Sigur Rós

Sigur Rós © Quelle: Presse MCT

Bevor Sigur Rós am vergangenen Freitag wieder pünktlich zur Mitternacht das Southside mit ihrer Anwesenheit beehrten, spielten sie am Vorabend ein kleines Konzert in der Alten Feuerwache. Um der Chronologie Rechnung zu tragen, gibt es hier den Bericht vom Donnerstag, bevor wir morgen ausführlich vom Southside berichten.

Also anstatt Fussball eines der wenigen Deutschlandkonzerte von Sigur Rós vor ausverkauftem Haus. Da macht es auch nichts, dass man auf dem Weg nichts anderes sieht als Fussballleinwände für das nächste Achtelfinale und Autokorsos für das gerade Entschiedene. Selbst das schwüle Wetter kann nicht davon abhalten sich mit ca. 900 anderen Begeisterten in die Feuerwache zu drängen. Und natürlich lohnt es sich. Sigur Rós sind ein musikalisches Erlebnis der Extraklasse. Nicht nur, dass das Equipment die Ausmaße eines mittleren Tonstudios hat und sich die Isländer auch für die Lichtshow viel einfallen lassen; zusätzliche Unterstützung bekommen sie von Amina, dem Streichquartett, das schon auf vielen Sigur Rós Platten zu hören war und beinahe fester Bestandteil der Konzerte ist; außerdem zwei Bläser. Die Band selbst wechselt ab und an still die Instrumente, Kjartan Sveinsson, der Keyboarder, spielt Querflöte und Blockflöte, Orri Pall Dyrason am Schlagzeug auch Xylophon, Georg Holm seinen Bass auch mal unkonventionell mit Drumsticks und  wie schon viel zu oft zu lesen war, dennoch immer wieder besondere Aufmerksamkeit verdient, Gitarrist und Sänger Jón Thór Birgisson bearbeitet seine Gitarre auch mal gerne mit dem Cellobogen.

Alles das, um die einzigartige Sigur Rós Klangwelt zu schaffen. Schon nach den ersten Takten bauen die Isländer eine Welt aus Tönen und Farben, Projektionen und Klängen, in die man hineingezogen wird und in der man ewig weiterdämmern will. Anfangs verstecken sich Sigur Rós noch hinter einem Vorhang, so dass nur ihre Schattenrisse zu erkennen sind, bis sich schließlich unter andauerndem Applaus der Vorhang hebt. Das Konzept von Sigur Rós ihre Musik zu vermitteln ist schlicht und ergreifend ihre Musik. Es gibt außer einer kurzen Ansage ans Publikum, die man beinahe nicht versteht, keine Interaktion mit dem Publikum. Eigentlich könnte man auch die ganze Zeit die Augen geschlossen lassen. Bei Sigur Rós geht es um Atmosphäre, deshalb ist es auch ganz und gar nicht wichtig, ob man versteht was der Sänger sagen will, ob er seine Lieder auf isländisch, der selbst erfundenen Sprache hopeländisch oder auf englisch singt - hätte er in Mannheim englisch gesungen, wäre es wahrscheinlich auch nicht aufgefallen.

Dementsprechend gibt es auch keine Zugabe, Sigur Rós verschwinden während der letzten Takte hinter ihrem Vorhang und kommen nur zur obligatorischen Verbeugung mit der ganzen Band wieder. Zu diesem Zeitpunkt ist schon längst wieder das Licht an, die Türen auf und das Sigur Rós-Erlebnis zuende, aber man hat das Gefühl, dass keiner so recht gehen mag und das Publikum viel lieber noch den Tönen im Ohr und den Bildern vor dem inneren Auge nachhängen möchte.

Zuvor hatte man beinahe zwei Stunden das Gefühl, von Klängen und der Band selbst, was durch Projektionen an den Wänden rechts und links noch verstärkt wurde, umgeben zu sein, surround sound im wahrsten Sinne des Wortes und so auf Platte einfach nicht in vergleichbarem Maße zu erleben. Mit Bläsern, Streichern und Xylophon entsteht bei den Isländern kein Bombast oder überladener Kitsch sondern eine träumerische Leichtigkeit. Jonsis androgyne Falsettstimme klingt nicht schief oder gepresst sondern lässt einfach nur staunend genießen. Jedes Lied beginnt mit einem leisen Klanggeflüster, steigert sich von Glockenspielklängen über treibende Schlagzeug- und Gitarrenrhythmen in spannungsgeladene Finale, Soundcrescendos, die kurz abebben und wieder aufflackern, so dass man das Gefühl bekommt es geht immer noch besser, schneller, lauter, intensiver. Kaum ein Lied ist kürzer als sechs Minuten, oftmals sind sie länger als zehn. Hört man die Klangzauberei der Isländer, die Kreativität sowie das musikalische Können von Sigur Rós mag man kaum glauben, dass die Band offiziell erst 1994 gegründet wurde und der Sänger gerade mal 31 Jahre zählt. 

So wird jedes Lied mit gebührendem Applaus verabschiedet und da man nicht gerne etwas von der schönen, manchmal doch sehr leisen Musik verpasst, wird beim geübtem Publikum jedes zu frühe Klatschen und zu lautes Reden abschätzig niedergezischt. Man hat selten ein so überwältigungsbereites Publikum aus allen Ecken Europas in der Feuerwache gesehen.

Die Setlist ist eine Mischung aller bisherigen veröffentlichten Platten von Sigur Rós. Den Anfang macht Glósóli vom neuen Album Takk, was soviel heißt wie danke und das können die Fans nach diesem kleinen aber feinen Konzert tatsächlich nur zurückgeben. Außerdem gibt es Olsen Olsen und Ný Batterí vom Album Ágætis Byrjun zu hören sowie Hoppípolla, Sæeglópur, und Með Blóðnasir, was soviel heißt wie Ich habe Nasenbluten vom neuen Album Takk. Highlights waren der vierte Track des 2002 Albums ohne Titel (), inoffiziell "Njosnavelin" -- the "Nothing Song" genannt, den man auch schon im Film Vanilla Sky hören konnte, auch wenn er leider nicht auf dem Soundtrack gelandet ist. Weiter der infernale Klassiker Hafsól vom Album Von und Viðrar Vel Til Loftárása was soviel heißt wie Gutes Wetter für Luftangriffe, und bei dessen ersten Tönen das Publikum in Begeisterung ausbricht. Scheinbar ein Liebling der Fans, steigert sich der Song langsam mit einem Klaviersolo bis zum unaufhaltsamen Inferno, das jedoch kurz vor dem finalen Ausbruch quasi eine ´dramaturgische Pause´ erhält, in der es eigentlich so still sein sollte, dass man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hört. Das hat auch am Donnerstag Abend in Mannheim ganz gut geklappt. Untitled #8 (a.k.a. popplagið / the pop song) bildet dann den wahrlich fulminanten Abschluss des Konzerts, mehr als 10 Minuten bis zum Höhepunkt und wen es bis dahin noch nicht gepackt hat, kann nicht anders als aufzugeben und voll und ganz ins Sigur Rós Klanguniversum abzuheben. Danach eine Zugabe verbietet sich eigentlich von selbst.  

Wer jetzt jedoch denkt, Sigur Rós sei nur leise, getragen und passiv, der hat nicht richtig hingehört, und sie sicher noch nicht live gesehen. Es ist der Kontrast zwischen laut und leise, zwischen leichten träumerischen Klängen und schwerer irdischer Naturgewalt, der diese Band so spannend macht.

Nach diesem Konzert kann man sich außerdem vielleicht ein bisschen besser vorstellen, was man unter nordischer Innerlichkeit, die den Isländern so oft nachgesagt wird, verstehen mag, die beispielsweise auch bei Múm, der zweiten ähnlich bekannten isländischen Band zu spüren ist. Außerdem ist man versucht seinen nächsten Urlaub nach Island, dem Land, das tatsächlich eine staatlich angestellte Elfenschutzbeauftragte hat, zu planen um zu sehen ob es dort wirklich so schön sein kann, wie Sigur Rós mit ihrer Musik andeuten.

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