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Nach dem das vielköpfige Brass-Monster sich auf der letzten Platte zum Trio reduzierte, ist nun wieder die komplette Mannschaft an Deck des dreckig groovenden Mississippi Dampfers. Mit der neuen CD The Exile Itch und Live-DVD meldet sich die einzigartige Kreuzung aus New Orleans-Blaskapelle, Soul, Pop, Blues, Indie usw. zurück. regioactive.de traf die beiden Köpfe der vielköpfig tönenden Hydra, Doc Wenz und Uli „Reverend“ Krug zum Plauderstündchen.

Als Treffpunkt für das Interview wählt der Doc das Cafe Herrdegen: Was eine Bekannte despektierlich aber nicht unzutreffend als „Oma-Cafe“ katalogisiert. Ich werde aber schnell darüber aufgeklärt, dass das Herrdegen kein beliebiges Cafe ist, sondern 1838 die Brutstätte des Mannemer Dreck war, also durchaus zeitlose Relevanz und rebellische Tradition besitzt. Was somit sicherlich besser zum Anlass passt als der jüngste Medien-Musik-Szene-Treff ...

 Hier lang zu Review & Bildergalerie des Release Konzerts in Mannheim

 The Exile Itch ist euer siebtes Album und kommt gleichzeitig mit einer Live DVD auf den Markt – ein dickes Paket nach eurem abgespeckten Dreier des letzten Albums. Aber es wahr wohl immer klar, dass die Reduzierung auf ein Trio nur ein Zwischenspiel sein würde?

DW: Es war von Anfang an klar, dass The mighty Three nicht die neue Version der Mardi Gras.bb (im folgenden MG.bb) oder gar deren Sparausgabe aus finanziellen Gründen würde. Wir haben das ganz bewusst gemacht, weil wir darauf Lust hatten, weil wir andere Musiken bedienen konnten als mit einer so großen Band. Es ging auch darum, gewisse Verkrustungen zu lösen, die nach 10 Jahren mit so großer Besetzung einfach unvermeidlich sind.

Verkrustung - wer zählt denn alles zum festen Kern der Mardi Gras.bb?

{image}UK: Mittlerweile kommen wir auf ca. 20 Mitarbeiter. Unverrückbare Bestandteile sind der Doc, Erwin (Ditzner, dr., Anm. d. Red.) und ich. Um diesen Kern herum haben wir einen gewissen Anteil an langjährigen Mitstreitern, aber auch etliche jüngere Leute. So eine Struktur ist notwendig um das ganze Jahr über spielen zu können – wir brauchen eine gewisse Ersatzbank. Zum Thema Verkrustung möcht ich noch sagen, dass wir einfach festgestellt haben, dass wir im Lauf der Jahre in so ein Fahrwasser von Blechfanatikern geraten sind, die auf ein sehr puristisches Brass-Klangbild stehen. Die haben sich auch schon gewundert, als die Gitarre mehr Raum bekam. Es war uns ein Anliegen, einmal klarzustellen dass wir das nicht bedienen und in dieser Richtung eigentlich keinerlei Ambitionen haben. Es ging uns immer darum, mit diesem Klangkörper moderne Musik zu machen, ein Statement zur aktuellen Popmusik abzugeben.

DW: Es kann ja nicht das Kriterium sein, dass Musik in Abhängigkeit der Anzahl der Bläser gut oder schlecht ist: „Alles was aus Blech ist und trötet ist gut, alles was mit Saiten gespielt und verstärkt wird, ist schlecht.“ Das erinnert mich auch daran, wie Dylan kritisiert wurde, als er begann elektrisch zu spielen. Natürlich spielen wir das gerade anekdotisch hoch, aber das waren schon Parameter für uns, The Mighty Three zu machen. Letztendlich ist die MG.bb ein historischer Zufall. Wir hätten uns auch als ganz anderer Entwurf gründen können. Aber als Uli aus New Orleans zurückkam war eben das unser Thema, unter dem frischen und inspirierenden Eindruck des dortigen Soundbildes. Letztendlich haben wir uns diesen Genres bedient, wie wir uns auch im Laufe von sieben Alben anderer Genres bedient haben.

Gut, diese Puristen kennt man umgekehrt auch seitens der E-Gitarre: Alles, was nicht fies verzerrt ist, ist Schlager und Popmüll ...

UK: Es gibt da eine Art Bruderschaft der Blechbläser, die das überwacht. Produktiv ist das nicht.

Bleiben wir noch ein wenig in der Vergangenheit: Uli, das Sousaphon kam erst nach deinem New Orleans-Aufenthalt zur Geltung, vorher warst du Basser bei Guru Guru?

{image}UK: Ja, aber was für meine Historie prägender war, war die Band Sanfte Liebe. Den Bands vor MG.bb war aber durchweg gemeinsam, dass die im Verhältnis zum Publikum eine Konzerthaltung innehatten, die es uns mit der MG.bb gelungen ist, zu durchbrechen. Dieses „ich hab Eintritt bezahlt, jetzt macht mal“-Ding. Mit der MG.bb war immer die Möglichkeit gegeben, aus dem Publikum zu kommen oder ins Publikum zu gehen, was von Anfang an ein anderes Bewusstsein erzeugt hat. In New Orleans oder bei unseren ersten Konzerte in Frankreich war ich zum ersten Mal auf Konzerten bei denen von Anfang an getanzt wurde! Also eher die Einstellung „ich bin jetzt hier und möchte mich amüsieren“. Für mich damals ein sehr wichtiges Ding.

Also für deinen musikalischen Werdegang vom Kopf in den Bauch, bzw. in die Beine?

UK: Jedenfalls ein bewusster Schritt: Ich habe entdeckt, dass mir Tanz etwas bedeutet, dass ich ein Faible für Latino-Musik habe und gerade diese Second Line-Grooves, die in diesem Brass Band-Genre extrem präsent sind und diese Funk und Soul-Sachen, die daraus kommen, haben eine starke Faszination auf mich ausgeübt. Als ich das erste Mal die Dirty Dozen Brass Band gehört hab – was die Drummer in Kombination mit dem Sousaphon machten, war eine Art Erleuchtung. Das ist nun eine Weile her und hat sich im Lauf der Zeit natürlich verändert.

DW: Besonders in Deutschland ist es ja so, dass Kopf vs. Bauch so ein Grundkonflikt ist. Das Dumme ist, dass wir in unserer deutschen Gründlichkeit dazu neigen Gräben zu ziehen und Mauern zu bauen. Was mir an MG.bb gefällt und worauf ich stolz bin ist, dass wir eben eine Band sind, die ganz bewusst versucht diesen Konflikt ad absurdum zu führen. Dieser Grundkonflikt ist schrecklich humorlos: Entweder du bekennst dich zum Kopf. Aber wehe, es grooved dann, dem Sinnlichen hast du nun abzuschwören. Umgekehrt wird Musik, die physisch, sexy und körperlich ist, sehr schnell unterstellt, dass sie nur flach sein kann, und auch die Texte stehen dann in dieser Sparte. Und diese Missverständnisse haben wir als Reaktionen auf unsere CDs oft erleben dürfen. Unser Konzept schein für viele provozierend zu sein, obwohl ich nicht weiß, was daran provokant sein soll: Musik, zu machen, zu der man Tanzen kann und bei der die Mundwinkel in die Höhe gehen, und trotzdem, na sagen wir mal, sich auf einem intellektuell ansprechenden und interessanten Niveau zu bewegen. Sei es auf Grund der Art, wie es musikalisch umgesetzt wird, auf Grund der Reminiszenzen oder auf Grund der textlichen Inhalte. Ausgehend zu deiner Frage: Sanfte Liebe, deren großer Fan ich war – ich bin wesentlich jünger als Uli -, war der Kopf, MG.bb anfangs der Bauch und seit einigen Platten springen wir munter hin und her. Mit dem neuen Album sind wir wieder sehr stark beim Kopf.

Eine interessante Einschätzung. Denn als kopflastig hätte ich The Exile Itch nicht eingestuft.

{image}DW: Innerhalb unseres Universums ist das schon so. Im Verhältnis zu unseren anderen Alben. Das Gute an The Exile Itch ist allerdings, dass die Platte, für sich allein genommen, niemandem als verkopft oder unsensorisch erscheinen wird. Ich denke, das Album ist sehr warm. Ich finde die Platte in bestimmten Momenten umhüllend wie einen Wintermantel, und obwohl die Rhythmen sehr binär sind und aus dem Rockbereich kommen, hat man das Gefühl, dass sich das Ganze bewegt und schwingt, Luft und Platz hat und auch grooved.

UK: Wir haben uns bislang immer in den musikalischen Randbereichen aufgehalten. Mein persönliches Credo zu dem neuen Album ist, dass dies unser eindeutigstes Statement zur Popmusik ist.

In der Gesamtschau eurer Platten: Die ersten 5 Alben waren eine Pentalogie (Anm. d. Red.: jede Scheibe bildet eine Dekade musikalisch ab.), danach kam der Bruch mit The mighty Three ...

DW: Ja, ein Stoppstein ...

... was ist in diesem Zusammenhang Exile Itch? Ein Neuaufbruch, wie der erste Song Now that we’re gone nahe legt? Wohin? Habt ihr analog zu dieser Pentalogie ein weiteres Konzept im Hinterkopf?

DW: Ganz bewusst nicht. Beim ersten Album tatsächlich schon ans fünfte zu denken, ist nun abgehakt. Nach meinem Gefühl wird es nun wesentlich anarchischer zugehen. Es kann sein, dass zwischen dem nächsten Album und diesem überhaupt kein Zusammenhang bestehen wird. Jetzt dürfen wir das. Und in dieser Abfolge ist The Exile Itch in der Tat ein neuer Anfang.

Der Ansatz, fünf Alben in einer gewissen Linie zu machen, ist natürlich wirklich „verkopft“, wobei es sicherlich die Frage bleibt, wie das dann umgesetzt wird.

UK: Das hat sich auch durch den Klangkörper angeboten. Wir haben als Straßenmusikanten mit Coverversionen von New Orleans-Bands angefangen. Nachdem wir mit Alligator Soup unseren ersten Meilenstein hinbekamen, gab es immer wieder Themen, die gereizt haben. Supersmell als Club Album oder Zen Rodeo, wo es um Country ging und so weiter ... Diese Möglichkeiten ergeben sich mit so einem Klangkörper fast automatisch.

DW: Man probiert sich auch einfach aus und will anderen zeigen, was mit einer derartigen Besetzung alles möglich ist: Eben mehr als Volksmusik, Jazz und ein Weltmusik-Mischmasch.

Wir haben vorhin Uli Krugs musikalische Vergangenheit angerissen – Doc da du sagtest, dass die Gründung der MG.bb in der Form ein musikalischer Zufall gewesen sei: Als was hättet ihr euch noch gründen können? Wo liegt dein musikalischer Background?

DW: Wie gesagt, ich bin eine musikalische Generation jünger als Uli. Mein Background liegt eher im Punk, meine ersten 2-3Bands waren Punk Bands. Uli sah mich zum ersten Mal mit 17, mit einer Band namens Soul Bazar. Das war schon recht eigen, ein Crossover zwischen Soul und Pop, ein eher britischer Ansatz und auch schon mit Bläsern. Wir hatten dann Auftritte zusammen mit Ulis Sanfter Liebe, bei deren letzten Konzerten ich dann auch Gitarre spielte. So hatten sich Uli, Erwin und ich uns kennen gelernt und wenn es nicht Mardi Gras unter Ulis Einfluss nach seiner New Orleans-Reise gewesen wäre, dann hätten wir sicherlich auch etwas gemeinsam, aber vielleicht etwas ganz anderes, gemacht.

{image}Punkrock ... Liegt nicht so fern, wenn man den ursprünglichen Background eures Labels Hazelwood, in Betracht zieht.

DW: Ja ... Wobei das auch wieder Zufall war, nicht das Ergebnis einer absichtlichen Suche. Ich kannte Hazelwood vor 1999 nicht. Berührungsängste gab es so allerdings nicht.

Also Punk als eine ähnliche Basis, wie das auch der Hazelwood-Künstler Steven Gaeta von Kool Ade Acid Test in einem Interview beschrieb. Und eher Attitüde als das, was heute oft als „Punk“ beschrieben wird, und eigentlich nur nette Pop-Liedchen mit verzerrten Gitarren und entsprechender Kleidung darstellt.

DW: Exakt. Nach wie vor finde ich beim Zappen durch Musikkanäle Bands, bei denen ich das Gefühl habe, die Attitüde stimmt und das ist okay für mich. Aber häufig merkt man, dass man ein Abziehbildchen vor sich hat, das eine bestimmte Sparte bedienen soll. Und da werde ich auch ein wenig wehmütig. Natürlich gehört heute auch nichts mehr dazu, solche Klamotten und Frisuren zu tragen und hat so mit diesem Moment des „Anders-sein-wollens“ nicht mehr viel zu tun. Aber das ist auch das interessante an popkulturellen Strömungen: Es dreht sich immer wieder. Mit Spießerkleidern aus den 70ern bin ich heute unter Umständen hipp und revolutionär. Das sind Zeitschleifen.

{image}UK: In meiner musikalische Sozialisation habe ich Musik immer als universelle Sprache, als revolutionäres Medium wahrgenommen. Und nach jahrelangem „Von-der-Bühne-runter“-spielen im Avantgarde-Rock, war dann die Möglichkeit von der Bühne runter zu können und ohne Strom zu spielen, für mich ein gewisser Rest des rebellischen Potentials, den ich in Punk und in der Hippie-Bewegung gesehen habe. Mittlerweile begreife ich MG.bb als Gruppe, die die Möglichkeit hat, gegen den Strom zu schwimmen und sich ständig neu zu erfinden. Und insoweit ist für mich der Anspruch, dass Musik eine Botschaft haben sollte, auch verwirklicht. Dazu gehört auch, dass wir unsere Strukturen selbst aufgebaut haben, auch die Vernetzung mit Frankreich und einem Großteil von Europa. Dass wir Reisen können und uns in eine Szene reingearbeitet haben, die uns an vielen verschiedenen geografischen Punkten in Europa heimisch fühlen lässt, ist für mich wesentlich. Wir arbeiten intensiv an unserer Infrastruktur in Frankreich, was bei den permanenten Umwälzungen im Tonträgergeschäft nicht eben leicht ist. Aber dort werden wir in der Independent-Szene wahrgenommen, die dort einfach lebendiger, offener und vielschichtiger als hierzulande ist. Da gibt es wirklich viele Festivals auf denen wir an exponierter Stelle spielen. Das ist in Deutschland wesentlich stärker nach Schubladen organisiert.

Dazu fällt mir ein weiteres Zitat eures Labekollegen Steve Gaeta ein. Auf die Frage, wie er die Musikszene in seiner Heimat LA im Vergleich zur hiesigen sieht, meinte er: „Das ist die Sache, unter der ich hier ein wenig leide. Es ist nicht so lebendig und es gibt auch keine entsprechende Vielfalt hier. Es sind bislang nur ein paar Leute um Hazelwood herum, die das erleichtern, um ehrlich zu sein – zumindest soweit ich das beurteilen kann.“

DW: Ich kann Steve da schon gut verstehen. Es scheint mittlerweile ein echter Standortnachteil, als deutsche Band englisch zu singen und es ist auch schon dutzendweise an uns herangetragen worden, das doch zu ändern, da man so kommerziell ganz andere Möglichkeiten hätte. Vermeintlich. Unser großer Vorteil ist aber gerade eine gewisse internationale Popularität, die uns sehr viel mehr interessiert. Müsste ich mich also ausschließlich der deutschen Musikszene zuordnen, würde ich fremdeln. Es gibt da nur wenig, was ich gut oder spannend finde.

Einen Ausflug zu einem Major habt ihr ja schon hinter euch. Ihr wart bei Universal und seid nun aber nach wie vor bei Hazelwood ...

UK: Das Gesamtpaket, das Hazelwood schnürt ist, was z. B. auch spezielle Image-Kampagnen angeht, immer sehr interessant und es macht Spaß daran mitzuwirken (Anm. d. Red.: So beinhalteten z. B. das Werbeplakat und die Zeitungsannoncen zu Supersmell ein entblößtes Glied, was dem zuständigen General Manager bei Universal Jazz einen Eintrag ins Polizeiliche Führungszeugnis einbrachte und dem Magazin Spex den Rückzug der gesamten Druckauflage aus dem Handel - was das Verhältnis zur MGbb nachhaltig vergrätzte). Natürlich sind dem Grenzen gesetzt, wir können schlecht Skandale inszenieren, wie das die Sex Pistols in der 70ern noch konnten. Jedenfalls finde ich, dass es uns wieder gelungen ist, ein Paket hinzulegen, das bezüglich des Art Works, der DVD, der Fotos und den Texten in sich schlüssig und sehr pointiert ist.

Dem möchte ich zustimmen. Und natürlich kann man euch kaum empfehlen Sex- und Drogenskandale zu inszenieren, um den Leuten begreiflich zu machen, dass eure Version der „Blaskapelle“ wild und sexy ist ...

DW: Das würde uns in unserem Alter auch nicht mehr ganz so gut zu Gesicht stehen ... Letzten Endes bin ich glücklich mit dem, was wir machen. Vielleicht ist dieser manchmal zähe Kampf gegen Vorurteile auch genau das, was uns am Leben hält. Möglicherweise ist das der entscheidende Moment: Wäre unser Dasein bequemer und von weniger Kontroversen durchzogen, wären wir vielleicht nicht so beharrlich und so findig. Druck kann auch positive Auswirkungen haben – gerade auf künstlerisches Schaffen.

{image}UK: Wir haben jedenfalls 2006 ein gutes Pensum gearbeitet und ich bin gespannt bis freudig erregt, was davon 2007 welche Früchte trägt. Hinzu kommt noch der Film „Wir werden uns wiederseh’n“, von Stefan Hillebrand und Oliver Paulus, bei dem wir mitgemacht haben und der nun einen Vertrieb gefunden hat.

Was für eine Rolle spielt ihr da?

UK: Wir spielen Geister.

Musizierende Geister?

DW: Ja. Wir repräsentieren die Ebene der Zwischenwelt. Der Film spielt in einem Pflegeheim, in dem es Personen gibt, die auf Grund ihrer geistigen Verfassung in der Lage sind „ans andere Ufer zu schauen“. Und die sind in der Lage uns wahrzunehmen, wenn wir musizierend durch das Pflegeheim ziehen.

Ist das in irgendeiner Form symbolisch für eure Verortung in der realen musikalischen Landschaft?

DW: Das hab ich von der Seite noch gar nicht betrachtet ... Aber wenn man so will, dann passt das schon ...

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