"Die Medienwelt hat sich komplett verändert"
Johannes Middelbeck (DRIVE Beta) über Formatentwicklung für YouTube, TikTok und Co.
future music camp tiktok youtube podcasts
Johannes Middelbeck (DRIVE Beta). © Privat
Backstage PRO: Johannes, du bist Mitgründer von DRIVE beta – einem Start-Up für die Format-Entwicklung. Wie können wir uns euren Aufgabenbereich vorstellen?
Johannes Middelbeck: DRIVE beta ist ein Digital Studio. Die Entwicklung neuer Formate, also der Part, mit dem ich mich die meiste Zeit beschäftige, ist nur ein Teil unseres Aufgabenspektrums – wir entwickeln, produzieren und verbreiten Inhalte im digitalen Raum. Zu unseren Kunden gehören u.a. Sender wie funk oder das ZDF, Organisationen wie das Goethe Institut und manchmal auch für Brands wie die DAK oder Warner Music.
Backstage PRO: Wie entwickelt ihr Formate und wie produziert ihr die "starken Inhalte", von denen du im Titel deiner Keynote beim Future Music Camp 2021 sprichst?
Johannes Middelbeck: Im Gegensatz zu klassischen TV-Produktionsfirmen ist der Formatentwicklungsprozess bei uns nicht nur Ideengetrieben; er hat immer auch einen sehr analytischen Teil. Wir beschäftigen uns genau mit den Plattformen, auf denen das Format stattfinden soll und arbeiten für sehr spezifische Communities, die wir schon in der Formatentwicklung durch Umfragen und User-Testings einbeziehen. Außerdem entwickeln wir die Inhalte laufend mit Hilfe von Nutzungsdaten weiter.
"Jede Plattform ist unterschiedlich"
Backstage PRO: Welche Unterschiede gibt es zwischen Inhalten für verschiedene Plattformen?
Johannes Middelbeck: Jede Plattform hat eigene Anforderungen. Es lohnt sich daher, sich zu Beginn einer Formatentwicklung sehr genau mit den Nutzerinnen und Nutzern, dem Algorithmus, aber auch mit den Szene Codes der Plattform auseinanderzusetzen, auf der man loslegen möchte.
Backstage PRO: Wie würdest du also beispielsweise YouTube-Formate im Kontrast zu Formaten für TikTok konzipieren?
Johannes Middelbeck: YouTube belohnt vor allem lange Videos mit einer packenden Dramaturgie. Der Algorithmus optimiert hier nämlich auf "Watch Time", also die Zeit, die meine Nutzerinnen und Nutzer mit meinen Inhalten verbringen. Dieser Trend hat sich in den letzten Jahren sogar noch weiter verstärkt.
Auf TikTok geht es dagegen um schnelle Pointen und eine starke Hook in der ersten Sekunde. Wir nennen diesen entscheidenden Moment "Thumbstopper". Es gibt aber noch viele weitere Unterschiede. Die aufzuzählen, würde hier jedoch den Rahmen sprengen.
"Podcasts können sehr emotional wirken"
Backstage PRO: Was muss bei einem Format wie einem Podcast beachtet werden, das ausschließlich auditiv funktioniert?
Johannes Middelbeck: Da wäre erstmal der sehr naheliegende Unterschied, dass das, was in der Bildebene wegfällt, auf der Tonspur kompensiert werden muss. Diese scheinbare Einschränkung bietet ein enormes Potential: Die meisten Menschen kennen von sich selbst den Effekt, dass sie viel sensibler auf Emotionen in der Stimme, auf Geräusche und auf Musik reagieren, wenn das die einzige Erzählebene ist.
Dazu kommt, dass sich durch die Anonymität der Protagonistinnen und Protagonisten in Audio-Formaten ganz andere Themenfelder erschließen lassen. Letztes Jahr haben wir den Doku-Podcast "Geschlossene Gesellschaft" über den Alltag in geschlossenen Psychiatrien produziert. Die Geschichten, die wir da reingeholt haben, hätten wir in einem Videoformat niemals so intim erzählen können.
"Die Musikbranche ist in den 90ern steckengeblieben"
Backstage PRO: Welche Möglichkeiten zur Formatgestaltung bieten sich Musikerinnen und Musikern und welche Funktionen kann die zusätzliche Präsenz haben?
Johannes Middelbeck: Ich bin manchmal verwundert darüber, dass für viele Artists und Labels das zentrale Bewegtbildformat immer noch das klassische Musikvideo ist. Die Medienwelt hat sich einmal auf links gedreht in den letzten Jahren und in den meisten Bereichen, egal ob Werbung, Journalismus oder die Welt der Celebrities, Erzählweisen und Formate auf den Kopf gestellt.
In der Musikbranche aber bekommt jede Single noch immer per Default ein Musikvideo. Wie in den 90ern. Ich übertreibe natürlich und kenne auch andere Beispiele. Trotzdem bin ich überzeugt davon: Es gibt angesichts der tollen Geschichten und Charaktere in der Musikwelt ein großes ungenutztes Potenzial, mit kreativen Formaten und wiederkehrenden Erzählweisen Plattformen wie TikTok oder YouTube kontinuierlich zu bespielen und damit letztlich auch viel nachhaltiger Reichweiten und Sichtbarkeit zu erzeugen.
"TikTok bietet großes Entwicklungspotential"
Backstage PRO: Wie schätzt du die zukünftige Entwicklung ein – also wie wird z.B. die Plattformlandschaft sich verändern und welche Trends werden zukünftig an Bedeutung gewinnen?
Johannes Middelbeck: Mit Blick auf die Plattformen finde ich vor allem die Entwicklung von TikTok spannend. Während Instagram und YouTube mittlerweile feste und einigermaßen berechenbare Player sind, ist hier nämlich einiges in Bewegung. Ich gehe davon aus, dass TikTok auch in Deutschland eine noch viel breitere Nutzung als bisher erfährt.
Schon jetzt ist zu sehen, dass sowohl Nutzerinnen und Nutzer als auch die Art der Inhalte erwachsener werden und auch die Plattformbetreiber viel dafür tun, das Image der schrillen Teenie-App abzuschütteln. Zum Beispiel, indem sie Politik-, Gesellschafts- und Wissens-Inhalte supporten. Das bedeutet unter anderem, dass hier eine neue, sehr ernstzunehmende Generation Creators heranwächst, von denen wir sicher auch auf anderen Kanälen hören werden.
Johannes Middelbeck beim Future Music Camp 2021
Johannes Middelbecks Keynote "Crashkurs Formatentwicklung - So konzipiert ihr starke Inhalte für YouTube, TikTok & Podcasts" im Rahmen des Future Music Camp findet am Freitag, den 16. April 2021 von 11:25 bis 11:55 Uhr statt.
Wegen der Corona-Pandemie wird das Future Music Camp in diesem Jahr vollständig digital ausgerichtet. Um an den Keynotes teilzunehmen, müsst ihr euch lediglich unter diesem Link kostenlos anmelden! Hier findet ihr alle weiteren Infos zur diesjährigen Konferenz.
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