An Gossip kommt ja im Moment niemand mehr so richtig vorbei. Seit dem Soulwax-Remix von Standing In The Way Of Control gibt es für den englischen Musikzirkus sowieso kein Halten mehr. Platz 1 auf der NME-Cool List 2006 für Beth Ditto, ein Duett mit niemand geringerem als Jarvis Cocker, Auftritte bei den wichigsten Festivals auf der Insel, Wortgefechte und schließlich Freundschaft mit Kate Moss, Geschichten über den Verzehr von Eichhörnchen bis hin zu den bereits legendären Nacktfotos von Ditto auf dem Cover des NME.

Dass das alles irgendwie immer weniger mit dem zu tun hat was Beth Ditto, Hannah Blilie aka Stan und Nathan Howdeshell aka Brace Paine am besten können -  nämlich Musik zu machen - scheint schon längst irgendwie egal. Während sich die Spirale der Absurditäten und Nichtigkeiten in der Berichterstattung über Gossip weiter dreht, tourt die Band fleißig durch Europa. Nach einem kurzen Abstecher Anfang Juli nach Köln, Hamburg und Berlin gab es noch mal drei Konzerte in Stuttgart, Frankfurt und München. Denn auch hierzulande ist die Band längst im Indie-Mainstream angekommen. Gesteigertes Air-Play auf MTV Deutschland und Artikel in der FAZ und der Bildzeitung sprechen Bände. Das kann auch schon mal peinlich werden. Nach dem Gig im Stuttgarter Schocken fragte eine interessierte Passantin in dieser Reihenfolge: „Hat sie sich ausgezogen? Und wie hieß die Band überhaupt?“ Aber diejenigen, die das abschreckt, sind eigentlich selber Schuld. Das lässt sich nach zwei Gossip-Konzerten an zwei Tagen definitiv sagen.

Doch eins nach dem anderen: Wer am Montag Abend erwartungsfroh vor dem Schocken in Stuttgart eintraf, erlebte eine Enttäuschung. Eine Tafel kündete von einer Autopanne der Band irgendwo in Belgien. Die Bremsen vom Tourbus hatten versagt, das Konzert musste auf Mittwoch verlegt werden. Leider ging die Nachricht über die Verschiebung erst nach sechs Uhr raus, weshalb viele der glücklichen Ticketinhaber erst am Schocken selbst davon erfuhren.

Als Gossip dann am Dienstag Abend wohlbehalten und halbwegs pünktlich die Bühne des absolut knüppelvollen und mehr als ausverkauften Frankfurter Cooky’s betreten, kann es endlich losgehen. Die niedrigen Decken, die sardinenbüchsengleiche Raumverteilung und die angeheizte Stimmung vor der Bühne machen dieses Konzert zu einer dankbaren Aufgabe für Gossip. Insbesondere Beth Ditto, zwischenzeitlich genüsslich und ausgiebig an ihrem Whiskey nippend, begnügt sich selbstredend nicht damit, dem Publikum die Abendgestaltung zu überlassen, sondern hilft tatkräftig mit, der queerfeministischen Lektion den gebührenden Punk einzuhämmern. Jede Mutige braucht eine Wahrheit die sie aussprechen kann und davon hat Beth Ditto offensichtlich genug. Eine vorsichtige Ahnung von Riot Grrrl wütet in den besten Momenten durch den engen Raum. Da wird eine Konzertbesucherin schonmal von Beth Ditto hochgestemmt und ins Publikum geworfen oder die Sängerin selbst springt zum obligatorischen Publikumsbad in die Menge. Dazu gibts noch ein selbstverfasstes Lied auf deutsch, mit dem Titel bzw. Text Milch und Fleisch und Eiswürfel fürs schwitzende Publikum.

Neben dem unvermeidlichen Über-Song Standing In The Way Of Control waren Songs wie Coal To Diamonds und die George Michael Cover-Version Careless Whisper die Höhepunkte eines teils schmerzhaften, aber insgesamt denkwürdigen Abends.

Am Mittwoch geht es ins Schocken, diesmal hat es auch der Tourbus tatsächlich bis nach Stuttgart geschafft und das ausverkaufte Schocken füllt sich schnell.

Die Support-Band Wet Dog die bereits Gestern den Abend einläutete klingt beim zweiten Hinhören bereits um einiges eingängiger, doch die sperrigen aber nichtsdestotrotz guten Songs entfalten sich vor einem Publikum, das nur auf die tanzbare Bassline wartet, leider nicht.

Die Nachwehen der gestrigen Nacht sind Gossip durchaus anzumerken als sie die Bühne des Schocken betreten. Die Setlist wird umgeworfen, das am Vorabend so starke Careless Whisper fällt raus zugunsten einiger Songs der Vorgänger von Standing In The Way Of Control. Das Publikum ist heute Abend eher schwer zu beeindrucken, die Band müde. Das Beth Ditto es am Ende doch noch schafft, dass Stuttgarter Publikum kurzzeitig brennen zu lassen ist ihr und der Band hoch anzurechnen. Das endlose Touren durch Europa hat offensichtlich seine Spuren bei der Band hinterlassen, das Weinfest auf dem Marktplatz gleichermaßen bei den Schwaben. Nach dem Konzert verschwindet die Band entgegen ihrer Gewohnheiten sofort im Tourbus, die Grüppchen vor dem Schocken zerstreuen sich relativ schnell.

Was am Dienstag noch Anlass zur Ekstase war, prallte heute an eher schaulustigen und nur partiell begeisterten Zuschauern ab. Wo Beth Ditto im Cooky's Wörter wie "moshpit" und "riot" in den Mund nahm kam heute keine richtige Verbindung zwischen Band und Publikum auf. Nichtsdestotrotz waren hier eine charismatische, begabte Drummerin, ein vor sprühender Kreativität nicht mehr zur Kommunikation fähiger Gitarren-Nerd und eine großartige Sängerin und Entertainerin am Werk. Für die Band geht es weiter nach Wien und München, im September gibt es noch mal eine Tour durch Großbritannien, natürlich.

Das Album Standing In The Way of Control erfuhr kürzlich eine Neuveröffentlichung, die Promotion läuft auf Hochtouren. Die Tatsache, dass Songs neueren Datums wie die durchaus individuellen Cover-Versionen Careless Whisper und Aaliyahs Are You That Somebody? nach den Konzerten nicht aus dem Kopf wollen und Standing In The Way Of Control schon reichlich verbraucht klingt zeigt eines: Die Live-Qualitäten von Gossip sind, der allgemeinen Rezeption entsprechend, überragend.  Aber im Moment gehört diese Band ins Studio. Sofort.

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