Blickwinkel Fotostrecke starten

Blickwinkel © Sidewaytown

We Insist! sprechen eine punktgenaue und eigene Sprache und legen ein beeindruckendes Debüt vor. Sidewaytown springen geschickt auf die Shoegaze-Retrowelle auf und präsentieren Gitarrenwände mit Konzept, wofür sie eine Wertung erhalten, die nur von Sharon Jones übertroffen wird: Höchstwertung für ein Album ohne Schwachstelle. Special Teamz verblassen dagegen, aber Rykarda Parasol sorgt mit großer Besetzung für einen guten Abschluß von "aufgelegt".

Sidewaytown - Years in the Wall | Label: Eigenvertrieb

{image}Die Band Autumnblaze sollte einigen noch ein Begriff sein. Sänger und Mastermind Markus Baltes kommt dieser Tage mit einer neuen Band namens Sidewaytown und einem Album um die Ecke, das sich Years In The Wall nennt. Mit dabei ist nach wie vor der Autumnblaze-Drummer Ulf Theodor Schwadorf, am Bass steht Fabian Strauß. Zurückgetreten sind die anfänglichen Metal-Einflüsse und die späteren Ausflüge in einen trip-hoppigen Referenzkosmos, die Autumnblaze einst auszeichneten. Auf Years In The Wall wird ausgiebig und ausschweifend einem bis heute noch etwas verwaisten Feld der Retro-Welle gefrönt: Shoegaze lautet die Parole. My Bloody Valentine lassen grüßen. Vor dem Hintergrund des Bachmann’schen Titels und den zur Zeit gerne herangezogenen Bezügen auf David Lynch stellt sich Years In The Wall als ein mit allen Wassern der Schreibkunst gewaschenes Konzeptalbum heraus, das weder um gedankenverlorene Ausschweifungen noch um eine gehörige Prise Melancholie-Bombast verlegen ist. Angelehnt an Slowdive oder auch Oceansize spinnen Sidewaytown die Geschichte eines Außenseiters, verloren auf nächtlichen, schmutzigen Nebenstraßen aus verschiedenen Blickwinkeln. Über filigrane bis sphärische Gitarrenwände schwelgen sich die 10 kleinen Kunstwerke auf dem Album in eindringlicher Art und Weise bis zum vielsagenden Schlusssatz: "Hope is for the strong / Someone sang in a song." Kurz(weilig) und endgültig. Einziger Punktabzug: Bisweilen klammern sich die Songs zu verbissen an die eingeschlagene Story. Dem Hörgenuss tut das allerdings kaum einen Abbruch. Eine kleine Anekdote am Rande: Ursprünglich sollte das Album gemeinsam mit einem ungenannten schwedischen Produzenten aufgenommen werden. Das Ergebnis: Eine Katastrophe. Kurzerhand produzierte Baltes das Album mit seiner Band selbst. Gute Entscheidung. Das Album ist übrigens auch direkt bei uns als MP3-Version erhältlich (hier entlang).
Wertung: + + + + (Henning Köhler)

We Insist! - Oh! Things are so corrubtible | Label: Exile On Mainstream

{image}Der Bandname We Insist! ist nicht nur eine offensichtliche Referenz an Max Roachs Konzeptalbum We insist! Freedom Now Suite, sondern auch schon mal ein erster Kandidat für den treffendsten Bandnamen 2008. In der Tat von vorne bis hinten unnachgiebig rockend, musizieren sich die drei Pariser mit Tunnelblick durch 12 erbarmungslos punktgenaue Songmonster. An Ausrufezeichen wurde auch nicht gespart. Oh! Things are so corrubtible, das erste Album der Band, wurde über das eigene Label "Corruptible Records" veröffentlicht und hält durchweg das von Anfang an angeschlagene Niveau durch. Zwischen Progressive und Desert Rock liegen die offensichtlichsten Einflüsse punktgenau zwischen Tool, At The Drive-In und den Queens Of The Stone Age zu Zeiten Nick Oliveris. Klischees über das musikalische Treiben in Frankreich darf man also getrost vergessen. Was den Wiedererkennungswert von We Insist! angeht, drängen sich die Vielfalt, die sich zum Beispiel in Jazz-Anleihen äußert, immer wieder auftauchende Saxophon-Ausreißer, die niemals zu dick auf getragene Gitarrenvirtuosität und die eindringlichen Vocals von Sänger und Schlagzeuger Etienne Gaillochet auf. Unabhängigkeit, oder besser Independence, wird hier groß geschrieben. We Insist! sprechen dabei ihre ganz eigene Sprache. In Anbetracht der nach Eigenaussage nie abgeschlossenen Arbeit an den einzelnen Songs und einer lange nicht vernommenen bzw. vernehmbaren Schaffenswut wurde es höchste Zeit für dieses Album, das Licht der Welt zu erblicken. Weiß der Himmel, was uns sonst erwartet hätte.

Wertung: + + + + (Henning Köhler)

 

Sharon Jones & the Dap Kings – 100 Days, 100 Nights | Label: Daptone

{image}Sie ist schwarz, füllig und bereits über 50, doch mit ihrer ausdrucksstarken 60er-Jahre Soulröhre ist Sharon Lafaye Jones auf dem besten Weg ihren Konkurrentinnen Winehouse, Willis und Co. den Titel der Retro-Funkqueen wegzuschnappen. Sie wächst wie James Brown, der Godfather of Soul, in Augusta, Georgia auf und singt sich über den Gospelchor und einige Umwege schließlich bis ins Studio vor. Für ihre explosive Bühnenshow bekommt Miss Jones tiefschwarze Rhythmen von den Dap Kings abgefeuert, obwohl sie sich zu Beginn der Zusammenarbeit noch fragte, was diese kleinen weißen Jungs schon über Funk wissen sollen. Jede Menge, wie ihr neues Album 100 Days & 100 Nights zeigt und bei dem sich jeder Player zur Funkbombe transformiert. Wenn man es nicht besser wüßte, würde man dieses einwandfreie Soul-Revival in die Blütezeit von Stax und Motown einsortieren. Die volle Bandbreite an Martha Reeves und Aretha Franklin wird hier für zu spät Gezeugte geboten. Gleich das Titelstück fesselt und zieht mit dreckiger Lässigkeit den Stock aus R’n’B’s Hinterteil. Nobody’s Baby drängt sich Wu-Tangs RZA förmlich als neues Samplematerial auf, Ghostface Killah hat ohnehin unlängst für eine Kollabo angeklopft. Intensiv-tanzbare Rhythmusschläge paaren sich mit an allen Enden und Kanten groovendem Dreiakkord, der besonders auch durch den wohltuenden Bläser-Einsatz der Dap Kings hervorsticht. Die gewaltige Stimme von Sharon Jones, die nur so vor Authentizität strotzt, besorgt den Rest. Sweet Soul Music, wie sie Arthur Conley nicht besser beschreiben könnte. Schwachstellen sind Fehlanzeige, leider klingt der Spaß nach ein bisschen mehr als einer halben Stunde schon aus.

Wertung: + + + + + (Andreas Margara)

 

Special Teamz – Stereotypez | Label: Duckdown Records

{image}Beim Stichwort Boston würde die Mehrzahl der Gefragten wohl eher an den gediegenen Neuengland-Stil, Harvard und Tea Partys denken, als an raues Straßenleben, Graffiti und Boom Bap Rap. Um das zu ändern hat sich die Raplegende Edo G mit Slaine von La Coka Nostra und Jaysaun, dem ehemaligen Kopf der Kreators, zu einem Rap-Spezialteam zusammengeschlossen. Produktionstechnisch wird das Quartett (mit DJ Jayceeoh) dabei vom Who’s Who der Soundvirtuosen vertreten. Neben dem steil aufstrebendem Marco Polo haben sich des Weiteren beispielsweise DJ Premier, Pete Rock, Ill Bill und Jake One beteiligt. Stereotypez ist von Duck Down Records erstmals außerhalb der Grenzen Brooklyns veröffentlichtes Material. Hinsichtlich dieser begeisternden Konstellationen ereilt einen nach drücken der Abspieltaste allerdings erst einmal Ernüchterung. Denn es sind weniger die Reime auf dem Track Stereotypez, die mit nicht gerade kreativ ausgedachten Vorurteilen überzeugen, sondern mehr die Bilder im Booklet, die klischeehafter nicht sein könnten. Das von Pete Rock produzierte Boston To Bucktown, bei dem die Rapper Buckshot und Sean Price von der Boot Camp Clik mitwirken, sorgt wenig später für die erste Hochphase, die nach Premos Main Event aber schon wieder abreißen zu droht. Auch Home 2, die Allstar-Fortsetzung des Boston Representer-Stückes Home, gelingt es leider nicht, das hohe Niveau des Vorgängers zu halten. Der Tiefpunkt ist schließlich mit dem seichten R’n’B-Chorus bei Story Of My Life erreicht. Erst mit dem wuchtigen Fallen Angelz pumpt Jake One das Level wieder auf die nächste Stufe, an das auch das thematisch hochbrisante Race Riot anknüpfen kann. Lang war das Album der drei Rapper angekündigt und noch höher stiegen die Erwartungen mit den wohlklingenden Produzentennamen. Obwohl das Album keinesfalls schlecht ist, schöpfen die Beteiligten ihre Fähigkeiten einfach nicht aus. Bostons HipHop kann mit Sicherheit mehr. 

Wertung: + + + (Andreas Margara)

 

Rykarda Parasol - Our Hearts First Meet | Label: Glitterhouse

{image}Längst sind die Tage vergangen, in denen Frauen nur von Friede, Freude und Eierkuchen singen konnten. Die Hoch-Zeiten von Genie in a Bottle, I’m Not a Girl, Not Yet a Woman – und wie sie alle hießen – sind längst vorbei. Und sowieso: es ist Winter. Draußen ist es kalt und schmuddelig, die Stimmung ist gedrückt. Höchste Zeit für Lynchjustiz, Untreue, Verrat und Heroin. Zeit für Rykarda Parasol! Die junge Singer-Songwriterin trifft mit ihrem Country-Noir perfekt die Jahreszeit. Und auch die zunächst ungewöhnlich anmutende Stimme Parasols, die man durchaus mit Nick Cave vergleichen kann (was hinsichtlich des Geschlechts zwar etwas grotesk wirken mag), spiegelt eine eisige Kälte wider. Die Besetzung ist ungewöhnlich und faszinierend. Mit Gitarre, Piano, Orgel, Akkordeon, Geige, Cello, Theremin und Schlagzeug versetzen Rykarda Parasol und ihre Tower Ravens en Hörer in eine schlechtere Welt, in der man sich verlieren möchte. Einzelne Lieder aus diesem Album herauszugreifen fällt extrem schwer, da alle durch ein hervorragendes Songwriting und Individualität glänzen. Dennoch sind die Ballade Janis, Don't Go Back mit der schönen Pianobegleitung, Cello und der Zweistimmigkeit, Hannah Leah mit dem eingängigen Refrain und Night on Red River mit seinen schreienden Gitarren zu nennen. Im Mai werden Rykarda Parasol & the Tower Ravens auch in Deutschland auf Tour sein. Also Augen aufhalten und hingehen.

Wertung: + + + +  (Sarina Pfiffi)

 

So werten wir:

+
schnell auf ebay damit, bevor es jemand merkt
++
hier mangelt es an so einigen Ecken und Enden
+++
das kann sich wirklich hören lassen
++++
ein TOP-Album
+++++
das hier kann dir die große Liebe ersetzen

 

Alles zu den Themen:

we insist! sharon jones aufgelegt