Haldern Pop

Haldern Pop

Den Namen "Haldern" verbindet man eigentlich nur mit dem gleichnamigen Festival. Dieses Jahr darf man, zu dessen 25-jährigen-Geburtstag, den Stadtnamen auch noch mit einer anderen Veranstaltung verbinden: der Haldern Pop Tour. Hier touren vier Bands durch sieben Städte. Und sie machten auch in Berlin Station. Das Konzept im Lido lautete an diesem Abend wie folgt: Vier Bands aus vier Ländern, mit jeweils einer Stunde Spielzeit, spielen sich im wortwörtlichen Sinne in einen Spielrausch.

{image}Zum Anfang die amerikanische Band White Rabbits, dann die französische Band SoKO mit ihrer Sängerin Stephanie Sokollinski, darauffolgend die Schweden Loney, Dear und am Schluss die Engländer Guillemots. Wobei man bei Guillemots nicht wahrhaftig von Engländern sprechen kann. Denn der Sänger und klassisch ausgebildete Pianist Fyfe Dangerfield stammt zwar aus diesem Land, doch ansonsten splittet sich die Gruppe in ein multinationales Gebilde auf. Während die Kontrabassistin und Trommlerin Aristazabel Hawkes aus Kanada kommt und Gitarrist MC Lord Magrao aus Brasilien, wurde der Schlagzeuger Greig Stewart in Schottland geboren. Ihre Musik setzt sich dabei aus verschiedenen Stilen zusammen. Von Samba und Jazz über Soul und Pop – in ihrer Musik findet man alle Musikrichtungen wieder. Diese Vielfalt der Musikstile ist nicht verwunderlich, hat Hawkes doch in New York Jazz studiert, der Gitarrist sich in Brasilien jahrelang in der Heavy-Metal-Szene rumgetrieben und der Sänger die besagte klassische Ausbildung zum Pianisten genossen. Ihre Musik entwickelt sich dabei besonders live zu einem bombastischen, fast epischen Sound. So auch an diesem Abend.

Der Sänger verliebt sich dabei am Keyboard immer wieder in seine großartige, samtweiche, aber auch druckvolle Stimme und ähnelt in seinen Gesten dem kanadischen Songwriter Patrick Watson. Hawkes stellt sich an der Trommel, dem Kontrabass und verschiedenen anderen kleinen Instrumenten als Multiinstrumentalistin dar und dem Gitarrist merkt man in seinen herumwirbelnden Bewegungen immer noch seine Heavy-Metal-Vergangenheit an. Einzig und allein die zickende Technik des Keyboards verdirbt ihnen kurzfristig die Spiellaune, doch nach kurzer Zeit sind auch diese Mängel behoben. Nur, dass der Saal sich bei dieser letzten Band des Abends doch schon erheblich geleert hatte, macht den geneigten Beobachter etwas traurig. Denn zuvor war der Saal noch gut gefüllt gewesen.

{image}Das kleine Festival hatten die White Rabbits eröffnet. Das Markenzeichen dieser Band ist die Verwendung von 2 Schlagzeugen, der mehrstimmige Gesang und schräge Klaviermelodien. Dazu treten als Hauptsänger einerseits der Keyboarder Steve Patterson und anderseits der Gitarrist Greg Roberts auf.  Auch diese Band zeigt sichtlich ihre Spielfreude, zum Beispiel wenn der Gitarrist immer mal wieder versucht, dem einen, herumlaufenden Schlagzeuger durch leichte Schubser in verspielter Weise das Gleichgewicht zu nehmen, oder wenn Patterson – über seinem Instrument gebeugt – leidenschaftlich und fast verzweifelt die Texte der Songs in sein Mikro haucht.

Und auch die dritte Band des Abends, Loney,Dear, zeigt große Spielfreude. Deren Mitglieder kommen aus Schweden, die Gruppe wurde auch durch das Web2.0 bekannt. Gegründet wurde sie vom LoFi-Musiker Niels-Emil Svanängen, der besonders durch seine hohe Stimmlage auffällt. Die Musik kann man als minimalistischen Indie-Pop beschreiben. Den Zuschauer begeistert hier besonders der hymnenhafte Ohrwurm-Song Ignorant boy, beautiful girl, der auch zum Mitsingen – oder besser gesagt: Mitpfeifen – anregt, besonders auch für den ein oder anderen Gastsänger.

{image}Das beweist an diesem Abend die junge französische Künstlerin und Schauspielerin Sokollinski, die zuvor schon mit ihrer eigen Show die Zuschauer begeisterte und praktisch das Highlight dieses langen 4 ½-stündigen Konzertabends darstellte. Dabei beeindruckt sie besonders durch ihre unglaubliche Natürlichkeit, ihre Verspieltheit und ihren Eigenwillen. Ob sie nun mit einem Tigerkostüm die Bühne betritt und mit ihrem herrlich klingenden, französischen Akzent in englischer Sprache die Zeilen "look like a tiger" ins Mikrofon haucht und dabei gleichzeitig noch Gitarre und Schlagzeug in einem spielt (von dem sie zuvor den Schlagzeuger mit teils trotzigem, teils frechen Ton wie ein Tiger weggejagt hatte). Oder ob sie immer wieder während dem Song ins Lachen ausbricht und sich dabei kaum halten kann: Sie wirkt auf den Zuschauer völlig unbekümmert und natürlich. Man nimmt ihr ab, dass sie einfach so ist. Sie erscheint dem Autor fast wie ein roher Diamant, mit ihrer in einem Notizblock geschriebener Setlist fast wie ein Schulmädchen, welches man beschützen und umarmen möchte. Sie entwickelt eine Anziehungskraft, die keiner der Anwesenden ignorieren kann, nichtmal ihre Mitmusiker. Oder besser gesagt: Vor allem nicht ihre Musiker.

Man sieht ihnen die Bewunderung für diese junge 21-jährige Schauspielerin und Musikern zweifellos in ihren Augen an und der Schlagzeuger wirkt teilweise sogar etwas hilflos und ergeben vor ihrer Spontanität, wenn sie ihn zum Beispiel – wie oben beschrieben – auffordert, seinen Stuhl zu räumen, da sie selbst an das Schlagzeug möchte. Diese Spontanität zeigt sich aber auch dann, wenn sie mitten in der Show plötzlich ein junges Mädchen im Publikum anspricht und ihr – wegen der allzu ähnlichen Kleiderordnung – in humorvollen und scheinbar verletztem und verspieltem Ton vorwirft: "Hey, you copied me! You’re a bitch". Wenig später bittet die junge Französin das Mädchen auch noch für den wunderbar verspielten Song Babycoat auf die Bühne. Hier soll sie die typischen "Miau"-Katzengeräusche nachahmen. Der Saal und die Band unterstützen sie dabei tatkräftig. Sympathisch an Sokollinski sind auch ihre leichten Ungeschicklichkeiten. Wenn sie zum Beispiel ein paar Bühnen-Requisiten umwirft und dann peinlich verlegen in Lachen ausbricht. Sympathisch ist es auch, wenn sie mit  ihren Kuscheltieren, die auf dem Keyboard-Ständer liegen, das junge Mädchen sanft streichelt. Hier strömt eine so herzliche Wärme aus ihr heraus, dass man sie am liebsten in die eigene Familie aufnehmen möchte. Von diesem Zuspruch ist die junge Künstlerin wiederum sichtlich verlegen, und sie fragt fast schon fast schüchtern den Mischpult-Techniker am Ende, ob sie denn für den Applaus noch eine Zugabe spielen könnte. Der bejaht und sie beendet damit den zweiten Teil dieses langen Konzertabends.

{image}Dies war gleichzeitig der absolute Höhepunkt der Haldern Pop Tour, die beim geneigten Zuschauer schon große Vorfreude auf das kommende Festival ausgelöst haben dürfte. Denn dann sind diese vier talentierten Bands wieder vor Ort, um das Publikum zu begeistern.

Und nun erkennt man auch, wie ausgesprochen gelungen das Motto der Haldern Tour gewählt wurde. "Verspielt und feierlich". Wie wahr und wie extrem eindeutig dieses Motto auf diese Konzerte zutrifft. Es geht wohl kaum besser. "Haldern, wir kommen!" ist ein Ausspruch, den wohl viele der Anwesenden sich nach diesem Abend als Ziel gesetzt haben. Hoffen wir es und warten wir am besten gespannt auf das nächste Geburtstagsgeschenk: Die Bekanntgabe des endgültigen Line-Ups. Dieses soll in einer Pressekonferenz bei der letzten Station der tourenden Bands in Haldern bekanntgegeben werden. Darauf kann man gespannt sein. Denn mit den Flaming Lips und Kate Nash wurde schon die eine oder andere Perle aus dem Zauberhut gegriffen. Und zur Bekanntgabe des endgültigen Line-Ups wird bestimmt noch eine Perle hervorgezaubert. Die Gerüchte kursieren schon länger. Die Auflösung gibt es in wenigen Stunden. Irgendwie fühlt man sich fast an Weihnachten erinnert. Da überwiegt auch immer ein Geborgenheits-und Wärmegefühl sowie ein bestimmte Vorfreude auf das Ungewisse. Aber nun genug geredet, jetzt soll es lieber für das kommende Haldern-Festival heißen: "Line-Up-Türchen, öffne dich!"