Geben sich als Headliner für den ersten Rock im Pott die Ehre: Die Red Hot Chili Peppers.

Geben sich als Headliner für den ersten Rock im Pott die Ehre: Die Red Hot Chili Peppers. © MLK

Die einzige zeitgenössische Band, die Superstarstatus genießt und dabei einerseits exzessiv musiziert, andererseits sämtliche seit den 60er Jahren bestehenden Sex & Drugs & Rock’n’Roll-Mythen in ihrer Historie vereinigt. Mit Stadium Arcadium haben sie ein Album abgeliefert, das den definitiven Querschnitts ihres 23jährigen Schaffens darstellt – ihre wenigen Shows in Deutschland sind so fast Pflichttermine.

Die Frankfurter Festhalle ist ausverkauft, das Publikum entsprechend gemischt, sowohl was Alter als auch Habitus angeht. Es ist ein essentieller Bestandteil des Erfolgs der Band aus LA, dass sie es über die Jahre schaffen, Publikum aus den Anfangstagen bei der Stange zu halten, aber trotzdem mit jeder neuen Platte Teenager dazu zu gewinnen und außerdem für jeglichen freaky Lifestyle glaubwürdig zu bleiben und gleichzeitig „Mainstream“ zu sein. Das hat auch seine Schattenseiten, wie sich gleich zu Beginn des Abends zeigt. In der ausverkauften Festhalle stehen Mike Watt & the Missing Men auf der Bühne. Sie haben einen ihrem Support-Dasein leider entsprechenden Sound, und natürlich ist das Gebilde, das den Bühnenhintergrund darstellt, nicht in Betrieb (ein sich bis zur Decke erstreckenden „Riesen-Rollo“ - zumindest ist das die Assoziation, die geweckt wird -, der sich dann auch noch an der Decke entlang über die halbe Halle zieht. Die Vermutung, dass die ganze Geschichte irgendwann sehr farbenfroh wird, liegt nahe und ist absolut zutreffend).

Zu Dritt werfen Mike Watt & the Missing Men eine wahre Höllengroovemaschine an, den RHCP durchaus artverwandt, nur dass an den Stellen, wo aus dem Irrwitz der Peppers Hits werden, die hierzulande sogar im Öffentlich-Rechtlichen Radio laufen, bei Mike Watt schwer verdauliches und vetracktes zum Zug kommt. Zu Mike Watts Person: Ein Urgestein der amerikanischen Underground-Szene. Seine bekannteste Band waren die Minutemen, er arbeitete mit den Beastie Boys, Nirvana, Sonic Youth und und und zusammen. Die Red Hot Chili Peppers nennen ihn als wichtigen Einfluss und um das zu verdeutlichen ist ihm nichts weniger als ihr Durchstarter-Album Blood Sugar Sex Magik gewidmet. Also ein Support wie er kaum passender sein könnte.

Mike Watt & the Missing Men werden in der Festhalle vom überwiegenden Teil des Publikums massiv ausgebuht und ausgepfiffen. Dass der Sound nicht toll ist, ist schade, aber so ist das eben mit „Anheizern“ im bekanntermaßen ja knalle-harten Musikbizz. Er ist aber keinesfalls so schlecht, dass der Auftritt nicht - und sei es beiläufig - zu genießen wäre. Und andernfalls eben wohlwollend zu ignorieren. Denjenigen, die, aus welchen fehlgeleiteten Gründen auch immer, meinten ihren mangelnden musikalischen Horizont durch Buhrufe und Pfeifen ausdrücken zu müssen, sei, als jederzeit brauchbare Grundregel im Verhalten Supportacts gegenüber mit auf den Weg gegeben: Bei Gefallen: Jubeln, Tanzen, Ekstase, im Extremfall hinterher die CD kaufen. In allen anderen Fällen: Schnauze halten. Damit tut man nicht nur allen anderen Beteiligten einen großen Gefallen, sondern vor allem sich selbst: Man muss dann nämlich nicht, wie hier unvermeidlich, sich hinterher sagen lassen, dass man auch tumb genug wäre die Chili Peppers der 80er Jahre auszupfeifen, während man ja heute in Verzückung über jeden ihrer Gitarrenroadies gerät und jederzeit bereit ist, alle persönliche, bei Robbie Williams-Coverbands schon oft erprobte, musikalische Raffinesse in die Waagschale zu werfen um im 4/4 Takt mitzuklatschen während auf der Bühne ein rhythmisches Feuerwerk abbrennt.

Eine Episode jedenfalls, die wieder mal traurig vor Augen führt, dass viele Menschen zu Konzerten gehen um „Stars“ zu sehen. Und nicht, weil sie sich für Musik begeistern können. 

Genug der kulturpessimistischen und leider notwendigen Vorrede. Kommen wir zur Hauptattraktion, über die sich alle – zumindest im Grundtenor – einig gewesen sein dürften. Der „Rollo“ erwacht zu farbigem Leben, Chad, Flea und John Frusciante (in schnittigem Kurzhaarschnitt) legen verheißungsvoll jammend los, bis schließlich Anthony Kiedis umjubelt dazu stößt und der Jam in Can’t Stop mündet. Dani California und Scar Tissue folgen, es gibt genügend Hits um erst mal auf Nummer sicher zu gehen. Kiedis hat leichte Mühen mit Can’t Stop, was aber nicht weiter ins Gewicht fällt. Die ersten 20-30 Minuten sind insgesamt noch nicht vom zündenden Funken getrieben. Was aber von Beginn an überdeutlich wird, ist, dass Frusciante den Stimmen, die in ihm den derzeit besten Rockgitarristen sehen, Recht und Nahrung gibt. Jeder Ton und jedes Solo ist Schmuck und Zierde, hat Hand und Fuß und schlicht ein Genuss. Auch für ausgewiesene Skeptiker aller Gitarren-Solo-Frickeleien.

Das Eis bricht endgültig – analog zu ihrem Durchbruch 1991 – mit Blood Sugar Sex Magik. Das Zusammenspiel der drei Instrumentalisten ist nun auch soundtechnisch brillant, und Kiedis zeigt erneut, dass man nicht mit der Stimme eines Freddy Mercurys (O-Ton in seiner Autobiographie) gesegnet sein muss, um eine Show zu Rocken wie der Leibhaftige. Damit ist dann auch Schluss mit dem Genörgel an seinen Sangesleistungen, denn die ist, von den erwähnten Songs abgesehen, über jeden Zweifel erhaben. Und ansonsten ist Kiedis eindrucksvoller Frontmann einer Band, in der jede Persönlichkeit in der Lage ist, eine Arena-Bühne allein auszufüllen. Anschließend macht das Frusciante, indem er einen Song seines Solo-Werkes, Will u still love me tomorrow, folgerichtig auch solo performed, und dabei zeigt, dass nicht nur sein Gitarrenspiel als gesegnet bezeichnet werden darf, sondern seine Stimme dem in nichts nachsteht. Wow.

Nachdem das wohl unvermeidliche Snow folgt, letzte Singleauskopplung und mit Abstand schwächstes Stück der Stadium Arcadium, wird Flea langsam aber sicher präsenter. Throw away your television mutiert live zu einem Hardcore-Funk-Smasher, dass kein Auge trocken und kein Muskel kalt bleibt. Nun gut, es scheint so, dass Teile des Publikums hier ein wenig überfordert sind, und es ist natürlich nur boshafte Spekulation, dass das die gleichen sind, die sich durchs viele Pfeifen vorhin zur Unzeit ermüdet haben ...

Sei’s drum, die Red Hot Chilli Peppers sind jetzt da angekommen, wo es nichts neben ihnen gibt. Rock mit Punk- und Hippieattitüde, der beim Godfather des Funk George Clinton erfolgreich in die Lehre ging, HipHop in dessen Anfangstagen adaptiert hat und nun den Begriff Crossover feiert, erfindet und lächerlich macht. John gibt mit Your pussy glued 2 a building on fire noch eins solo zum besten, bevor mit Me and my friends vom 87er Album The Uplift Mojo Plan noch mal armtief in die Funk-Kiste gegriffen wird.

Die bekannten Stücke liefern alles, was man von den Album-Versionen live erwarten darf, Kiedis hat die Halle souverän in der Hand. Dass er angeblich erkältet ist, lässt sich, wenn überhaupt, nur daran festmachen, dass seine Füße eben nicht über seinem Kopf anzufinden sind. Aber hey, der Mann ist auch schon lässige 44. Absolute Highlights sind aber die Ausflüge von Frusciante und Flea. Ob der Tieftonderwisch nun ein Kunstwerk von Intro spielt, beide gemeinsam – natürlich immer befeuert von Teufelsschlagzeuger Chad Smith – die bekannten Songstrukturen verlassen um uns Normalsterblichen zu zeigen, was man auf deren Basis oben auf dem Olymp noch so alles anstellen kann, oder mal eben mit einem eingestreuten Riff von z.B. London Calling von The Clash der musikalische Hut gezogen wird: Das Genie dieser beiden wird greifbar und die Momente in denen sie zusammenrücken und sich gegenüberstehend jammen, rechtfertigen diesen Konzertbesuch allein.

By the way markiert noch mal perfekt das peppersche Universum mit krachend-groovender Strophe und Stadion-Refrain, dann heißt es: Abgang. Zurück kommt als erstes Chad, der sich sein wohlverdientes Stück vom Solo-Kuchen abschneidet. Er würde in manch anderer Band den „Unterschied“ allein ausmachen. Dann folgen die restlichen Chili-Schoten und legen der Festhalle den Überhit Under the Bridge zu Füßen. An dieser Stelle: Endgültige Abbitte an Kiedis, er singt die Ode an die Megapolis wie er sie erlebt hat, perfekt und ergreifend, kongenial von Frusciante unterstützt. Im Anschluss Give it away und damit endgültig Land unter, Schutt & Asche, schon krampfartiges Zucken in allen Körperregionen - "reeling with the feeling don’t stop continue". Und weil’s grad Spaß macht und man tausende von Menschen so nicht ins normale Leben entlassen kann, machen die Herren Smith, Balzary und Frusciante einfach noch ein paar Minuten weiter, letztgenannte schließlich face to face und was das heißt, wurde schon beschrieben. Eine Delikatesse und kaum zu überbietendes Ende der ca. 110minütigen Show.

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