Tool (2006)

Tool (2006) © Tim Cadiente

Tool genießen Ausnahmestatus im Alternative Rock und live einen Ruf wie Donnerhall. Metal meets Pink Floyd, sowohl bezüglich optischer als auch musikalischer Elemente. Die Winter Tour zu ihrem Album "10 000 Days“ gab Gelegenheit das zu überprüfen: Stage Diving, Crowd Surfing, völlig enthemmte Musikanten und ausgiebige Ansprachen ans Publikum! Okay, war nur Spaß ...

{image}Bei etlichen Newcomer-Wettbewerben ist es üblich den oder die Sieger per kategorisiertem Bogen von einer Jury ermitteln zu lassen. Gern finden sich dort dann auch Bewertungs-Kategorien wie „Bühnenshow“, „Interaktion mit dem Publikum“ oder „Entertainment“. Was das mit Tool zu tun hat? Überhaupt nichts. Zumal die Band in diesen Sparten sämtlich durchfallen müsste, käme sie denn noch in die seltsame Lage, derart bewertet zu werden. Dass Gitarrist und Drummer ihr Werk ohne äußerliches Spektakel und Rockstarposen verrichten sind das Eine. Ein Sänger, dessen hauptsächliches Entertainment darin besteht, dem Publikum den Rücken zukehrend, die Arme nach oben abgewinkelt, in sein Mikro zu singen, dürfte die Anforderungen jedenfalls deutlich unterschreiten. Zumal, wenn sich sein Outfit aus nacktem Oberkörper und einer Gasmaske, in der das Mikro integriert ist, zusammensetzt. Der Einzige, der mähneschüttelnd das bietet, was gemeinhin unter Rockshow läuft, ist Bassist Justin Chancellor.

Ob dieser Sachverhalt mehr über solche Contests oder über Tool aussagt, mag jeder für sich entscheiden. Auch die sicher spannend zu erörternde Frage ob bei den Business-orientierteren Contests dieser Gattung eine Band mit derart elegischen, ausufernden und jedenfalls völlig Radio-untauglichen „Material“ als zukunftsfähig und förderungswürdig eingestuft würde, muss jetzt unter den Tisch fallen. Es geht um Tool, und damit um eine Band, die ihre Ausnahmestellung im alternativen Rock auch live in vielerlei Hinsicht zementiert. Da wäre zunächst der Sound. Die Maimarkthalle in Mannheim ist, was Wohlklang angeht, weder berühmt noch berüchtigt - eine Regel, an die sich Tool und ihre Techniker nicht halten. Jeder Schlag auf die Bassdrum zieht durch den Magen, ohne das es zu undifferenziertem Gewummer kommt, jede Sound-Nuance kommt deutlich und messerscharf zur Geltung. Und derer sind viele ...

{image}Die Bühne ist von vier Videoleinwänden dekoriert, die in erster Linie Sequenzen der Videos wiedergeben. Ein Statement in Richtung Gesamtkunstwerk, hatte doch Gitarrist Adam hier die begnadeten Finger im Spiel. Ergänzt durch eine ebenso ordentliche wie passend eingesetzte Lightshow, deren Höhepunkt in Laser-Spektakeln besteht, bei deren erstem richtigen Einsatz in der Nachbarschaft zu Recht ein Satzgebilde mit „Pink Floyd“ zu hören war.

Die Videoleinwände begleiten mit Computeranimationen und Stop-Motion-Charakteren jeden Song perfekt und sind definitiv mehr als nur visuelle Unterstützung. Was sich vor allem an Maynard James Keenans Performance festmachen lässt. In der Zeit, in der er nicht singt oder sich um seine Keyboards kümmert, bewegt er allenfalls zaghaft den Oberkörper hin und her, in einer Stellung, die leicht an den Silver Surfer erinnert. Zweimal richtet er das Wort ans Publikum, einmal um weitere Blitzlichtfotos zu verhindern, dann gibt es immerhin noch ein „Thank you for coming down“. Dafür, dass die Blitzlichter kein Anlass waren, dass MJK die Bühne verlässt, darf man noch dankbar sein, auch das strikt durchgesetzte Rauchverbot in der Halle geht auf seinen Wunsch zurück.

Zur Musik: Tool schicken ihre Stücke mit einer unglaublichen Präzision von der Bühne. In Punkto Tightness würde die Band jede Musikcontest-Richterskala schlicht pulverisieren. Sphärische Klangstrukturen und Härte ergänzen sich wie automatisiert, über allem trohnt auch optisch Budenzauerer Danny Carey und steuert die Reise mit unbeirrbarer Souveränität. Das perfekte Zusammenspiel wirkt zum Teil schon maschinell, aber das will man nicht ernsthaft zum Vorwurf machen – improvisierte Jams hat an diesem Abend sicher keiner erwartet. Die Tool’schen Kleinkunstwerke werden genauso gekonnt dargeboten wie man das auch von den Studioalben gewohnt ist. Es gibt die normale Mischung aus der aktuellen Scheibe 10 000 Days und dem bisherigen Schaffen: Stinkfist als Opener, Lateralus, Ænima und Schism dürfen natürlich nicht fehlen.

{image}Genauso weit weg wie von Improvisationen ist das Konzert von einem klassischen Rock’n’Roll-Gemeinschaftsgefühl zwischen Band und Publikum. Tool machen ihr Ding, zu ihren Bedingungen. Und das Publikum kann seins daraus machen – solange es nicht stört. Als Gesamtkonzept absolut schlüssig, aber natürlich läuft das Geschehen qua Rahmen und Habitus durchaus noch unter Rockkonzert. Auch wenn klassisches Publikumsverhalten hier in etwa so seltsam wirkt, wie wenn Maynard das Publikum fragen würde, ob es gut drauf sei. Die seltsamsten Blüten treibt dies im bombenalärmigen Intro zu Lost Keys / Rosetta Stoned, das, wie auch einige andere, im Verhältnis von Einfallsreichtum und Länge sehr im Gegensatz zum sonstigen musikalischen Vortrag steht. Während diesem Sound-Massaker fühlen sich etliche Zuschauer bemüßigt, ihre Feuerzeuge zu zücken. Bei Bon Jovi wenn’s heftig schnulzt – schön und gut. Aber in dem Zusammenhang? Erklärungsansätze wären, dass

  • es sich um Raucher, die mit einer Übersprungshandlung zu kämpfen hatten, handelte,
  • der Anblick von MJK plus Videosequenzen die von Gollum- über Totenschädel bis einfach nur allgemein beunruhigend und verstörend reichen, Handlungsabläufe auslöst, die den eigentlichen Zweck haben, das Individuum in einer bekannten und als beruhigend empfundenen Handlung zu verorten,
  • es sich schlicht um eine besonders liebenswürdige Form kauzigen Humors handelte.

Wie geartet die Motivation auch immer, an diesem Lichtermeer nimmt die Band immerhin keinen Anstoß. Vielmehr folgt die Episode mit den Kamera-Blitzlichtern, dann geht es unbeeindruckt weiter durchs Programm. Das mit zunehmender Dauer an Intensität zunimmt, optisch immer noch vor allem an Justin Chancellor und der Light Show festzumachen.

{image}Nach knapp unter zwei Stunden ist das Spektakel vorbei. Ohne Zugabe, und das ist gut so, denn das passt. Zurück bleibt die Impression eines beeindruckenden Konzerts einer Bands abseits gängiger Rock-Klischees. Dass zwischenzeitlich durchaus der Gedanke in den Sinn kam, dass man an Stelle der Show auch die Tool-Videos mit entsprechendem Sound in einem Kino genießen könnte, tut daran ebenso wenig Abbruch wie der Eindruck, dass zumindest James Keenan Maynard nicht abgeneigt wäre, in bestuhlten Häusern zu spielen. "Thinking Man's Metal", wie er’s selbst recht treffend katalogisierte.

Alles zum Thema:

tool