Staatliche Kulturförderung braucht nicht an der Grenze zur „Hochkultur“ enden sondern kann sich auch auf die Popkultur erstrecken. Im besten Fall verbindet sie beides und nimmt Jugendarbeit gleich mit. regioactive.de sprach mit Andreas Kimpel, der diese Zielsetzung in Gütersloh vorantreibt – mit dem Vorbild des Mannheimer Modells und mit ganz eigenen Ansätzen.

Herr Kimpel, wie sieht denn der Ist-Zustand in Gütersloh bzgl. öffentlicher Förderung von Popkultur aus und in welche Richtung soll es grob gehen?

Um die aktuelle Situation verstehen zu können, müsste ich zunächst ein Stück weit in die Vergangenheit ausholen. Vor 3-4 Jahren wurde die Rockakademie OWL (Ostwestfalen-Lippe) mit Sitz in Herford gegründet. Unterstützt wurde diese Einrichtung durch das Land Nordrhein-Westfalen mittels der Kulturförderung. Es wurden die klassischen Instrumente benutzt, d.h. Instrumentenpool, Bandcontests etc. Nach drei Jahren stellte man fest, dass diese Institution sehr stark an einer Person hing, die nur auf partielle Akzeptanz in der Szene stieß, nur partiell erfolgreich war und letztendlich doch eher einen lokalen als einen regionalen Anspruch einlösen konnte. Was dazu führte, dass die Förderung des Landes im letzten Jahr eingestellt wurde. Ganz unabhängig davon gab es eine Entwicklung, die mit meiner Person und der Stadt Gütersloh zusammenhängt. Ich hatte dabei durchaus ein Akademie-Modell á la Hochschule in Mannheim vor Augen, wissend, dass Mannheim jedes Jahr 5-600 Bewerber wieder nach Hause schickt. Und davon haben sicher mindestens 20-30 Leute das Zeug für ein derartiges Studium. Auch könnte man das ganze z. B. Richtung ethnischer Musikfarben erweitern. Weiterhin stand in Gütersloh die Frage nach einem neuen konventionellen Theater an. Meine Absicht war diese Diskussion zu beleben und die Themen Theater und Rock/Pop-Musik miteinander zu verbinden. Auch um kulturpolitisch neue Tore zu öffnen, um jüngeres Publikum ansprechen zu können und die leidige deutsche Diskussion über U- und Hochkultur aufzubrechen.

Wie konkret waren diese Ansätze?

Es war ein ehemaliges Industriegelände zum Zweck des Theaterbaus mit einer direkt angrenzenden Rock-Popakademie nach dem Mannheimer Vorbild mit Konzertsälen direkt vor Ort angedacht. Ebenso Tonstudios und Start-Ups vergleichbar mit dem Mannheimer Musikpark. Die Arbeit der Rockakademie OWL hätte hier in Richtung Breitenarbeit kanalisiert werden können um so auch den Nährboden für die eigentliche Akademie zu bilden.

Hatten Sie das als eine rein städtische bzw. staatliche Angelegenheit geplant?

Nein. Die Realisierung sollte in Form einer Partnerschaft mit einem der größten Medienkonzerne der Welt - Bertelsmann -, der zufällig in Gütersloh sitzt, umgesetzt werden. Es war wohl naiv von mir anzunehmen, dass was für Universal in Mannheim interessant ist (Universal Music ist Teilhaber der Popakademie, Anm. d. Red.), könnte auch für BMG als Bertelsmann-Tochter in Gütersloh interessant sein. Und was Xavier Naidoo für Mannheim anstieß, hätte vielleicht auch ein Peter Maffay in Gütersloh bewirken können. Was ich nicht wusste, war, dass Bertelsmann zu dieser Zeit mitten in der strategischen Positionierung von Sony und BMG war. Es gab zeitgleich auch Turbulenzen bzgl. des Aktienmarktes. Das hat sich für mich dann allerdings erst später durch Zeitungslektüre erschlossen. Jedenfalls hat uns der Vorstand seinerzeit signalisiert, dass man durch das Joint Venture von Sony BMG erst mal andere Dinge zu regeln habe. Dann wurde auch das vorgesehene Gelände verplant. Und ein Theater wird nun gebaut.

Das heißt diese Vorhaben nach Ihrer Vorstellung sind im Sand verlaufen?

In dieser Form schon. Aber eins ist passiert: Es ging ein Ruck durch die Region, das Thema Rock und Pop stand plötzlich oben auf der Agenda und das auch noch im Zusammenhang mit Theaterbau. Das hat auf jeden Fall viele Diskussionen ausgelöst, über den Kulturbegriff, die Sinnhaftigkeit der Förderung von Popularmusik und auch über die der Rockakademie in Herford. Diese Resonanz hat zumindest angestoßen, dass darüber verhandelt wird ob und wie das Thema wieder neu angepackt wird. Es gab ein Symposium, bei dem auch Markus Sprengler kuratierte, dessen Ergebnis war, das Thema in Ostwestfalen kulturpolitisch neu anzukurbeln. De Facto bildeten sich diverse Grüppchen, die nun bis Juni Konzepte ausarbeiten, die dem Land Nordrhein-Westfalen präsentiert werden, um auszuloten welche Fördermöglichkeiten existieren. Dabei können die unterschiedlichsten Dinge eine Rolle spielen, von Akademie bis hin zu Aktivität an Schulen und Bandcontests.

Inwieweit sind Sie derzeit involviert?

An der Konzeption bin ich nicht beteiligt, bei der Endredaktion der Konzepte werde ich aber dabei sein. Als drittes Element kommt auch noch ein regionales Kulturkoordinationsbüro hinzu, das sich während dieser Phase neu gründete. Eine regionale Marketinggesellschaft, die sich – nach Wunsch von mir und etlichen Kollegen – nicht nur die klassischen Kulturthemen auf die Fahne schreibt sondern eben auch Rock und Pop-Themen. Ja, soweit sind wir jetzt.

Also alles in allem geht es allgemein um die Frage, was kann und soll kulturell gefördert werden. Und speziell bildet Ihr Konzept das Mannheimer Modell in seiner ganzen Breite ab und ergänzt dies noch durch Theater. Momentan kann im Prinzip alles herausspringen …?

Die gebaute Akademie nun leider nicht mehr, aber die Anstöße waren der Auslöser für diesen „Rock-Pop Flächenbrand in OWL“ wie kich das jetzt mal nennen will. Was letztendlich schon mal gut war. Und die Arbeitsgruppen sind sehr bunt und dezentral aufgestellt, von der Szene bis hin zur Kulturwirtschaft.

Was sind denn nun Ihre Erwartungen, nachdem Sie ja nicht unbedingt bescheidene ursprüngliche Zielsetzungen hatten?

Im Prinzip sind es drei Ebenen. Das lässt sich mit Breiten- und Spitzensport vergleichen, die ja auch voneinander abhängen und sich wechselseitig bedingen. Und ich hätte gern eine gute regionale Breitenförderung mittels einer Matrix-Vernetzung zwischen den Kommunen und gleichermaßen eine Eliteausbildung mit Kompetenzen in den Bereichen Kulturmarketing und Kulturwirtschaft. Also wie in Mannheim aber etwas weitergehender. Und das Ganze in Vernetzung mit der Musikhochschule in Detmold, die den klassischen Bereich abdeckt und in Paderborn, wo der musikpädagogische Ansatz im Vordergrund steht. Im weiteren Ausbau wäre ein Hochschulnetzwerk vorstellbar, da käme dann auch wieder Mannheim ins Spiel.

Für Mannheim war die Arbeit am eigenen Image eine wesentliche Motivation beim Engagement in Richtung Popkultur. Im Prinzip wurde und wird dies auch derart kommuniziert, dass es darum gehe, ein Stück weit den Metropolen wie Hamburg, Berlin oder Köln die Stirn zu bieten. Inwieweit spielt das in Gütersloh auch eine Rolle?

Mit einer derartigen Argumentation hätte ich hier derzeit keinen leichten Stand. Eine solche Standortdebatte spielt momentan lokalpolitisch keine Rolle und man fokussiert sich eher auf das Theater.

Wie ist denn ihr persönlicher Hintergrund zum Thema Rock- und Popkultur?

Ich war viele Jahre Leiter des Kulturamtes in Bielefeld. Zu der Zeit als Dieter Gorny (VIVA-Mitgründer, derzeit künstlerischer Direktor für Essen als Kulturhauptstadt Europas 2010, Anm. d. Red.) Leiter des Rock- und Pop-Büros in NRW war, habe ich eine der ersten Musikinitiativen in diesem Bereich mit aufgebaut: die „Auftakt“. Das war so Mitte der 80er, Anfang der 90er, das waren die Anfänge. Der andere Punkt ist der, dass ich auch Schul- und Jugenddezernent bin und einfach sehe, dass wir mit herkömmlichen Kulturformen viele Menschen nicht mehr erreichen. Ich glaube, dass die Sprache der Rock- und Popkultur viel ernster genommen werden muss, damit wir auch über ein Kulturpublikum von Morgen reden können. Daher auch die Verbindung zum Thema Theater bis hin zum Wunsch nach einer Veränderung im Musikunterricht. Gerade in den Hauptschulen wird vielfach keine Perspektive mehr gesehen. Wenn ich aber  dort Talente in den Bereichen Rap und HipHop feststellen kann, dann sollte man doch dort die Jugendlichen abholen und ihr Selbstbewusstsein stärken. Bei all dem muss es aber erst mal darum gehen, dass diese Themen erkannt werden und in die Politik und in die Medien Einzug halten. Und in Gütersloh haben wir mit der Kreis-Musikschule, die nun erstmals auch Unterricht im Popularmusik-Bereich gibt und Projekte an Schule durchführt, auch erste greifbare Früchte!

Ein letzter Aspekt: In Mannheim ist viel passiert und tut es noch. Ein Problem bleibt aber die Situation im Bereich der Live Clubs und ich wage auch zu behaupten, dass das hiesige Publikum dem Anspruch einer Popmetropole nicht unbedingt gerecht wird, was das prinzipielle Interesse an Live Musik betrifft. Wie schätzen Sie denn den Faktor Nachtleben in Gütersloh ein?

In der Nacht ist es hier dunkel. Das ist keine Stadt der Clubs im Sinne von Szene. Aber das Umfeld halte ich für sehr geeignet um kreativ zu arbeiten. Die tollsten Studios liegen doch meist in ländlichem Raum. Sessions auf Bauernhöfen, die zu Live-Auftritten führten, sind in mir in bester Erinnerung. Man sollte ruhig versuchen, die Leute rauszuholen. Inspiration ist vorhanden, das muss nicht über die Stadt passieren. Wellness für Rock und Pop möchte ich’s mal nennen. Dafür werde ich vielleicht belächelt, aber was fördere ich denn mit Kulturhauptstadt-Debatten? Meine These ist die, dass die Kultur Europas zu 80 Prozent in kleineren und mittleren Städten stattfindet. Diese Räume möchte ich gerne stärken, in diese Nischen möchte ich gehen.

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