crying at the discoteque?
Neue GEMA-Tarife sorgen für Ärger bei Diskothekenbetreibern
gema dehoga bundesverband der musikveranstalter knust diskotheken
Discothekenbetrieb (hier: Time Warp 2009)
Titelfoto: René Peschel
Kein Monat vergeht ohne eine neue GEMA-Debatte. Kürzlich ist ein Streit zwischen der Bundesvereinigung der Musikveranstalter und der GEMA über ein neues Tarifsystem entbrannt, das zum 1.1.2013 in Kraft treten soll. Unter der Überschrift "GEMA verliert Augenmaß" wurde auf openpetition.de eine Petition gestartet, die sich gegen die Neuerungen wendet. Das neue Tarifsystem betrifft Veranstaltungen, in deren Verlauf Musik gespielt wird, und zwar entweder Livemusik oder Musik von Tonträgern. Betroffen sind beispielsweise Veranstaltungen in Restaurants oder Kneipen, Tanzveranstaltungen, Bälle, Straßen- oder Dorffeste, Karnevalssitzungen, Silvesterparties und – besonders wichtig – Diskotheken. Nicht betroffen sind reine Konzerte, für die ein gesonderter Tarif gilt.
Georg Oeller, Vorstandsmitglied der GEMA, und Lorenz Schmid, Bezirksdirektor der GEMA, präsentierten Anfang April 2012 die neue Tarifstruktur für den Veranstaltungsbereich. (v.l.n.r.: Georg Oeller, Lorenz Schmid, Bettina Müller), © Foto: Stephan Görlich
Gegen diese neuen Tarife läuft die Bundesvereinigung der Musikveranstalter Sturm. In der Bundesvereinigung der Musikveranstalter sind mehr als 150.000 Musiknutzerbetrieben organisiert. Zahlreiche Betreiber von Diskotheken hätten nach Auskunft von Stephan Büttner, dem Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Musikveranstalter erklärt, sie würden ihre Betriebe schließen, weil die in den neuen Tarifen vorgesehene Erhöhung der GEMA-Gebühren nicht zu verkraften seien.
Stephan Büttner befürchtet "Verarmung der Veranstaltungskultur". Betroffen sind Auftritte in gastronomischen Betrieben oder auf Volksfesten., © Foto: DEHOGA/Cordula Giese
Stephan Büttner befürchtet aufgrund der neuen Tarife nichts weniger als eine "Verarmung der Veranstaltungskultur" in Deutschland: "Viele Veranstalter werden jungen, aufstrebenden Künstlern und Bands keine Plattform mehr zur Verfügung stellen, weil das finanzielle Risiko zu groß ist." Da die neuen Tarife allerdings nicht für Konzerte, sondern lediglich für Auftritte in gastronomischen Betrieben oder auf Volksfesten gelten, ist fraglich, ob dieses pauschale Szenario tatsächlich realistisch ist.Sollte sich diese Befürchtung jedoch als richtig erweisen, dann würde das dem erklärten Ziel der GEMA zuwiderlaufen kleine Veranstaltungen zu entlasten. Ob tatsächlich 60% aller Veranstaltungen entlastet werden, wie die GEMA behauptet, ist von außen nur schwer zu entscheiden, da die neuen Tarife eine große Zahl sehr unterschiedlicher Veranstaltungen betreffen. Inwiefern kleine Veranstaltungen tatsächlich weniger Gebühren an die GEMA abführen müssen, wird man wohl erst genau sehen, wenn die neuen Tarife tatsächlich gelten und auch dann dürfte sich die Lage je nach Typ der Veranstaltung unterscheiden.
DEHOGA Logo. Der deutsche Hotel- und Gaststättenverband, Branchenverband des Gastgewerbes.
Nicht entlastet, sondern belastet werden durch die neuen Tarife hingegen die meisten Diskotheken. Wenn man sich mit einem Rechenbeispiel beschäftigt, das die Musikveranstalter auf der Website ihres Dachverbands DEHOGA (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) veröffentlicht haben, so stellt man fest, dass die prozentuale Steigerung der GEMA-Gebühren in der Tat beträchtlich ist. So rechnen die Musikveranstalter vor:Bei durchschnittlich zehn Veranstaltungen pro Monat in einer mittelgroßen Discothek mit 2 Dancefloors von z.B. 410 und 310 qm bei einem Eintrittsgeld von 8 Euro erhöhen sich die GEMA-Gebühren (inkl. aller Zuschläge) von 21.553 Euro netto/Jahr auf 147.916 Euro netto/Jahr (+ 686 %).
Die im Rechenbeispiel angenommenen Eintrittsgelder sind vergleichsweise hoch, auf Nachfrage stellt Stephan Büttner für die Musikveranstalter klar, dass der durchschnittliche Eintrittspreis für eine Diskothek bei 6 Euro liegt. Selbst mit dieser etwas niedrigeren Zahl erhöhen sich die GEMA-Gebühren für Diskotheken um ein Vielfaches – mit der Folge, dass die Betreiber gezwungen sind, Maßnahmen zu ergreifen, um diese Gebühren zu finanzieren.
GEMA: Die neue Tarifstruktur für den Veranstaltungsbereich wird kontrovers diskutiert
Selbst wenn man der Argumentation der GEMA folgt, dass die Künstler für das Abspielen ihrer Musik in Diskotheken bislang zu wenig Vergütung erhielten, so ist ebenso klar, dass eine Neugestaltung der Tarife die wirtschaftliche Lage der Diskotheken berücksichtigen sollte. Die Abschaffung eines als ungerecht empfundenen Zustands muss sich an den existierenden wirtschaftlichen Realitäten orientieren, und zwar sogar dann, wenn dieser Zustand das Ergebnis dieser Ungerechtigkeit ist.Ein Beispiel kann das verdeutlichen: So geht die GEMA in ihren Berechnungen von einer durchschnittlichen Auslastung von 2/3 der vorhandenen Fläche aus, was ungefähr eine Person pro qm bedeutet. Wird diese Auslastung nicht erreicht, dann kann sich der Gewinn einer Diskothek schnell in einen Verlust verwandeln. Die hohe Fluktuation im Diskotheken-Geschäft zeige, dass die finanzielle Lage vieler Betriebe keineswegs rosig sei, so Stephan Büttner. Musikveranstalter und GEMA sollten daher jenseits der bereits jetzt möglichen Härtefallregelung über Modelle nachdenken, die sich an den tatsächlichen Umsätzen orientieren; als Modell könnte der neu eingeführte Konzerttarif U-K für Musikclubs dienen.
Karsten Schölermann befürwortet "harte Auseinandersetzungen mit der GEMA", wenn sie fundiert geführt werden.
Auf der anderen Seite, stößt die heftige Kampagne der Musikveranstalter selbst innerhalb der Branche nicht auf allseitige Zustimmung. Karsten Schölermann, Inhaber des Hamburger Livemusikclubs Knust (mehrteiliges Interview auf Backstage PRO) wirft den Diskothekenbetreibern vor, "die Interessen der Musikschaffenden nicht angemessen zu berücksichtigen". Außerdem kritisiert er die Vehemenz der öffentlichen Verlautbarungen der Musikveranstalter und erklärt, Diskothekenbetreiber hätten bislang im Vergleich zu Livemusikclubs "sehr wenig bezahlt", obwohl kein Grund existiere, der eine unterschiedliche Behandlung von Diskotheken und Livemusikclubs rechtfertige. Er betont, er befürworte "harte Auseinandersetzungen mit der GEMA", aber nur dann, wenn sie fundiert geführt würden.Weiterhin ist die Aussage von GEMA-Bezirksdirektor Lorenz Schmid nicht von der Hand zu weisen, der klarstellt, dass Musik das "Kernprodukt" einer jeden Diskothek ist und dass die Künstler, die von der GEMA vertreten werden auch Anspruch auf eine angemessene Vergütung haben.
Über die Frage, was angemessen ist, wird allerdings gerade heftig gestritten. Ob es angesichts der aufgeregten Debatte und der verhärteten Fronten zu einer Einigung in neuen Gesprächen kommt, ist fraglich. Die GEMA erklärte bereits im Rahmen der Pressekonferenz, auf der sie die neuen Tarife vorstellte, explizit ihre Verhandlungsbereitschaft. Stephan Büttner stellt dazu allerdings klar, dass sich die Verhandlungsbereitschaft der GEMA nicht auf die inhaltliche Gestaltung der Tarife bezieht.
GEMA-Bezirksdirektor Lorenz Schmid: "Musik ist das 'Kernprodukt' einer jeden Diskothek"., © Foto: Stephan Görlich
Auf Nachfrage erklärt Lorenz Schmid, GEMA und Musikveranstalter hätten bei ihrem letzten Treffen gemeinsam entschieden, das reguläre Schiedsstellenverfahren beim Deutschen Patent- und Markenamt, der Aufsichtsbehörde der GEMA, einzuleiten.Schmid führt weiterhin aus, die GEMA habe die neuen Tarife nicht nur im Wissen veröffentlicht, dass sie Gegenstand dieses Schiedsverfahrens sein würden, sondern um das Schiedsverfahren überhaupt zu ermöglichen. Gegen den "Einigungsvorschlag" der Schiedsstelle kann eine unzufriedene Partei im Übrigen vor dem Oberlandesgericht München klagen.
Ob einer solchen Klage angesichts der traditionell GEMA-freundlichen Rechtsprechung große Erfolgsaussichten beschieden sind, ist zweifelhaft, allerdings müssen sich die neuen Tarife am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen. Ob die Musikveranstalter letztlich den Rechtsweg beschreiten würden, ist aufgrund der damit verbundenen Kosten noch nicht entschieden. Nach Auffassung von Stephan Büttner sei es für die GEMA als "Monopolist" mit "überwältigen Finanzkraft von 825 Millionen Euro" ein Leichtes einen Prozess durch mehrere Instanzen zu führen. Vermutlich sind die Musikveranstalter auch aus finanziellen Erwägungen in großem Stil an die Öffentlichkeit gegangen, um Druck auf die GEMA auszuüben. In diesem Zusammenhang ist auch die neulich lancierte Petition zu sehen, obwohl es sich offiziell um eine Privatinitiative handelt.
Da auch die GEMA die künftige Mehrbelastung von Diskotheken anerkennt, hat sie den Musikveranstaltern angeboten, die neuen Tarife nicht schlagartig zum 1.1.2013 einzuführen, sondern über ein Einführungsszenario zu verhandeln. Die Musikveranstalter sind allerdings auf diesen Vorschlag nicht eingegangen, da sie die neuen Tarife insgesamt ablehnen. Bei Steigerungen von mehreren hundert Prozent mache es keinen Unterschied, ob die neuen Tarife sofort oder erst später in Kraft träten.
Richie Hawtin, "Kreativ-DJ" und Stammgast u.a. der Time Warp in Mannheim., © Foto: Andrea Piccinato
Es ist aber zu vermuten, dass eine solche Fundamentalopposition letztlich nicht erfolgreich sein wird. Karsten Schölermann rät den Diskotheken daher, nicht auf das "bequeme" Abspielen von Tonträgern zu setzen, sondern Kreativ-DJs zu verpflichten, die Musik nicht nur abspielen, sondern verfremden. Das gilt als künstlerische Leistung, was zur Folge hat, dass auf Eintrittsgelder für solche Veranstaltungen nur der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7% anstatt der üblichen 19% fällig wird.Trotz dieses originellen Vorschlags, ist es wahrscheinlicher, dass die Diskotheken ihre Eintrittspreise senken und ihre Getränkepreise anheben werden, sollten die neuen Tarife tatsächlich in Kraft treten. Damit würde aber das unternehmerische Risiko steigen, da weniger Einnahmen fest garantiert wären. Gleichzeitig würde die GEMA möglicherweise weniger Einnahmen erzielen, als sie sich möglicherweise momentan erhofft. Ein weiterer Grund für beide Seiten, sich erneut zu neuen Gesprächen zusammenzusetzen, um eine Lösung zu finden, die Künstlern und Diskotheken gleichermaßen gerecht wird.
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