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Mardi Gras BB © Jonathan Kloß

Nach einem Ausflug in puristische Dreierbesetzung meldet sich Mardi Gras.bb mit dem siebten Album "The Exile Itch" und Deutschlandtour wieder in voller Besetzung zurück. Ihr "Statement zum Pop" hat mit aalglatten Musikverständnis ebenso wenig zu tun wie ihre Bläserarrangements mit altbackenen Blaskapellen. Großartig und zwischen alle Stühlen, auf der Bühne wie von der Tonkonserve.

Die gut gefüllte Feuerwache in Mannheim darf sich zunächst mit den Hazelwood-Kollegen The Great Bertholinis aufwärmen, deren musikalischer Entwurf nicht allzu weit von dem der Mardi Gras.bb entfernt liegt. Dass die Bertholinis allesamt Brüder sind und aus einer fahrenden Artisten-Dynastie aus dem kleinen ungarischen Dorf Átánly stammen, gehört zu den netten Legenden mit denen Hazelwood Lichtblicke in das triste Dasein der Musikjournallie zwischen den üblichen Promo-Waschzetteln wirft. Danke auch. Und wer sich vorstellen kann, dass er einer leidenschaftlichen Mischung aus Calexico, Tom Waits, Zirkusmusiken und etlichem mehr etwas abgewinnen kann, ist mit den Brüdern und deren Debüt Objects travel in more than one Direction aller bestens bedient.

Nach kurzer Pause bringt sich die Mardi Gras.bb mit Pauken und Trompeten in Position. Mittelpunkt zwischen all dem Blech ist Doc Wenz an Mikrofon und Gitarre, die aus den massiven Bläserarrangements um sie herum genauso heraus sticht wie der Gesang: Schnoddriges sechssaitiges Sägen und kehlig-krächzende Stimme betten sich in teilweise schlichtweg exzellente Bläserarrangements und eine ungemein groovende Rhythmusgruppe, die cooler wirkt als Shaft zu seinen Glanzzeiten. Egal ob Swamp-Blues oder ob eher Soul, Country, Funk oder Pop durchschimmern – im Repertoire der Band verbirgt ohnehin so gut wie jeder erdenkliche Musikstil. Die Essenz steckt in emotional starken Songs, die sich auch ohne das mannigfaltige Beiwerk tragen würde, das Bläser und Groove-Maschinerie ihnen angedeihen lassen. Aber deren Ausschmückungen machen sie zu den einzigartigen Unikaten, die an diesem Abend live von der Leine gelassen werden.

Effekthascherei ist bei der neunköpfigen Besetzung nicht nötig. Nonchalance paart sich mit Leidenschaft, die sich am sichtbarsten im von einer Unzahl roter Locken umrahmtem Saxofonspiel Lömsch Le Mans manifestiert – was Wunder, denn laut Conferencier Wenz handelt es sich bei ihm doch um die „Legende der Leidenschaft“. Die Publikumsansprachen des Doc bieten Entertainment in höchsten Dosen. Mit den Worten "welch mutiger Entwurf" nimmt er die Illumination des neu gestalteten Alten Messplatzes vor der Feuerwache aufs Korn – ein Entwurf, der ihn mal wieder davon abhalte sich in der Lokalpolitik zu engagieren, wodurch er ansonsten binnen zweier Wochen unter Zuhilfenahme vierlagigen Toilettenpapiers kalt in einem WC hängend enden würde. Die Popakademie macht er mit der Frage mundtot, ob Pop nicht eigentlich „der Aufschrei der Dilletanten“ sei. Pointiert und unterhaltend gehen diese Statements so flüssig in die Songs über, dass der Abend mit jeder dieser „Ansagen“ auch musikalisch an Fahrt gewinnt.

Bei allem Respekt, den man dem Doc für diese Einlagen neben Gitarrenspiel und Gesang zollen muss: links und rechts flankiert von Edelgebläse und ein beständig Tanzbefehle produzierendes Rhythmus-Trio im Rücken – was soll da noch schief gehen? Zumal unmittelbar hinter dem Doc Reverend jedes saitenbasierte Bassspiel entbehrlich gemacht wird: Uli Krug und sein Sousaphon sorgen dafür; der Mann, der laut Wenz „an seinem Instrument so schwer trägt wie an der Band .... sie  erschaffen und dereinst auch in sein kaltes Grab mitnehmen wird“. {image}

Es wird nicht nur vom neuen Album geblasen, auch alte Mardi Gras.bb Klassiker schmuggeln sich ins Programm. Einzig vermisst wird DJ Mahmut. Der türkische DJ, der das Soundbild normalerweise um zwei Turntables erweitert, geriet bei einem Türkei-Aufenthalt an die dortigen Ordnungskräfte und muss nun seinen Wehrdienst ableisten. Doc Wenz sähe an seiner Stelle in diesem Fall nur vierlagiges Toilettenpapier als Lösung ... Nach 90 Minuten Konzert ist die Band für massig lachende Gesichter und reichlich Konsum eines Rotweins verantwortlich, den man sonst nicht unbedingt freiwillig trinken würde. Aber Gott sei Dank sind Mardi Gras.bb schon geschmackvoll genug.

Nach dem letzten Song „now that we’re gone“ ,der gleichzeitig der erste des neuen Albums darstellt, folgt noch ein traditionelles „Special“. Die Bläser-Sektion der Band verlässt die Bühne und führt die Zuschauer in einer Art Brass-Polonaise in Richtung Merchandise-Stand.

Mardi Gras.bb bläst alles weg. Nur Doc Wenz schnallt seine Gitarre gar nicht mehr ab. Damit schlägt er denjenigen Kritikern "eine warme, weiche Windel ins Gesicht", die ihm Schlaf und Nerven raubten, nachdem er erstmals zur Gitarre gegriffen und die Band damit vom puristischen Brass-Sound entfernt hatte. Watch out für die Tourtermine.

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