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Solide Ausbildung, professionelle Einstellung, steile Karriere

"Es gab nie einen Plan B": Nico Schliemann (Glasperlenspiel) im Interview

Interview von Andreas Bach
veröffentlicht am 01.03.2017

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"Es gab nie einen Plan B": Nico Schliemann (Glasperlenspiel) im Interview

Nico Schliemann. © Jennifer Trautmann

Nico Schliemann wurde bekannt als Gitarrist bei Glasperlenspiel. Zudem spielt er bei Jenny Marsala, Cinematic, the nightLIVE band und dem Trio der Liebe. Der Familienvater leistet tagtäglich ein unglaubliches Pensum ab. Er arbeitet vor allem als Live- und Studiogitarrist, ist aber nebenbei auch als Produktvorführer, Workshopleiter, Gitarrenlehrer und für Notensatztätigkeiten bei Verlagen aktiv. Wir sprachen mit ihm über seine Berufskarriere.

Backstage PRO: Hallo Nico, was war für dich der erste Auslöser zur Gitarre zu greifen?

Nico: Ich habe damals mit 9 auf MTV das Musikvideo zu "jump" von Van Halen gesehen und das war dafür der Auslöser, der mich letztendlich zur Gitarre gebracht hat. Mit 10 habe ich dann schließlich angefangen und der Rest ist dann wohl Geschichte.

Backstage PRO: Du hast bereits mit 16 Jahren an der Jazz & Rock Schule in Freiburg studiert. Wie wichtig waren diese Jahre für dich im Nachhinein?

Nico: Für mich persönlich war das sehr wichtig, da es bei mir immer das Kredo gab "ganz oder gar nicht". Ich habe von Anfang an immer Unterricht gehabt. Mit 13 oder 14 kam dann noch das Klavier dazu, da ich wusste, dass ich für das Studium auf jeden Fall etwas Klavier spielen können sollte. Mit meiner Klavierlehrerin habe ich dann auch etwas Theorie und Gehörbildung gemacht und ordentlich Notenlesen gelernt, was mir später im Studium auch sehr geholfen hat, da ich einer der wenigen Gitarristen war, die halbwegs vom Blatt spielen konnten.

"Ein gutes Netzwerk ist im professionellen Bereich fast schon Pflicht"

Backstage PRO: Würdest du Nachwuchsmusikern unbedingt empfehlen eine solche Ausbildung zu absolvieren, wenn es ihr großer Traum ist, Profimusiker zu werden?

Nico: Wenn man das später professionell machen will, ist es nie verkehrt, zu wissen was man tut. Das heißt zwar nicht, dass man das nicht auch ohne Studium kann, aber gewisse Grundlagen haben glaube ich noch niemandem geschadet. Es hält einen aber wie gesagt auch keiner davon ab, sich privat mit den ganzen Themen wie Theorie, Gehörbildung, Arrangement, Tonsatz usw. zu beschäftigen. Im Studium bekommt man halt einfach sehr viel Informationen in kurzer Zeit.

Das eigentliche Verinnerlichen kommt im Endeffekt durch die Praxis und viel spielen, proben und aufnehmen, was einem schonungslos den Spiegel vorhält in Bezug auf das eigene Spiel. Was beim Studium auch ein Vorteil ist, ist die Tatsache, dass man sehr schnell viele andere Musiker kennen lernt, da ein gutes Netzwerk im professionellen Bereich fast schon Pflicht ist.

Backstage PRO: Gab es für dich jemals einen anderen Plan außer Gitarrist zu werden? Wenn ja, welchen?

Nico: Nein, es gab bei mir nie einen Plan B.

"Keine Situation ist unwichtig"

Backstage PRO: Du bist in Singen in Baden-Württemberg aufgewachsen und später nach Stuttgart gezogen. Ist es deiner Meinung nach heutzutage als Profimusiker noch entscheidend, in einer großen Stadt zu leben oder ist im Zeitalter des Hochgeschwindigkeits-Internets alles möglich?

Nico: Das kommt immer ein bisschen darauf an, in welchem Bereich man musikalisch tätig ist. Wenn ich z.B. ein Studio habe, ist es praktisch, aber nicht notwendig in einer Großstadt zu sein. Als Musiker hat es allerdings schon Vorteile, zumindest in der Nähe einer größeren Stadt zu wohnen, um einfach verfügbar zu sein für Produktionen, Proben, Auditions usw.

Ich habe es von Kollegen schon mitbekommen, dass sie z.B. einen Tourjob nicht bekamen, weil sie eben nicht in Berlin wohnen, dort aber lokal die komplette Tourproduktion und Logistik (Proben, Lager, Nightlinerabfahrt) war. In so einem Fall kann es schon sein, dass es finanziell eher unpraktisch wird, wenn einer der Musiker immer aus München eingeflogen werden müsste oder ein Zugticket bezahlt werden muss, damit derjenige zur Probe nach Berlin kommt. Also ergibt es gewissermaßen schon Sinn, als tourender Musik zumindest in der Nähe einer Großstadt zu wohnen.

Backstage PRO: Was waren deine wichtigsten musikalischen Stationen, die dich beruflich weitergebracht haben?

Nico: Eigentlich alle, man sollte beim Musikmachen keine Situation als unwichtig erachten, da man nie weiß, wer im Publikum ist, wen man kennen lernt, welche Connections sich evtl. auftun. Man lernt bei vielen kleineren Gigs in der eigenen Stadt ja immer wieder neue Leute kennen, die vielleicht ein Studio haben und mal einen Musiker brauchen oder in einer Management- oder Bookingagentur oder einer Plattenfirma arbeiten. Alles Leute, die wichtig sein könnten in der Zukunft, da man nie weiß, wann, wie und wo die auf der Suche nach Leuten sind, mit denen sie zusammenarbeiten wollen.

Backstage PRO: Hattest du jemals Phasen, in der es finanziell für dich nicht so gut aussah und du den Beruf als Musiker lieber gegen einen anderen eingetauscht hättest?

Nico: Die Phasen hat glaube ich jeder Musiker am Anfang, aber Musik gegen einen anderen Job wollte ich eigentlich nie eintauschen. Ich habe auch nur während meines Studiums und meiner Zivizeit nebenher noch etwas anderes gejobbt. Seit meinem Umzug nach Stuttgart habe ich eigentlich nichts mehr gearbeitet, was nicht irgendwie mit Musik zu tun hatte.

"Jeder muss mal Gigs spielen, die nicht die Erfüllung sind"

Backstage PRO: Gerade als Berufsanfänger ist es bekanntermaßen sehr schwer sich über Wasser zu halten. Musstest du zu Beginn deiner Karriere viele Jobs annehmen auf die du keine besonders große Lust hattest?

Nico: Auch hier denke ich, dass jeder am Anfang hier und da mal Gigs spielen muss, die vielleicht jetzt nicht die Erfüllung sind, aber in solchen Situationen hat es mir immer geholfen, dass ich eigentlich fast immer nur mit Leuten die Bühne geteilt habe, mit denen ich Spaß haben konnte beim Musik machen, egal, ob der Gig evtl. musikalisch nicht besonders erfüllend war. Ich habe auch aufgehört, Gigs nur wegen dem Geld anzunehmen, wenn ich genau weiß, dass ich mit einem oder mehreren Musikern in einer Band nicht klar komme.

Man sollte am Anfang auch nicht davor zurückscheuen, so viel wie möglich zu machen und so breit wie möglich aufgestellt zu sein, also neben dem live spielen evtl. Unterricht geben, als Studiomusiker arbeiten. Bei mir war es eben auch Notensatz / Buchlayout für mehrere Verlage.

Backstage PRO: Würdest du es trotzdem empfehlen diese Jobs mitzunehmen, um weiterzukommen?

Nico: Auf jeden Fall. Wenn man noch nicht in der Situation ist, dass man sich die Jobs aussuchen kann, dann sollte man alles machen, was möglich ist. Man sollte nur etwas darauf achten, dass man jetzt vielleicht nicht unbedingt 500km für einen Gig durch die Gegend fährt, wenn es nur 50€ gibt. Die Relation muss schon auch stimmen.

Nico Schliemann, Felix Lehrmann und Bernhard Lackner sind das Trio der Liebe

Nico Schliemann, Felix Lehrmann und Bernhard Lackner sind das Trio der Liebe, © Ibanez

"Wir sind es gewohnt, auch mal ohne vorherige Probe einen Gig zu spielen"

Backstage PRO: Du bist gerade zusammen mit Felix Lehrmann und Bernhard Lackner live mit dem "Trio der Liebe" auf Tour. Was wird uns musikalisch bei diesem Powertrio erwarten?

Nico: Es wird sich irgendwo zwischen Jazz, Blues und Rock bewegen.

Backstage PRO: Alle Bandmitglieder eures Trios sind ja bekanntermaßen vielbeschäftigte Live- und Studiomusiker. Wie habt ihr es trotzdem geschafft, neben all euren Tätigkeiten zusammen zu komponieren und ein Live-Programm zusammenzustellen?

Nico: Ganz einfach, gemeinsam ging das für diese Tour leider nicht. Wir schreiben alle Songs und haben einfach von jedem ein paar Stücke, aus denen wir auswählen können. Wir haben dann alles in einer Dropbox gesammelt, Aufnahmen und die Noten dazu gepackt und jeder von uns bereitet sich alleine darauf vor. Beim Tourstart gibt es dann einen etwas längeren Soundcheck oder wir treffen uns etwas früher und proben dann noch ein bis zwei Stunden. Wir sind es alle aus diversen Situationen als Sub für andere Musiker gewohnt, auch mal ohne vorherige Probe einen Gig zu spielen und sich dementsprechend vorzubereiten.

Backstage PRO: Du bist seit mehreren Jahren Ibanez-Endorser (Nicos Gear findet ihr hier in seinem Profil). Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Nico: Auch eher durch Zufall, da ich über mehrere Ecken jemanden kennengelernt habe, der für den deutschen Vertrieb von Ibanez arbeitet. Wir hatten dann auf der Musikmesse 2013 geredet, ich bin mal dorthin gefahren und mit Glasperlenspiel als Referenz war es für beide Seiten einfach passend, da Ibanez ja verstärkt im Heavy-Bereich Endorser hat und im Pop-/Rock-Bereich noch weitere in den Fokus bringen wollte.

Backstage PRO: Kannst du beschreiben wie eine Endorsement-Zusammenarbeit genau aussieht und was sie den beiden beteiligten Parteien bringt?

Nico: Ein Endorsement sollte vor allem für beide Seiten einen Nutzen haben. Die Firma, mit der man zusammen arbeitet, stellt einem dafür Equipment zur Verfügung und mein Job als Musiker ist dann natürlich das, was ich bekommen habe, so gut wie möglich zu präsentieren – sprich bei TV-Auftritten, Konzerten, Workshops, im Unterricht, in Demovideos, Fotos posten bei Facebook und Instagram usw.

Mir war es wichtig, mit einer Firma zusammen zu arbeiten, bei der ich die Leute, die für mich zuständig sind, mag und gut mit ihnen klar komme. Wichtig ist auch, dass der Vertrieb in Notfällen auch mal schnell reagieren kann, wenn auf Tour z.B. mal etwas kaputt geht und Ersatz für ein Instrument benötigt wird oder man irgendwo einen Gig im Ausland hat und sich dort dann vom dortigen Vertriebspartner ein Instrument oder Verstärker stellen lassen kann, weil man nicht alles im Flugzeug mitnehmen konnte.

"Man sollte ein paar Sachen erreicht haben, um sich auf ein Endorsement zu bewerben"

Backstage PRO: Viele junge Musiker versuchen zwanghaft Endorsements zu ergattern. Hast du Tipps für eine realistische Herangehensweise?

Nico: Versucht nie, ein Endorsement zu bekommen, nur um ein Endorsement zu haben. Mein allererstes Endorsement war mein Saitendeal mit Elixir. Bis ich den in der Tasche hatte, hat es sicher 2 Jahre gedauert. Mit persönlicher Empfehlung, mehreren Mails, Gesprächen auf der Musikmesse, etwas jammen am Messestand usw. – das kam nicht so von jetzt auf gleich! Und die Saiten hab ich schon Jahre davor genutzt. Ich hab auch damals noch nicht bei Glasperlenspiel gespielt, hatte also das auch nicht als Referenz zur Verfügung.

Generell sollte man ein paar Sachen erreicht haben, um sich auf ein Endorsement zu bewerben. Wenn man live spielt, sollte man viele Gigs haben – private oder geschlossene Veranstaltungen zähle ich da jetzt mal nicht dazu. Fernsehpräsenz ist immer von Vorteil, selbst, wenn man nur alle paar Wochen Playbackmusiker für irgendwelche Acts im Fernsehgarten ist. Die Firmen wollen halt auch etwas haben als Gegenleistung. Das kommt alles mit der Zeit und einfacher ist es, wenn man über ein paar Ecken einen direkten Kontakt hat und jemandem vorgestellt wird, als einfach blindlings selbst am Musikmesse-Stand zu nerven, was nämlich echt viele machen.

Backstage PRO: Du beschäftigst dich viel mit deinem Gitarrensound und dem dazugehörigen Equipment. Bist du mit deinem Sound immer zufrieden oder ist die Suche nach dem heiligen Gral eine endlose Lebensaufgabe?

Nico: Ich bin nicht immer mit meinem Sound zufrieden, das liegt aber weniger am Equipment, sondern mehr an mir und meiner Tagesform. Ich bin mittlerweile an dem Punkt angekommen, wo ich fast über jeden Amp oder jede Gitarre meinen Sound irgendwie hinbekomme, da ich nach mir klinge, ob ich will oder nicht. Und an manchen Tagen ist man einfach nicht in Form und findet sein eigenes Spiel einfach nicht so gut.

Aber was das Thema Equipment angeht, muss ich gestehen, dass ich den ganzen Technikkram schon mag. Ich sammle unheimlich gerne Zerrpedale, habe ein paar Amps daheim stehen und bin auch der digitalen Welt und neuen Ansätzen gegenüber sehr offen, wenn es um Themen wie Modeling und Kemper geht.

Wir Gitarristen beschäftigen uns ja gerne mit technischen Geräten, die 50 Jahre alt oder älter sind – also zumindest, was das Prinzip der Technik angeht. Ich habe aber eigentlich schon immer gerne mit Computern gearbeitet und mich dadurch auch mit digitalen Lösungen zum Thema Gitarre auseinandergesetzt.

Nico auf der Bühne mit Glasperlenspiel. Seine persönliche Webseite lautet www.nicoschliemann.de.

Nico auf der Bühne mit Glasperlenspiel. Seine persönliche Webseite lautet www.nicoschliemann.de.

Backstage PRO: Dein momentaner Berufsstand wäre für viele andere Musiker eine Traumvorstellung. Wovon träumst du musikalisch noch?

Nico: Es endlich mal zu schaffen, ein eigenes Album aufzunehmen. Ich bin momentan wieder vermehrt am schreiben und Demos aufnehmen, aber ich bin immer noch am Material sammeln, dass ich auch auswählen kann, weil ich noch nicht ganz sicher bin, wohin die Reise musikalisch gehen soll.

Backstage PRO: Gib uns noch einen kurzen Ausblick in die Zukunft. Was dürfen wir von dir und deinen Projekten in nächster Zeit noch spannendes erwarten?

Nico: Ich setze mir keine Deadlines, in denen ich mir sage, dass dieses und jenes bis dahin laufen muss oder nicht. Ich mache mir wegen sowas momentan keinen Stress, da ich grade echt viel zu tun habe und ich viele Studiojobs spiele. Dieses Jahr wird auch wieder viel getourt mit Glasperlenspiel. Online-Kurse im Stile einer Masterclass werde ich anbieten. Das wollte ich schon immer mal machen, da ich ja über 10 Jahre unterrichtet habe, es aber aus Zeitgründen letzten Sommer aufgeben musste habe und mittlerweile nur noch privat und auf Anfrage unterrichte.

Backstage PRO: Vielen Dank für deine Zeit und weiterhin viel Erfolg auf deinem Weg!

Nico: Danke, und euch auch weiterhin viel Erfolg mit Backstage PRO!

Unternehmen

Ibanez

E-/Akustik Gitarren & Bässe

Personen

Nico Schliemann

Musiker aus Steinenbronn

Artists

CINEMATIC

Americana aus weil der stadt

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