Blick von der Immergut-Bühne
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Blick von der Immergut-Bühne Foto: Ansgar Sollmann

Eine Menschen-Welle rollte am letzten Mai-Wochenende über Neustrelitz, eine weitgehend unbekannte Kleinstadt zwischen Berlin und Rostock, denn Scharen von Indie-Liebhabern fielen dort ein und machten es sich auf den Zeltplätzen des Immergut-Festivals gemütlich. ImmergutROCKEN, dieser Name ist Programm: diesmal schon zum neunten Mal. Das Wetter konnte nicht einladender sein. Das Line-Up ebenso. Der erste Herzschlag des Festivalsommers hatte also auch 2008 wieder einiges zu bieten.

{image}Das familiäre Immergut unterscheidet sich von anderen Festivals: Die Atmosphäre ist eine andere, die Konzerte finden nur Freitag und Samstag statt und das Benehmen der Zeltplatzbewohner ist auffallend dezent: Ungewöhnlich sauber und leise mutet die Wiese an. Obwohl auf dem Konzertgelände bis früh morgens Action angesagt ist, verhält man sich höflich, freundlich und sauber. Nicht nur die ganze Jugend aus dem Umkreis findet sich im Publikum wieder, sondern auch Studenten aus ganz Deutschland und Musikerkollegen wie zum Beispiel Nagel von Muff Potter oder Eva von Juli.

Der Freitag startet um 17.30 Uhr mit Olafur Arnalds und ist deutlich mehr als nur ein Warm-Up für Samstag. Mit der Aussicht auf eine überdurchschnittliche Ausbeute an schöner Musik geht es an diesem Tag heraus aus dem durch zahlreiche Mücken verseuchten Zelt.

{image}Menomena zeigten sich weiterhin spielerisch in Hochform, wobei es langsam aber sicher doch einmal Zeit wird für frische Songs. Die Erwartungen sind nach dem Immergut-Gig jedenfalls nicht kleiner geworden. iLiKETRAiNS bereiteten das Feld für den herbeigesehnten Auftritt von The Notwist, deren neues Album ja wieder einmal überaus gute Kritiken einheimsen konnte. In ihrem fast eineinhalb-stündigen Set lieferten Notwist die Highlights von The Devil, You & Me, aber auch zahlreiche ihrer Klassiker. Eine besondere Version von Pilot stach besonders heraus: Notwist und Dub? Ja, past auch irgendwie. Der rockigste Act des Tages sind The Weakerthans. Voller Energie und musiktechnischem Können rockten sie die Bühne und das Publikum. Der Auftritt von Louie Austen, der letzte für diesen Tag, verläuft dagegen nicht besonders erfolgreich, denn er erntet hämische Kommentare aus den Reihen des Publikums, so unter anderen: "Der ist genauso schlecht wie Lou Bega, na, muß wohl am Namen liegen". Doch einige Zuschauer bewegt er durchaus zum Tanzen. Gespaltenes Publikum am Ende des Tages?

{image}Nicht so am Samstag, der ebenfalls richtig prall gefüllt war mit Top-Acts. Denn mindestens eine Gemeinsamkeit vereint ein Gros des Publikums: Überall niest und schwitzt man. Der Heuschnupfen scheint ein lästiges Anhängsel bei vielen der Konzertbesucher und wird durch den sandigen Boden noch verschlimmert, weswegen auf lange Niesanfälle oft ein Keuchen und Husten folgt. Doch durch das extrem geniale Wetter ist das den Meisten egal. Die Badehose eingepackt und ab an den See. Es stehen hier ja tatsächlich 6 verschiedene Badeseen zur Auswahl. Dieses Angebot wird ausgenutzt und bis zu dem ersten Konzert des Tages sind viele noch zur Erfrischung unterwegs. Dadurch verpassen sie die großartige Band Ter Haar aus Berlin. Der Auftritt steht anfangs unter der Parole "Sänger gesucht", bis sich dann doch noch Lyrics zur Musik gesellen und die Begeisterung umso größer wird. Der Auftritt macht gute Laune, zieht Tanzwütige in seinen Bann und ist eine reife Leistung. E-Liebhaber, Emos und Popowackler kommen hier voll auf ihre Kosten.

{image}Zu Get Well Soon kann regioactive.de an dieser Stelle kaum Neues berichten: Wie nicht anders zu erwarten, fesselten sie auch das Immergut-Publikum. Die Band um Konstantin Gropper zeigt sich dank der langen Tour mehr und mehr eingespielt, wirkt zunehmend souveräner und dementsprechend fällt es ihnen leicht, einen dem Wetter entsprechenden strahlenden Eindruck zu hinterlassen. Das nächste Highlight sind Lo-Fi-Fnk. Etwas überraschend, dass die drei so sehr jungen Schweden schon soviel Musik im Blut und in den Beinen haben. Mit eingängigen und schnellen Themenabfolgen überzeugen sie erst die Beine und dann die Ohren, danach den Kopf und das Herz. Während man sich nämlich noch fragt, ob sie wirklich so jung sind, machen sich die eigenen Beine längst selbstständig und geben sich dem schönen Gute-Laune-Gefühl hin, das Lo-Fi-Fnk gratis verteilen. Die als geniale Live-Band angekündigten Girls in Hawaii überzeugen dagegen nur mäßig und schnell sitzt das Publikum wieder auf dem Boden oder bewegt sich in Richtung der Imbissbuden.

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Generell ist ein Wort über die gute Verpflegung und Organisation des Immergut fällig. Mit einem RedBull- und einem Cocktailstand direkt neben der Bühne war gut dafür gesorgt, dass man bei dem heißen Wetter auf jeden Fall wach bleibt – oder eben sofort umkippt. Der Gang zum Döner- oder Bratwurststand war ebenfalls lohnend. Und noch mehr Ambiente bietet das Immergut, das man auf anderen Festivals kaum findet: Die Duschen sind sauber mit Schminkspiegeln ausgestattet und selbst die Dixiklos kann man am Samstagabend noch aufsuchen ohne – trotz der Hitze – einem spontanen Erstickungstod zu erliegen. Das heiße Wetter ist passend zum Eis und Eiskaffee, mit denen man sich auf die verbrannte Wiese flaggen kann. Zurück zum Samstagsprogramm.

{image}Fotos wurden groß erwartet und klingen dann doch nur nach Hamburger Schule. Wer Kettcar liebt fühlt sich hier sehr wohl und wird neben Tanzen und Mitsingen genug Zeit finden, den Sänger anzuschmachten – was so oft zu beobachten ist, dass dies dann als einer der wichtigsten Gründe erscheint, warum viele der weiblichen Gäste hier sind. 21.55 Uhr: Das Publikum wird hibbeliger, rennt aufgeregt um die Bühne. Slut stehen auf dem Programm. Die Ingolstädter sind jene Band, die dem Immergut 2008 noch mehr Salz in der Suppe verleihen, die rockende bis romanzenhafte Mischung ihres Auftritts weist sie als EmoRock-Meister aus. Hardcore-Indie-Fans verziehen sich lieber dezent aufs Gelände und warten auf Lemonheads, alle anderen werden von Slut umgehauen. Auch Mackie Messer findet erneut seine Vertonung und lässt nicht nur die treusten Fans seufzen. Neben den alten Liedern spielen sie das Album StillNo.1 rauf und runter. Besonderes Highlight ist Wednesday, bei dem die junge Dillon mit auf der Bühne steht und das Lied vollends zum Mädchenlied verarbeitet. Herzen heilen und Herzen brechen. Beendet wird dieser Auftritt mit etwas mehr Rock und Krach, um dann an Peter Licht abzugeben. Doch anstatt die Stimmung auszunutzen, beginnt dieser mit einer quasi-Lesung und lässt damit zehn Minuten verstreichen, in denen leicht gebuht, geschoben und geschubst wird und Platz vor der anderen Bühne eingenommen wird, um die auf die Bühnen zurückgekehrten 90er-Helden Lemonheads nicht zu verpassen. Das kleine Zelt, in dem Licht seinen Auftritt absolviert, bleibt dennoch gut voll. Gut für die Gebliebenen, denn mit Hits wie Sonnendeck weiß Licht schließlich doch noch, das Publikum für sich einzunehmen.

Alles in Allem war das Immergut wieder einmal ein Festival für Freunde tanzbarer Musik und sowieso das ultimative Festival für Anhänger der Indieszene, Schwedenrock und die Karottenhosen/LegginsStyle-Fraktion. Sehr sauber, sehr angenehm, sehr schön. Fast ein bisschen zu harmonisch, aber immergut zum wiederkommen. Und der denkbar beste Einstieg in die Festivalsaison 2008 war es obendrein.