Sarah Kuttner im Capitol Mannheim
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Sarah Kuttner im Capitol Mannheim Fotos: Marcel Benoit © regioactive.de

Der Besuch von Lesungen gehört normalerweise wohl nicht unbedingt zu den bevorzugten Freizeitaktivitäten der Jugend. Dass man junge Leute trotzdem zu derartigen Veranstaltungen locken kann, beweist Sarah Kuttner mit ihren Tourneen schon seit einer ganzen Weile.

Manches läuft bei ihr jedoch auch ein klein wenig unkonventionell. Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart heißt ihr aktuelles Buch und tritt die Nachfolge von Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens an. Auf dem Tourplan steht, anstatt vieler um Profilierung bemühte Buchhandlungen, auch mal eine zum schnoddrigen Liveclub umgebaute Unterführung. Gleich zu Beginn ihres Auftritts im Mannheimer Capitol erklärte Kuttner, dass keine Lesung im eigentlichen Sinne bevorstehe, was leider zuvor schlecht kommuniziert worden wäre. Da hatte sie mit beidem Recht.

Vielmehr sollte eine Mischung aus Lesung und Best of Kuttner, also Ausschnitten aus ihrer Sendung, folgen. Dies war auf den Plakaten und Ankündigungstexten entweder nur untergeordnet oder überhaupt nicht erwähnt worden und war deshalb für manchen im Publikum überraschend. Zudem wurde teilweise gemeinsam mit Freiwilligen aus dem Publikum vorgelesen. Es überrascht dabei nicht, dass Kuttner diese nicht unbehelligt lies, saßen sie erst einmal neben ihr auf der Bühne. In diesen Situationen kam ihre Fernseh-Vergangenheit deutlich zum Vorschein. Überhaupt erinnerte der Abend sehr an eine Late-Night-Show.

Offensichtlich hatte der erste Zuschauer, der zum Vorlesen ausgewählt wurde, keine besonders zutreffenden Erwartungen an seine Zeit auf der Bühne und brachte sich so schnell selbst in eine Opferrolle. Kuttner dagegen war ganz in ihrem Element. Nach zwei Minuten bekam die im Publikum sitzende Freundin des Studenten ungefragt wertvolle Tipps für ihre Beziehung: "Verlass den!" Etwas gnädiger fiel die weitere Analyse von Privatleben, Studienfach und Inhalt seines iPods aus. Keine Chance hatten dagegen die Schutzfolien und -hüllen des MP3-Players. Diese wurden freundlicherweise gleich entsorgt. Das Ego und die Verunsicherung des Gastes bewegten sich zwischenzeitlich erkennbar in entgegengesetzte Richtungen, was jedoch in Anbetracht der Behandlung durch Kuttner auch nicht verwunderte.

Manch einer mag sie in diesem Moment als zu hart empfunden haben. Unstrittig dürfte aber sein, dass es sehr kurzweilig und in Sachen Stimmung ein Höhepunkt war. Sarah Kuttner in Hochform. Ohnehin wird in den zwei Stunden Kuttner live und auf Video deutlich, dass ihre Stärken in eben genau solchen Situationen liegen: Die physische Anwesenheit von Menschen scheint sie manchmal völlig zu ignorieren, was diesen gegenüber mitunter ziemlich respektlos wirkt. Gleichzeitig schafft sie so jedoch auch eine große Nähe zum Publikum. Aber man glaubt und verzeiht ihr, als sie sich bei ihrem Gast vorsorglich entschuldigt, bevor sie diesen wieder entlässt. "Ich bin halt in so eine Art Blutrausch verfallen", meinte sie dann noch, nachdem er die Bühne wieder verlassen hatte.

Trotz Videos, Anekdoten und Gästen wurde aber natürlich auch noch gelesen. Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart setzt sich aus Kolumnen zusammen, die im Musikexpress und der Süddeutschen Zeitung erschienen sind. Beide sind trashig-unterhaltsam geschrieben und fallen nicht zuletzt auch wegen den kuttner'schen Sprachkreationen auf. Trotzdem bleibt der fade Beigeschmack der kommerziellen Resteverwertung. Von diesem Vorwurf kann man sie auch nicht wirklich freisprechen: Alles, was als Buch beziehungsweise Lesung verkauft wird, ist nun mal zuvor schon einmal in Zeitung, Zeitschrift oder Show erschienen. Aber stört das? Nein. Eine Kolumne ist eben kein abendfüllendes Bühnenprogramm. Außerdem nehmen die improvisierten und von den Gästen abhängigen Anteile ausreichend viel Platz ein. Wer mit Kuttner im Fernsehen klar kam, der wird live von ihr gut unterhalten werden.