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© Highroadtouring

Ryan Adams ist so etwas wie der verlorene Superstar der Rockmusik. Vor wenigen Jahren, nach der Veröffentlichung seines Albums Gold, stand er kurz vor dem Durchbruch. Aber der Zeitpunkt verstrich und so spielt er auch 2006 nicht in den ganz großen, sondern in eher mittleren Lagen. Musikalisch hat er sich noch stärker in Richtung Countrymusik orientiert und in Neal Casal einen Partner gefunden, der nicht nur mit seiner Band das Konzert eröffnet, sondern auch in Ryans Band Gitarre spielt und singt – ein seltenes Arrangement.

Neal Casals Soloauftritt hinterlässt allerdings kaum einen bleibenden Eindruck, was vermutlich daran liegt, dass er alle Songs in demselben schleppenden Tempo vorträgt. Zwar variiert er die Intensität seiner Stimme, die aber auch nur über eine begrenzte Ausdruckskraft verfügt. Seine Lieder sind zudem arm an Melodien und die begrenzte Instrumentierung (Gitarre, Schlagzeug, Pedal-Steel) trägt ebenfalls dazu bei, dass viele Lieder am Zuhörer vorbeiströmen.

Überhaupt scheint die Idee, Ryan Adams (als "DJ Reggie") zum Drummer zu machen, eine kolossale Fehlentscheidung zu sein. Wer auf so etwas wie einen elastischen, swingenden Rhythmus wartet, der Casal als Basis für seine Lieder dienen könnte, wird enttäuscht: Ryan ist damit hoffnungslos überfordert. Stattdessen scheint es sein Ziel zu sein, auf das Schlagzeug mit möglichst großer Gewalt einzuprügeln und durch ein beständiges Summen in den entsprechenden Momenten, Neals Versuche, seine Gitarre zu stimmen zu sabotieren. Das führt zwar zu lustigen Dialogen zwischen den beiden, aber nicht zu guter Musik. Ein ansehnlicher Teil des Publikums bejubelt ihn dennoch (oder deswegen?) ausgelassen – dass soll der Fairness halber nicht verschwiegen werden.

Ein gänzlich anderes Bild hingegen ergibt sich, sobald Ryan Adams als Frontmann seiner eigenen Band vor das Publikum tritt. Er singt mit seiner typischen kräftigen, rockigen, aber klar artikulierten Stimme, die auch anspruchsvolle Passagen mühelos bewältigen kann. Seine Begleitband, die Cardinals, sind hervorragend aufeinander abgestimmt und bilden eine solide Grundlage für seine Musik. Ryans wunderbares Gitarrenspiel, das sehr stark an Jerry Garcia erinnert und insbesondere sein Zusammenwirken mit Neal Casal ("Gitarrenduelle", Harmoniegesang) tragen dabei in nicht geringem Umfang dazu bei, die Lieder mit Leben zu füllen.

In den langen instrumentalen Passagen erinnert das in der Tat an The Grateful Dead, was angesichts seiner Zusammenarbeit mit Phil Lesh nicht überraschen kann. Die große Überraschung des Abends ist jedoch, dass das Publikum kein eigentliches Rockkonzert erlebt, sondern etwas das man im Großen und Ganzen durchaus als Country-Rock (nach dem Muster der Alben des letzten Jahres) bezeichnen kann.

Es dominieren daher langsame, introspektive, countryfizierte, aber deshalb nicht minder emotionale Versionen von Liedern aus allen Phasen seiner Solokarriere. Dabei nimmt sich Ryan glücklicherweise auch die Freiheit, die Lieder nicht einfach nachzuspielen, sondern sie mit einem eigenen, teilweise gänzlich unterschiedlichen Charakter zu versehen.

Vom wunderbaren Solodebüt "Heartbreaker" gibt es "To Be Young" (als langsamen Bar-Blues), "Damn Sam" und "Why Do They Leave?", von Gold eine wunderbare Version von "Wildflowers", ein nicht weniger gutes "Firecracker" und "Harder Now That It’s Over", von Demolition (gänzlich unerwartet, wie so vieles an diesem Abend) "Chin Up Cheer Up", "Hallelujah" und "She Wants To Play Hearts." Unter den Liedern der letzten Alben finden sich Highlights wie "Magnolia Mountain", "Easy Plateau", das großartige "Let It Ride" und der Titelsong des gleichnamigen sehr guten Albums: "Cold Roses" – dazu "A Kiss Before I Go", "Dear John" und eine emotionale Version von "Peaceful Valley" von "Jacksonville City Nights".

Zusätzlich spielt er noch einige neuere bislang unveröffentlichte Lieder und eine grandiose Coverversion des Grateful Dead Klassikers "Bird Song". Der Klang im Haus ist hervorragend – Musik und Gesang eröffnen sich dem Besucher in einer oft erhofften, aber selten realisierten Klarheit. Das Publikum ist altersmäßig gemischt und applaudiert begeistert, aber nicht besonders ausdauernd. Daher tritt oft eine ganz ungewöhnliche, fast andächtige Stille ein, die nur von gelegentlichen Zurufen unterbrochen wird, was sicherlich mit dem ruhigen, harmonischen Charakter der Musik an diesem Abend zusammenhängt.

Während des ganzen Konzerts rutscht Ryan Adams nervös auf seinem Barhocker herum, bewegt den Mikrophonständer ein Dutzend Mal herum und kruschtelt in seinen mitgebrachten Papieren. Er scheint sich in seiner Haut sichtlich unwohl zu fühlen und zwar genau so lange bis er den nächsten Song anstimmt – dann ist alle Unsicherheit von ihm abgefallen und er spielt und singt traumwandlerisch sicher.

Irgendwann fängt er an sich zu beschweren (und zwar insgesamt mindestens ein Dutzend Mal), dass er sein Hemd ("fucking shirt") hasse und sich frage, warum er es überhaupt mitgebracht habe. Man dürfe überhaupt kein emotionales Verhältnis zu Kleidung entwickeln. Seine Jeans machten ihn "fett" und überhaupt sehe er furchtbar aus. Nein, das stimme nicht, beruhigt ihn Neal Casal, er sehe gut aus. Es gehe nicht um die Realität sondern darum wie er sich fühle, entgegnet Ryan. Bei zwei Liedern zieht er sich eine Skimaske über das Gesicht, die ihn wie einen singenden Bankräuber aussehen lässt.

Zu Beginn des Konzertes trinkt er Unmengen Kaffee, woraufhin er später ankündigt, er müsse jetzt die Toilette aufsuchen. Neal Casal und die Band spielen während seiner kurzfristigen Abwesenheit weiter. Als er nach seiner Rückkehr wieder zu einem längeren Monolog ansetzt, ruft ein weiblicher Fan: "Shut up". Ryan lässt sich dadurch zum Glück nicht aus der Ruhe bringen. Dazu muss man wissen, dass er in der Vergangenheit schon Spaßvögel aus seinen Konzerten geworfen hat, die ihn "Bryan Adams" genannt und nach "Summer of 69" verlangt hatten.

Er registriert und kommentiert den Zuruf aber sehr wohl ("Dann spiele ich eben nur Musik") und als dieselbe Person später noch mal etwas ruft (zur Beschwichtigung/als Entschuldigung?) entgegnet er, dass die beiden bereits eine negative Beziehung hätten. Im Publikum lachen zwar Zuschauer, aber auf der Bühne findet das niemand lustig – im Gegenteil es herrscht eine Art nervöser Anspannung. Ryan Adams bezeichnet zwar das Alles als „intense comedy“ – aber es bleibt doch ein ziemlich befremdlicher Eindruck zurück.

Vielleicht endet daher das Konzert etwas abrupt – nicht etwas auf die großzügige Gesamtspielzeit von mehr als 2 Stunden und 15 Minuten, sondern auf die nicht vollständig zu Ende gespielte Setlist bezogen. Es war trotz (oder wegen?) der seltsamen Momente ein großartiges, lohnenswertes und beeindruckendes Konzert.

Setlist (Ryan Adams): Magnolia Mountain – Hallelujah – Blue Hotel – To Be Young (Is To Be Sad, Is To Be High) – New York, New York – She Wants To Play Hearts – Chin Up Cheer Up – Freeway To The Canyon (Neal Casal) – Harder Now That It’s Over – Damn Sam (I Love A Woman That Rains) – Easy Plateau – Peaceful Valley – Trouble On Wheels – Firecracker – Why Do They Leave? – A Kiss Before I Go – Dear John – Cold Roses – Bird Song (Grateful Dead Cover) – Wildflowers – Let It Ride [Auf der Setlist sind noch weitere Lieder aufgeführt, die aber nicht gespielt wurden: Meadowlake Street – Tear O Gold – Please Do Not Let Me – Arkham Ass (eigentl. Asylum)– What Sin Replaces Love?]

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