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Wenn die Post-Punk-Altmeister Sonic Youth zu ihrem einzigen Deutschlandtermin nach Berlin laden und im Vorprogramm auch noch J Mascis feilbieten, kommt das eher einer Pilgerfahrt als einem Konzertbesuch gleich. Der Fritzclub ausverkauft - ein Publikum das offenen Mundes Ikonen bewundert, die den Staub von ihren Gitarren klopfen? Pustekuchen. Sonic Youth sind so sexy wie eh und je.

{image}Ein Vierteljahrhundert haben die Noise- und Indie-Veteranan auf dem Band-Buckel. Ihr aktuelles Album Rather Ripped kommt entspannt und fast schon altersmilde daher, ohne die Youth’schen Ecken und Kanten einzubüßen – ein kleines Meisterwerk. Und J Mascis, der Mann, der in den 80ern mit Dinosaur Jr. das Gitarren Solo für die Indie-Welt reanimierte und mit Freak Scene einen Überklassiker schrieb, werkelte an der Scheibe mit – und ist derzeit in Berlin sesshaft, wo er mit Winson am Musizieren sein soll. Was lag also näher als J Mascis den Abend eröffnen zu lassen, und den Charakter des Verteranentreffens so auf die Spitze zu treiben?

Wohl um diesem Vorzubeugen beginnt J Mascis sein Solo-Set vor dem offiziell kommunizierten Konterbeginn von 20.00. Schade eigentlich, denn so kriegt unsere Reisegruppe nur noch drei Songs mit. J sitzt mit einer Akustik Gitarre auf der Bühne, seine grau-dreckig-blonde Mähne, die ein wenig an eine Ramones-Alterskarrikatur erinnert, trägt ihm sofort den despektierlichen aber liebevollen Spitznamen Oma Mascis ein. Dass Mr. Mascis mit Akustikgitarre bewehrt ist, heißt natürlich gar nichts, denn seinen Verzerrer hat er mit und benutzt ihn fleißig: lärmig krachende Gitarrensoli zerreißen die typisch melanchloisch-larmoyanten Songs. Mascis wirkt wie gehabt so uncool, dass es cooler kaum geht. Sein offensives Kommunikationstalent stellt er auch im weiteren Lauf des Abends in einer Bar in Neuköln unter Beweis: Auf das Kompliment „Cool Show“ nuschelt er etwas, was hoffentlich ein „Thank you“ war, aber auch „fuck you“ oder sonst was hätte heißen können ...

{image}So gut so kurz, J tritt so unprätentiös von der Bühne ab wie er seinen Auftritt insgesamt gestaltete, und der Fritzclub - seit Wochen ausverkauft – füllt sich mit den 1200 glücklichen Ticketbesitzern.

Kurze Umbauspause, das Licht geht aus und Sonic Youth legen los. Jim O'Rourke war schon bei Rather Ripped nicht mehr dabei, sein Platz auf der Bühne wird von Marc Ibold, ehemals am Bass bei Pavement, eingenommen – was das “who is who” der US-amerikanischen Indieszene zu Beginn der 90er komplettiert. So hat Kim Gordon Gelegenheit, ihr Songs zu singen ohne sich vom Viersaiter ablenken zu lassen oder kann gegen Ende auch eine dritte Gitarre ins Spiel bringen. Die meiste Zeit wird aber einfach mit zwei Bässen gespielt. {image}

Die Fünf wirken gut gelaunt und entspannt, auch live bleiben sie in der Spur der Rather Ripped: Kaum Feedback-Orgien, ohne allerdings Ecken und Kanten einzubüßen. Dass sie’s schon noch können wird direkt nach dem ersten Song gezeigt. Lee Ranaldo und Thurston Moore reiben ihre Gitarrenhälse aneinander und ziehen eine Show ab, die schon die Frage aufkommen lässt ob die beiden das Publikum veralbern wollen. Das Feedback-Gemetzel gerät aber nicht zu lang und erweckt tatsächlich den Anschein, als habe die Band nur kurz klarstellen wollen, dass sie’s auch wirklich sind. Es geht direkt mit Reena weiter, dem Opener der Platte, mit der Textzeile: „I’m coming home again“. Und so fühlt sich der Abend auch an. Kim Gordon singt zum ersten Mal nur am Mikro und führt zwischen den Gesangspassagen eine Art Ringel-Rein auf, Thurston springt auf der Bühne herum wie ein 20igjähriger und speziell Marc Ibold steht der Spaß an dem Ganzen deutlich ins Gesicht geschrieben. Kein Wunder, Pavement und derart volle und begeisterte Hallen sind nun doch schon ein Weilchen her ...

{image}Es wird fast das ganze Material der Rather Ripped präsentiert, was die Marschrichtung für den weiteren Verlauf des Konzertes entsprechend vorgibt: Noch wie waren Sonic Youth so relaxed, harmonisch und luftig. Neben zurück genommenem Gitarrenlärm hat auch Kim Gordon kein Problem mit der Melodie statt dagegen zu singen. Dabei ist es nicht so, dass Sonic Youth nach 25jähriger Bandgeschichte von ihren Prinzipien abgekehrt sind und nun Gefahr laufen im Mainstream unterzugehen. Stattdessen führen sie perfekt vor, wie sich Pop von lärmenden Passagen, unterschwelligem Noise und angedeuteten Eskapaden bändigen und genießbar machen lässt. Dabei bleibt in Kim Gordons laszivem Gesang nach wie vor das Element angriffslustiger Kratzbürstigkeit erhalten, das ihre Texte ohnehin auszeichnet. Und viel von dem, was sonst lärmend vorne steht, läuft nun im Hintergrund ab. Verschwunden ist es nicht. {image}

Thurston Moores Gesang klingt da vergleichsweise harmlos-verträumt, nach wie vor sperrig kommen Ranaldos Songs daher, Rats ist ein schönes Beispiel für das Songwriting des in Ehre ergrauten Gitarristen. Ältere Stücke werden sparsam eingestreut, 100% von der Dirty stellt hier einen Höhepunkt dar und wirkt im Rahmen des gut gelaunten Konzerts wie der Dancefloor-Smasher des Abends. Stücke der gerade veröffentlichten The Destroyed Room: B-Sides and Rarities spielen keine Rolle. Der Sound ist brillant und glasklar, ob Noise-Gefrickel oder Flagolets, das Publikum, das einen Alterdurchschnitt von irgendwo Ü 30 haben dürfte (was auch bedeutet, dass erfreulich Viele den Weg hierher gefunden haben, die jünger als die Band sind), nimmt das Gebotene begeistert auf. Zu recht, denn ein derartiges Paket aus Underground-Attitüde, schierer Musikalität, Intellekt und Sex Appeal ist sonst nirgendwo zu haben.

Zwei Zugaben und das Konzert ist – leider – zu Ende. Das sieht das anwesende Publikum anders, bleibt trotz aktivierter Saalbeleuchtung und einsetzendem Mikrofon-Abbau einfach stehen und lärmt weiter. Nach ca. 10-15 Minuten (!) hat die Schalljugend ein Einsehen und kommt tatsächlich zurück. Der erste Gitarren-Bratzer lässt eindeutig auf Kool Thing vom 90er Album Goo schließen – ein Fest für Aug & Ohr & Jung & Alt. {image}

Damit gibt sich das Publikum halbwegs zufrieden, obwohl’s für die Meisten die ganze Nacht hätte weitergehen können. Breites Grinsen und leuchtende Auge sind die Hauptmerkmale der Besucher, der Merch-Stand ist im Handumdrehen leer.

Ein kleines Manko beschließt den konzertanen Teil des Abends: Nach Kool Thing werden die Anwesenden förmlich aus der Halle gedrängt. Alles halb so wild, bis dann draußen vor dem Gebäude ersichtlich wird wieso - und damit auch wieso ein J Mascis gezwungen war, schon vor offiziellem Beginn zu spielen: Am Seiteneingang steht eine Schlange für die nächste Veranstaltung im Club an: Die Fritzclub-Disco beginnt in direktem Anschluss. Die Programm-Macher haben es also geschafft, den Samstag Abend zweimal auszuschlachten, und dafür dem Konzertprogramm ordentlich Druck gemacht. Mals abgesehen davon, dass es per geschmacksicherem DJ sicher kein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre, das euphorisierte Publikum noch eine gute Weile gewinnbringend im Club zu halten, ist es schwer erträglich, wenn Konzertbesucher um den Support Act gebracht und danach förmlich aus der Halle gejagt werden. Ein perfektes Konzert mit perfektem Sound und dennoch die Location in schlechter Erinnerung: Schäm dich, Fritzclub.

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