Im Fall von Blonde Redhead liegt ein Einfluss offen zu Tage: Sonic Youth. Steve Shelley hatte die Rotschöpfe entdeckt und auch ihren Erstling produziert. Doch auf ihrer aktuellen Tour zeigt sich die Band auch auf neuen musikalischen Wegen.

In einer der klügsten Albumkritiken der letzten Jahre versuchte das amerikanische Online-Musikmagazin Pitchfork seinen Lesern die Bedeutung von Sonic Youths Meisterwerk Daydream Nation näherzubringen, indem es erklärte, die Wertschätzung für dieses Album sei essentiell für das Selbstverständnis der Fans des amerikanischen Indie-Rocks. Sie definierten sich als Fans sogar in maßgeblicher Weise durch dessen Kanonisierung.

Sonic Youth repräsentierten sozusagen einen zentralen Bezugspunkt, auf den immer wieder Bezug genommen wird, wenn es darum geht, amerikanischen Indie-Rock einzuordnen und zu bewerten. Im Fall von Blonde Redhead liegt der Einfluss von Sonic Youth offen zu Tage. Sie existieren in derselben musikalischen Welt und würden vermutlich die Bedeutung ihrer berühmten Kollegen für ihr eigenes Werk jederzeit zugeben, vor allem da sie von Sonic Youths Schlagzeuger Steve Shelley entdeckt wurden, der auch ihren 1995 erschienenen Erstling produzierte.

Blonde Redhead sind ein Trio, das aus den Zwillingsbrüdern Simone (Schlagzeug) und Amedeo Pace (Gitarren und Gesang) sowie dessen Ehefrau Kazu Makino besteht, die als Sängerin, Gitarristin und Keyboarderin fungiert. Die ungewöhnliche Kombination aus zwei italo-amerikanischen Zwillingsbrüdern und einer japanisch-amerikanischen Kunststudentin konnte natürlich nur an einem einzigen Ort der Welt entstehen: in einem italienischen Restaurant in New York City.

Dieses Jahr erschien ihr siebtes Album, kurz 23 betitelt, auf dem bekannten 4AD Label. Blonde Redhead entfernen sich auf diesem weiter vom feedback-durchtränkten Indie-Rock und nehmen neue Elemente in ihren Sound auf. Sogar nach dieser Veröffentlichung, die ihnen in den USA viele positive Kritiken einbrachte, dürften hierzulande nur diejenigen den Namen der Band kennen, die sich häufig mit amerikanischem Indie-Rock beschäftigen. Knapp dreihundert vornehmlich junge Fans haben sich dennoch am Samstagabend im Karlstorbahnhof versammelt, um den Auftritt der Band zu erleben.

Das Konzert zeigt in aller Deutlichkeit, in welche Richtung die Band ihren Sound weiterentwickelt hat. Blonde Redhead verwenden neuerdings elektronische Loops, die als Grundlage für Gitarren und Schlagzeug dienen und die Funktion des Basses übernehmen. Simone Pace ist ein außergewöhnlich präziser und kontrollierter Drummer, der den Songs ein genau bestimmtes Tempo verleiht. Gleichzeitig erhalten die Gitarren genügend Raum durch seine unauffällige, aber effektive Spielweise. Kazu Makino und Amedeo Pacen erzeugen dazu mit den Gitarren, zu denen gelegentlich ein Keyboard hinzugefügt wird, einen wall of sound, der sich vornehmlich durch seine Elastizität und Offenheit auszeichnet und selten sperrig oder gar aggressiv wirkt.

Abwechselnd übernehmen Kazu Makino und Amedeo Pace die Gesangsparts. Kazu zieht durch ihre hohe Stimme die Aufmerksamkeit auf sich. In hervorragender Weise ist ihr Gesangsstil in layers of layers of guitars eingewoben. In manchen Augenblicken erinnert sie an Mimi Parker von Low, dann an Björk, ohne dabei ihren eigenen Charakter zu verlieren. Wenn Amedeo Pace den Gesang übernimmt, dann klingt die Band hingegen konventioneller und die Wurzeln der Sonic-Youth-Schüler treten deutlicher hervor.

Durch die ständige Wiederholung rhythmischer Elemente entsteht ein hypnotischer Klang, der an My Bloody Valentine erinnert. Trotz des alles durchdringenden Sounds wirkt die Band außerordentlich kontrolliert. Sie will ihr Publikum nicht mit übermäßiger Lautstärke an die Wand spielen, sondern methodisch gekonnt in ihre Klangwände einschließen und wieder entlassen. Feedback-Orgien oder ausgelassene Schlagzeugsoli sind nicht Teil des Programms.

Es gibt Momente an diesem Abend, da funktioniert das Redhead-System nicht. Dann mäandern die Lieder unspektakulär dahin und aufgrund der Ausdruckslosigkeit der Musik kehrt Langweile ein. Kurz darauf gelingt es Blonde Redhead jedoch wieder, mit hell leuchtender Intensität beim Publikum einen tiefen Eindruck zu hinterlassen. Insgesamt ist es ein gelungenes Konzert einer Band, die sich erfolgreich daran gemacht hat, neue Wege einzuschlagen. Man kann nur hoffen, dass sie auch in Deutschland viele Fans gewinnen werden.

Wie nicht anders zu erwarten, ist dies kein Konzert zum Mittanzen oder Abfeiern. Die Band kommuniziert kaum mit dem Publikum. Erst als ein Zuschauer - irgendwann des Schweigens müde - „Hi!“ ruft, scheinen die Musiker das Publikum wahrzunehmen, verabschieden sich von ihrer Shoegaze-Mentalität und richten einige Worte an das Publikum. Allerdings nicht bevor sie sich erkundigt haben, ob dieses auch Englisch versteht. Die Stimmung ist dennoch ausgesprochen gut und die jungen Fans bejubeln die Band so ausgelassen, wie es bei einem solchen Konzert möglich ist. Vor der ersten Zugabe schreit sich ein Fan vor der Bühne die Seele aus dem Leib, er will „Please! Please!“ unbedingt ein bestimmtes Lied hören, erfährt aber von Kazu Makino, dass sie ihm seinen Wunsch nicht erfüllen kann. Die Begeisterung des Publikums ist jedoch ungetrübt und er ausdauernde Applaus veranlasst Blonde Redhead noch für eine zweite Zugabe zurückzukehren. Nach knapp zwei Stunden ist das Konzert vorüber.

Nachsatz: Auf der Rückfahrt bemerke ich zwei jugendliche Anhalter, die an einer Bushaltestelle stehen. Ich halte an und nehme sie den erstaunlich kurzen Weg mit (die Jugend von heute!). Auf der Fahrt kommen wir ins Gespräch und sie fragen mich, wo ich den Abend verbracht hätte. Im Karlstorbahnhof entgegne ich, beim Konzert der Band Blonde Redhead. "Nie gehört! Was machen die für Musik?" "Nun", entgegne ich, "kennt Ihr Sonic Youth?".

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