Southside 2008: Fans, Drumherum, Atmosphäre
Foto: Marcel Benoit

Southside 2008: Fans, Drumherum, Atmosphäre Foto: Marcel Benoit © regioactive.de

Schnell vergessen waren die wenigen Regentropfen, die in der Donnerstag Nacht den zahlreichen bereits angereisten Besuchern Sorgen bereitet hatten. Pünktlich um 10 Uhr hielt man es in den Zelten vor Hitze nicht mehr aus und war gezwungen, sich irgendwie bis 16 Uhr die Zeit zu vertreiben.

{image}Dem kreativen Festivalfreak gehen dabei aber kaum die Ideen aus und vor allem die Landebahn verwandelt sich alsbald in einen gigantischen Freiluftzirkus. Während man noch den Jungs zuschaut, die mit einem Skateboard über einen umgeworfenen Campingstuhl schanzen, läuft neben einem schon der nächste Akrobat auf Händen vorbei. Ein paar Meter weiter lässt jemand einen zum Lenkdrachen umfunktionierten Pavillon steigen und steht dabei fast den beiden Typen im Weg, die mit Getränkedosen und einem echten Golfschläger Crossgolfing spielen. Immer ist irgendwo jemand zu sehen, auf dessen Oberkörper oder einem Pappschild "Free Hugs" zu lesen ist und der ständig wildfremden Menschen in die Arme fliegt. Andere bringen auf ähnliche Weise ihren ungestillten Durst zum Ausdruck, machen sich für ein freies Tibet stark oder rufen mehr oder weniger subtil zum Knüpfen romantischer Verbindungen auf.

{image}Dann, endlich, um Punkt 16 Uhr öffnen sich die Tore zum Bühnengelände und Wrongkong spielen den ersten Ton des Festivals. Die attraktive Frontfrau der diesjährigen Gewinner von "Beck’s on Stage" lockt mit ihren süßen Sirenengesängen die ersten Hundertschaften vor die Hauptbühne, welche sich zu den anschmiegsam poppigen Melodien langsam warmschunkeln. Im Anschluss weihen Die Mannequin aus Kanada schon recht viel schreihalsiger die Blue Stage ein, während nebenan Elbow aus Manchester weiter den eher sanften Ton pflegen. Panteón Rococó entzünden dann erstmal ihr berüchtigtes Latinska-Feuerwerk, was die dankbare Menge mit großer Tanzfreude würdigt. Fast zeitgleich spielen die mexikanischen Kollegen von Calexico und die Donots beweisen sich witzig und lautstark als routinierter Publikumsmagnet. Flogging Molly nimmt ihnen daraufhin direkt den Stab aus der Hand und knallt ein Folkpunkbrett in die ohnehin schon aufgedrehte Tanzgemeinde.

{image}Langsam setzt die Dämmerung ein, der perfekte Moment für Sigur Rós, um ihre tiefgründigen, eisländischen Klänge in einen rubinroten Abenhimmel steigen zu lassen. Mit hochkonzentrierter Miene läßt Frontmann und Sänger Jón Thór Birgisson mit einer durchdringenden, fast schon schneidenden Falsetto-Stimme die Luft erzittern. Wenn er mit dem Geigenbogen in seine Gitarre hineinsägt wird einem klar, dass die Gänsehaut am eigenen Rücken wohl doch nicht von der sich langsam ausbreitenden Kühle der Nacht herrührt. Drei Tage vor Erscheinen des neuen Albums lassen Sigur Rós dessen Titel Með Suð Í Eyrum Við Spilum Endalaust ("Mit einem Dröhnen in den Ohren spielen wir endlos") mehr als glaubwürdig erscheinen.

Slut aus Ingolstadt haben das Pech, zumindest die zweite Hälfte ihres Programms gegen den Headliner Radiohead stellen zu müssen. Darüber hinaus ist die ihnen zugewiesene Zeltbühne mit einem Fassungsvermögen von 4000 Leuten bei weitem zu klein, um die Heerscharen von Fans aufnehmen zu können, die wenigstens den Anfang der Show nicht verpassen wollen. Mit einem ihrer Debüt-Klassiker, The Day it Rained Forever, eröffnen sie ihren Auftritt, um sich dann langsam dem kürzlich erschienenen StillNo1 zu widmen.

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Der Black Rebel Motorcycle Club scheint kein Problem damit zu haben, auf der Blauen Bühne zeitgleich mit dem Megaheadliner aufzutreten. Mit schön knarzig-röhrigem Gitarrensound zeigen sie, was sie wirklich sind: Echte Männer, cool, überlegen und darin trotzdem bescheiden. Locker aus der Hüfte geschossen kratzen sie mit ihren eingängigen Melodien ein elegantes "Wir haben’s einfach nicht nötig" in den schwarzen Nachthimmel.

{image}Thom Yorke scheint das auch an seinem Platz am Mikro der Green Stage nicht entgangen zu sein. Mit einem Gesichtsausdruck, der sich mal wieder nicht entscheiden kann, ob er nach drei-Tage-wach oder drei-Tage-durchgeratzt aussehen soll, stellt er seine Band als "the Black Rebel Psycho Emptiness Club" vor. Mit einer digital aufgewirbelten Regenbogen-Lightshow und präzise platzierten Hitze-Kälte-Schocks sprengt diese ihre Zuhörer kurzerhand in Stücke, um dann langsam mit dem feinen Haarbesen liebevoll die Scherben wieder zusammenzufegen. Und um sich sieht man selbst harte Kerle mit Tränen in den Augen, in der Musik versinkend, selbstvergessen tanzend, selig lächelnd, die Gedanken irgendwo, nicht mehr ganz in dieser Welt. Einzig die Hoffnung, dass der alte Smash-Hit Creep nochmal aus der verstaubten Schatzkiste von Anno Dazumal geholt werden möge, erweist sich als vergebens.

Zu guter Letzt dürfen die Kooks die schon leicht überanstrengte Menge vor dem Ausgang abfangen und sie mit ihrem unschuldigen Bubi-Charme noch ein wenig zum Verweilen einladen. Ein gut gelaunter Luke Pritchard schafft es spielend, mit einem ganzen Blumenkorb voll Ohrwürmern und seinen in sympathischem British-English dahergenuschelten Ansagen eine sehr ansehnliche Fangemeinde an sich zu binden. Jetzt dürfen auch die kleinen Mädchen, die sich vielleicht zuvor bei Radiohead noch nicht getraut haben, sich leicht entrückt, verzaubert und beseelt in den Hüften wiegen. Bis die niedlichen englischen Engelchen mit den weißen Stirnbändern vorne das Licht ausknipsen, und die Rockerkinder endlich in ihre Träume entlassen.

 

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