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Zwei Neustarts mit detaillierten Hygienekonzepten

Wie funktionieren Clubkonzerte in der Coronakrise?

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 18.09.2020

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Wie funktionieren Clubkonzerte in der Coronakrise?

Thees Uhlmann spielte das erste pandemiegerechte Konzert im Schlachthof Wiesbaden. © Till Christmann

Sind Clubkonzerte während der Coronakrise wirklich unmöglich? Wir zeigen im folgenden Artikel, wie zwei bekannte Clubs, der Schlachthof Wiesbaden und der Colos-Saal in Aschaffenburg, trotz der Pandemie Konzerte veranstalten – und damit einen kleinen Hoffnungsschimmer senden.

Langsam und vorsichtig kehrt Leben in die deutschen Musikclubs zurück. Die Umsetzung von Veranstaltungen mit Abstandsregeln und Hygienekonzepten ist ein langwieriger Prozess, vor allem aber lässt sich mit pandemiegerechten Konzerten kein Geld verdienen. 

Andere Clubs sind schlichtweg zu klein, um überhaupt Veranstaltungen durchzuführen und bleiben daher noch komplett geschlossen.

Neustart mit Thees

Der Schlachthof Wiesbaden darf aufgrund einer Sondergenehmigung Konzerte bis 250 Besucher veranstalten. Unter dem Titel "Bienvenue trotz Pandemie" eröffnete der berühmte Live-Club in der hessischen Landeshauptstadt am 2. September mit einem ausverkauften Konzert von Thees Uhlmann die neue Saison. 

Die Erfahrungen damit waren überaus positiv: "Alles hat reibungslos funktioniert. Die Gäste haben sich vorbildlich verhalten und die Maßnahmen befolgt", erklärt Hendrik Seipel-Rotter, Pressesprecher des Schlachthofs. Mehr noch: Sowohl Künstler als auch Publikum hätten begeistert auf das Konzept reagiert.

Ausverkaufte Wiedereröffnung

Auch der Colos-Saal in Aschaffenburg, Sieger in der Kategorie "Bester Club" beim BACKSTAGE Clubaward 2019, öffnete am 2. September wieder die Türen für Musikfans: die ABtown Houzeband spielte zwei Sets im ausverkauften Saal vor begeisterten Zuschauern, die froh waren, wieder eine Kulturveranstaltung zu besuchen. 

Gleiches gilt natürlich für die Musiker, wie Claus Berninger, Geschäftsführer des Colos-Saal, erklärt: "Wir kennen die Not der Künstler und können wenigstens einigen zu Auftritten und Gagen verhelfen."

Bis Ende Oktober sollen noch weitere 13 Konzerte im Colos-Saal stattfinden. Davon sind neun als Doppelkonzerte geplant, d.h. die Musiker spielen zwei Sets an einem Abend. Weitere Veranstaltungen für November und Dezember befinden sich in Planung. Aufgrund der bayerischen Corona-Richtlinien dürfen an den Konzerten im Colos-Saal jedoch nur maximal 100 Personen teilnehmen. 

Detailliertes Hygienekonzept

Um die Ausbreitung des Coronavirus bei den Veranstaltungen zu verhindern, haben beide Clubs umfassende Hygienekonzepte entwickelt.

Im Schlachthof Wiesbaden gilt beispielsweise, dass nur diejenigen gemeinsam sitzen dürfen, die Tickets gemeinsam erworben haben. Die maximale Gruppengröße beträgt 10 Personen. Die Kontaktdaten aller Teilnehmer müssen schon beim Kauf angegeben werden und können auf Nachfrage anhand der mitzuführenden Personalausweise jederzeit in der Halle überprüft werden. 

Weiterhin sind die Besucher aufgefordert, einen Abstand von 1,50 m zu anderen Personen einzuhalten und die Bildung von Gruppen zu vermeiden. Der Schlachthof wiederum versucht Infektionsgefahren durch bargeldloses Bezahlen, kontaktloses Scannen der Tickets und die Belüftung mit 100% Frischluft zu minimieren.

Der Colos-Saal wendet ein ähnliches Konzept an. Auch hier darf nur zusammen sitzen, wer eine Tickets gemeinsam erworben hat. Gruppen mit bis zu 10 Personen werden in einer Bistrobestuhlung zusammengesetzt, wodurch bis zu 100 Personen Platz finden. 

Wenn jedoch nur Einzelpersonen oder Paare Karten kaufen, beträgt die Kapazität nur etwa 60 Personen. Aus diesem Grund können Einzelpersonen bei der Buchung nicht berücksichtigt werden.

Großkonzerte fehlen

Die pandemiegerechten Konzerte sind "ein Lichtblick", eignen sich aber nicht zum Geldverdienen. "Wenn alles gut läuft, legen wir kein Geld drauf. Wir verdienen auch kein Geld, aber wir können unsere Sichtbarkeit erhöhen", erklärt Seipel-Rotter. Um die Veranstaltungen wenigstens ohne Verluste durchführen zu können, hat der Schlachthof Fördermittel bei verschiedenen Institutionen, z. B. bei Neustart Kultur beantragt. 

Normalerweise verfügt der Schlachthof über eine Kapazität von 2.400 Zuschauern, die besagten Konzerte bewegen sich daher auf kleinem Niveau, wie Seipel-Rotter betont. "Von Veranstaltungen mit 250 Zuschauern können wir nicht leben, uns fehlen aktuell die Großkonzerte, die unsere kleineren Veranstaltungen gegenfinanzieren."

Auch Claus Berninger weist darauf hin, dass Konzerte mit so geringer Kapazität keinen finanziellen Gewinn erzielen können: "Diese Konzerte werden bezuschusst, wenn wir Pech haben entweder aus unseren eigenen Mitteln oder von Bund und Land, wenn die angekündigten Hilfsprogramme denn irgendwann auch tatsächlich greifen."

Keine Lösung fundamentaler Probleme

Der Schlachthof ist von der Krise stark betroffen. Ein Teil des Teams befindet sich nach wie vor in Kurzarbeit. "Von Personal, das nicht in Kurzarbeit geschickt werden konnte, mussten wir uns sogar trennen. Keine einfache Situation.", erklärt Seipel-Rotter. 

Das Team des Schlachthofs freut sich, wieder Gäste begrüßen zu können, aber die Probleme sind lange noch nicht gelöst. "Pandemiegerechte Veranstaltungen bringen nicht alle Betroffenen wieder in Arbeit. Sie sind natürlich besser als nichts, aber sie sind eine bescheidene Wiedereröffnung."

Ein ganz anderes Programm

Völlig geschlossen war der Schlachthof allerdings nie. Im Backstage-Bereich des Kesselhauses (der kleineren Halle des Schlachthofs) befindet sich seit Ende März eine Rettungswache des ASB. Die Rettungssanitäter können sich dort aufhalten und rücken vom Schlachthof zu Einsätzen in ganz Wiesbaden aus.

Die Stadt Wiesbaden hielt Orts- und Kulturbeiratssitzungen und Arbeitstreffen in der Halle ab. Initiativen nutzten die Halle als Tagungs- oder Meetingräume. "Das ist sehr gut angenommen worden. Auch wenn wir keine Veranstaltungen hatten, still war es nicht in der Halle."

Zeichen setzen

Seit Anfang September bieten Schlachthof und Colos-Saal wieder Programm an, aber bis zur Normalität ist es noch ein weiter Weg. Die Zukunft der deutschen Livemusik-Clubs wird von der Entwicklung der allgemeinen Infektionszahlen abhängen, aber auch davon, wie viele Zuschauer trotz Coronavirus-Pandemie Karten kaufen.

Ob die Hilfs- und Förderprogramme des Bundes und der Länder sich als effektiv erweisen oder die Politik sich bereit findet, die bislang sehr strengen Regelungen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu lockern, ist noch nicht klar.

Umso wichtiger ist es, dass die Clubs ein Zeichen setzen: für die Künstler, für die Veranstaltungswirtschaft, aber auch für sich selbst: “Das Wichtigste ist, euch ein Lebenszeichen zu geben. Der Colos-Saal existiert und das komplette, festangestellte Team ist noch an Bord. Das ist das Signal.”, erklärt Berninger auf der Website des Colos-Saals.

Locations

Schlachthof

Schlachthof

Murnaustr. 1, 65189 Wiesbaden

Colos-Saal

Colos-Saal

Roßmarkt 19, 63739 Aschaffenburg

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