irgendwann diesem Fieber erliegen und dabei sein wollen. Mich hat das Virus in Austin infiziert und daher habe ich geglaubt, dass es auch uns gelingt, die Besucher früher oder später auch anzustecken.

Sie haben Recht behalten.

Jetzt macht es Spaß! Wir müssen nicht mehr erklären, was wir genau machen oder uns sogar dafür rechtfertigen. Das ist schon sehr angenehm.

Im Rahmen des Reeperbahn Festivals findet auch der "Campus" statt, ein Branchentreff, der eine wichtige Rolle spielt. Vielleicht könnten Sie dessen Hintergrund noch kurz erläutern.

Wir haben im dritten Jahr bemerkt, dass sich in den Foyers und auf den Straßen immer mehr Booker und Künstleragenten treffen, obwohl wir gar keinen Branchenveranstaltungsteil hatten. Daher haben wir entschlossen, einen Networkingbereich zu eröffnen und einige Konferenzslots angeboten. Es sind ja gar nicht so viele, dieses Jahr 25. Der Schwerpunkt des "Campus" liegt auch weiterhin auf dem Live-Entertainment-Bereich.

Was hat es mit den Showcases auf sich?

Wir bieten Künstlern, die wir noch nicht bereit für das offizielle Programm halten, die Möglichkeit in Zusammenarbeit mit internationalen Musikexportbüros in sogenannten Showcases aufzutreten. Diese Showcases finden am Samstag statt, oft am Nachmittag, und sie stehen auch dem allgemeinen Publikum offen. Dadurch schaffen wir eine andere Vermischung zwischen musikinteressiertem Publikum und Professionals.

Wie wählen Sie die Künstler aus?

Es gibt drei Wege. Wir erhalten jedes Jahr ungefähr 3000 Initiativbewerbungen über unsere Homepage. Für die internationalen Künstler arbeiten wir mit einem Partner zusammen. Künstler, die dort Mitglied sind, erhalten von der Plattform einen Reisekostenzuschuss, wenn sie von uns ausgewählt werden. Wir fragen aber auch gezielt beim Management von Künstlern nach, die uns interessieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

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