Joan Baez (Rosengarten 2007)
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Joan Baez (Rosengarten 2007) Photos: Jonathan Kloß © regioactive.de

Es gibt eine wunderschöne aber ungekrönte Prinzessin der Folkmusik: Joan Baez, die auf 40 Jahre Musikgeschichte zurückblickt und ein Set präsentierte, das moderne, von aktuellen Themen inspirierte Lieder ebenso umfasste wie Klassiker der Folkmusik.

Es war einmal eine junge, wunderschöne Prinzessin. Ihre Stimme war rein und klar und sie besang mitleidsvoll das Unrecht der Welt. Eines Tages traf sie einen jungen Prinzen aus einem fernen Land. Seine schneidenden Worte waren wie Schwerthiebe gegen Unrecht und Unterdrückung und hallten im ganzen weiten Königreich wider. Die junge Prinzessin verliebte sich und verzauberte den jungen Prinzen: gemeinsam sollten sie das Traumpaar der Folkmusik werden, gemeinsam sollten sie die Welt zum Besseren verändern. Eine Zeit war ihr Glück unbeschwert, sie spielten gemeinsam für Martin Luther King, als der seinen Traum von Amerika beschwor.

Dann jedoch zerbrach das junge Glück. Inspiriert von einer Band aus dem fernen Avalon erwarb der Prinz eine E-Gitarre, zog Lederjacke und Sonnenbrille an und schrieb ein Lied namens Like A Rolling Stone. Danach sollte nichts mehr so sein, wie es vorher einmal gewesen war. An der Herrschaft über das Königreich der Folkmusik war er danach nicht mehr interessiert. Dass Joan Baez die Zurückweisung durch ihre große Liebe bis heute nicht wirklich überwunden hat, ist jedem bekannt, der Martin Scorseses meisterhafte Dokumentation No Direction Home gesehen hat.

Während der junge Prinz fortan sein Leben der Rockmusik widmete, blieb Joan Baez die ungekrönte Prinzessin der Folkmusik, deren politisches Engagement bis zum heutigen Tag andauert. So gelang es ihr auch, anlässlich ihres Auftritts im ausverkauften Mannheimer Rosengarten am Sonntagabend, das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Ihre Stimme ist auch nach mehr als vierzig Jahren intakt, ihre Leidenschaft ungebrochen. Dabei präsentierte sie ein Set, das moderne, von aktuellen Themen inspirierte Lieder ebenso umfasste wie Klassiker der Folkmusik, die sie bereits am Anfang ihrer Karriere aufgenommen hatte.

Es wird den Leser nicht überraschen, dass viele ihrer Lieder einen starken politischen Charakter haben, beispielsweise ihre bewegende Interpretation von Tom Waits’ Day After Tomorrow, ein aus der Perspektive eines Soldaten geschriebenes Lied, das einen Abgesang auf die Idealisierung von Soldaten als Freiheitskämpfer darstellt. Baez’ deutsch gesungene Version von Konstantin Weckers Wenn unsre Brüder kommen geht noch einen Schritt weiter, indem es die „feindlichen Soldaten“ als Brüder darstellt. Zu With God on Our Side bemerkt sie, dass sie dieses Lied eigentlich nur noch in durch Kriege zerstörten Ländern wie Deutschland oder Bosnien singen wollte, es ihr jetzt aber wieder notwendig erscheint, den Song auch in den USA zu singen.

Anerkennenswert ist ihr Versuch, es dem Publikum nicht zu einfach zu machen, ihm nicht nach dem Mund zu singen: For Sascha ist ein mahnendes, wenn auch – aufgrund seiner etwas banalen Versöhnungsbotschaft – etwas kitschiges Lied, das die Wirkungen des Holocausts im Nachkriegsdeutschland thematisiert. Es wurde offenbar durch ein Erlebnis auf ihrer ersten Deutschlandtournee inspiriert, als der von ihr im Publikum schmerzlich vermisste Fritz Rau ihr Promoter war. Mit aktuellen politischen Problemen befassen sich zudem die beide Steve Earle-Songs Jerusalem und Christmas in Washington, wobei das letztere allerdings mit seinem allzu oberflächlichen Wunsch, Woody Guthrie möge zurückkehren, qualitativ etwas abfällt.

Häufig greift Baez auch auf herausragende Lieder moderner Komponisten zurück, die keinen oder nur einen vagen politischen Charakter haben. Zu den Höhepunkten des Konzertes zählen Elvis Costellos Scarlet Tide und eine glänzende Interpretation von Gillian Welchs Caleb Meyer, das sie als irische Folkballade arrangiert, die aus unvordenklicher Zeit stammen könnte. Überraschend und glänzend interpretiert sie einen der Klassiker der Carter Family, Gospel Ship, das durch den wunderbaren Harmoniegesang ihrer Bandmitglieder Erik Della Penna und Graham Maby lebendiger und authentischer wirkt als ihre Aufnahme für In Concert aus dem Jahre 1962. Der am heftigsten bejubelte Song ist – für den Schreiber dieser Zeilen etwas überraschend – Love Is Just A Four Letter Word.

Der ein oder andere Tempowechsel hätte dem Konzert ohne Zweifel gut getan, aber im Allgemeinen gelingt es Baez mühelos den Abend abwechslungsreich zu gestalten. Sie spielt keineswegs durchgehend die Rolle der bierernsten Predigerin, sondern unterhält das Publikum mit Charme und Witz. So blickt sie zurück auf ihre Jugendzeit, als sie von den Einkünften ihrer ersten Platte zur Verblüffung eines Autohändlers einen Jaguar kaufte oder erinnert sich an ein Erlebnis in einem deutschen Hilton-Hotel, als sie gemeinsam mit ihrer Band nach einer Show in deren Küche Essen zubereitete, weil das Küchenpersonal schon lange Feierabend hatte. Auf diese Weise schafft sie eine entspannte, sympathische Atmosphäre, die das Publikum sichtlich zu schätzen weiß. Allerdings versteht sie es auch das Publikum zu necken, indem sie beispielsweise ein Hustenbonbon in unmittelbarer Nähe des Mikrophons zerbeißt, woraufhin ein unangemessen lautes Geräusch des Zersplitterns durch den Konzertsaal hallt. „Das sollte man nie machen“, ruft sie dem sich entsetzt abwendenden Publikum zu.

Zum Ende des Konzertes erheben sich die ersten Zuschauer und spendieren Standing Ovations. Joan Baez verneigt sich und besingt in Diamonds & Rust ihre Liebe zu dem verflossenen Prinzen. Nachdem sich fast das ganze Publikum erhoben hat, verlässt sie die Bühne, die Organisatoren schalten die Beleuchtung an und beginnen den Saal zu beschallen. Unverdrossen applaudieren die Zuschauer und fordern eine weitere Zugabe, die sie mit Bettina Wegners Lied Kinder auch erhalten. Wenn man bedenkt, dass Joan Baez darüber nachdenkt ihre Karriere zu beenden, dann kann man dies angesichts des Auftritts im Rosengarten nur bedauern und hoffen, dass sie diese Ankündigung nicht wahr macht. Das vornehmlich aus über 50-jährigen bestehenden Publikum kämpft anschließend am grotesk überteuerten Merchandising-Stand um Devotionalien für den Hausschrein. Aber nach einem so schönen und harmonischen Konzert gibt man ja auch gerne mal ein paar Euro mehr aus.

SETLIST

Mit Band: Farewell Angelina – Scarlett Tide – Gospel Ship – With God On Our Side – Caleb Meyer – Long Black Veil – Stand By Me – El Preso Numero Nueve (?)– Christmas in Washington

Solo: Wenn unsere Brüder kommen – Carrickfergus – Finlandia – For Sascha – Jesse – Day After Tomorrow – Love Is Just A Four Letter Word

Mit Band: Jerusalem

Solo: 1. Zugabe: Sag mir wo die Blumen sind – Diamonds & Rust – 2. Zugabe: Kinder

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