Fotostrecke starten

"Vielleicht denkt ihr, er ist ein Arschloch", um Joachim Deutschland mal frei zu zitieren. Vielleicht wart ihr aber auch auf einem Konzert der letzten Tour, der "Monstertour". Ebenso lang wie diese Tour ist dieses Interview. Die aktuelle Tour heißt "Amps & Ärsche". Joachim Deutschland hat sich vor seinem Konzert am 31. März im Heidelberger Schwimmbad Club wesentlich mehr als die ursprünglich vereinbarte halbe Stunde Zeit genommen um unsere Fragen zu beantworten. Die georderte Monsterportion Spaghetti ging mehr als einmal zurück in die Küche des italienischen Restaurants, in dem wir uns getroffen hatten.

{image}Joachim Deutschland wird wahrscheinlich von vielen assoziiert mit der Zeile "Du Schlampe, du Drecksau, ich hoff' es geht dir schlecht" aus seinem zerbrechlichen Liebeslied "Marie", vielleicht mit seinem nackten Hinterteil beim Vorentscheid des Eurovision Songcontest vor zwei Jahren oder mit der MTViva Nachricht, dass er wegen Desertierens von den Marines bei der Einreise in die USA am Flughafen abgefangen, eingebuchtet und "unehrenhaft" entlassen wurde. Wer Glück hatte, hat ihn im Rhein-Neckar-Dreieck unter freiem Himmel im Mannheimer Schloss oder überdacht im Schwimmbad Club oder sonst wo erlebt und sich bei dem Gedanken erwischt, dass der Kerl ja Gitarre spielt wie der Teufel, geniale Songs drauf hat und auf der Bühne mächtig Welle macht.

Eine CD-Rezension seiner neuen Platte "Rock sei Dank" wird es an dieser Stelle außerplanmäßig nicht geben, denn am Ende des Interviews findet sich ein Hinweis auf die Homepage, wo er höchstselbst zu jedem Lied einen Kommentar abgeliefert hat, ebenso wie zu der Geschichte mit der Militärhaft. Diese Fragen haben wir also von unserer Interviewvorlage gestrichen. Statt dessen sprachen wir über braune Hoffnung, Besetzungswechsel, geile Gitarren, Frauen, One-Night-Stands, Aggression, Frustration, Kaugummi, schlechtes Image, seinen Vater, Leidenschaft, Stefan Raab, Bastapolitik, Frauen im Bikini, Arroganz, echte Liebhaber, Frauenverstehen, Befreiung im Sex, wen er ficken will, Jimi Hendrix, Humor im Puff, amerikanische Idioten, Grundregeln im Musikbusiness und warum er nach Amerika gefahren ist, wenn er wissen musste, dass er eingesperrt wird. Alles über Deutschland, sozusagen. Und als wäre ein elend langes Interview noch nicht genug, hintendran noch ein Konzertbericht. Der ist allerdings Pflicht, denn Joachim Deutschland lebt fürs Livespielen.

RA: Deine neue Platte heißt "Rock sei Dank", ursprünglich war der Titel "Die braune Hoffnung anvisiert". Ist das nur ein fixer Ersatztitel, weil die Plattenfirma den ursprünglichen Titel nicht wollte oder steckt mehr dahinter? Ist dem Rock wirklich zu danken, so wie es auch im CD-Booklet angedeutet ist?

{image}JD: Die braune Hoffnung war für mich die Energie, mit der ich in dieses zweite Album hineingegangen bin. Es war eher Hoffnung als braun für mich und es hat mir irre Steine in den Weg gelegt. Einfach nur dieser Titel, der an Sony ging. Ohne dass die jetzt einen Ton gehört haben, waren die total dagegen.
Die braune Hoffnung war der Titel, der aus mir heraus gewachsen ist. Bei mir ist alles sehr impulsiv. Wenn ich ein Lied schreibe, sind das meine Emotionen, die ich versuche einzufangen. Und so auch dieser Albumtitel. Das war einfach die braune Hoffnung. Bevor überhaupt ein Lied feststand, war die Energie des Albums schon klar. Es war ein großer Hoffnungsträger. Es war das zweite Album und auch so ein bisschen ein Beweis an die Leute, dass ich kein One-Hit-Wonder bin. Viele Leute von der Plattenfirma hielten den Titel für missverständlich und dachten, dass man alles um mich herum, was missverständlich sein könnte, beseitigen müsste, um mich effektiv vermarkten zu können. Das war eigentlich der Gedanke der Plattenfirma dahinter, was ich ein bisschen Schade fand. Die haben es mir nicht verboten! Es war meine Entscheidung, den Titel zu ändern. Es war meine Entscheidung, aber sie haben mir schon sehr ins Gewissen geredet, dass ich ihn ändern sollte. Und "Rock sei Dank" ist genauso richtig. Ich wollte wirklich dem Rock danken, wobei ich jetzt wieder anderer Meinung bin (lächelt), gerade in Deutschland, weil Rock als Entität existiert für mich gar nicht. Rock ist eine gewisse Attitüde und dem habe ich wirklich gedankt. Und es ist kein Wortspiel "Rock sei dank"/"Gott sei dank", hahaha, sondern es ist wirklich was dahinter. Die braune Hoffnung war der ursprüngliche Titel und die braune Hoffnung ist mir sehr ans Herz gewachsen.

RA: Da hattest auch mal dieses Projekt "braune Hoffnung" bzw. "Rock für Rechts". Dabei ging es prinzipiell darum, rechte Bands und ihre Anhänger nicht auszugrenzen, sondern sozusagen zurück in die Gesellschaft zu holen. Was ist daraus geworden?

JD: Die Böhsen Onkelz haben sich aufgelöst, ganz einfach. Ich habe da auch schon im Forum der Böhsen Onkelz vorgefühlt, was die Fans so denken würden, wenn ich die Onkelz, die Hosen und die Ärzte spielen lassen würde, bei einem großen Festival. Wurde nicht so gut aufgenommen. Die haben mich beschimpft. Also nicht, dass ich rechtsradikal bin, nichts dergleichen, sondern einfach nur "Joachim Deutschland, wer bist du, dass du jetzt denkst, du kannst irgend jemandem helfen". Fand ich auch schade, aber die Onkelz haben sich aufgelöst, insofern hat sich das erübrigt. Ich hätte es gerne gemacht.

RA: Warst du schon auf Sponsoren zugegangen?

JD: Noch nicht. Ich wollte erst mal vorfühlen. Ich habe es von den Staaten aus gemacht, als ich eingesperrt war. Da habe ich im Forum ein bisschen geschrieben und keiner hat mir wirklich abgenommen, dass ich das bin, bis die Leute mal meine IP gecheckt haben und gesehen haben, dass es in den Staaten ist.

RA: Ich kann mich erinnern, das habe ich gelesen. Da stand, glaube ich, drin "der sitzt doch gerade in den USA..."

JD: Genau. Sie haben die IP gecheckt, dann haben sie es geglaubt und dann wurde das Thema auch schnell gelöscht. Komischerweise. Das muss einer vom Forum gemacht haben oder sogar das Management, weil die vielleicht dachten, dass ich versuche, diese rechte Sache wieder zu provozieren. Dabei wollte ich ja eigentlich dagegen wirken. Ich wollte den Onkelz – na ja, helfen kann ich den Onkelz nicht, die verkaufen genug – aber ich wollte ihnen helfen, von diesem rechten Image wegzukommen, was sie ja selbst versuchen. Ich wollte diese Energie auch nutzen, aber jetzt haben sie sich aufgelöst.

RA: Fangen wir mal beim alten Album an und gehen so ein wenig in Richtung des neuen Albums. Das ist jetzt das dritte Mal, dass wir dich sehen, und du hattest jedes Mal zumindest eine kleine Umbesetzung in deiner Band. Und auch deine geliebte Borys-Gitarre benutzt du jetzt gar nicht mehr?

JD: Ich habe sie runtergespielt, glaube ich. Das ist eine sehr delikate Gitarre, sie hängt immer noch im Proberaum. Aber ich habe das Gefühl, ich habe alles aus ihr rausgespielt was sie hatte. Das ist schon eine alte Gitarre, die hat einen Holzsteg, es ist alles sehr holzig, sehr weich. Das passiert, Gitarren werden scheinbar alt!

RA: Worauf ich hinauswollte war, wie haben sich denn deiner Meinung nach diese ganzen Besetzungswechsel und auch Equipmentwechsel auf deinen Sound ausgewirkt?

JD: Ich bin jetzt so weit, dass ich sagen kann, dass wir bei einem Sound sind, wo ich immer hin wollte. Die ganzen Equipmentwechsel... Nicht unbedingt die Gitarre, die Gitarre ist immer noch sehr gut. Aber jetzt habe ich eine etwas modernere Gitarre, spiele ein bisschen andere Amps. Und man muss das ein bisschen begreifen, welchen Rock man jetzt macht. Nicht welches Genre, Nu Metal oder so, man muss als Band klingen. Was eine Band ausmacht. Ich glaube, AC/DC oder auch neuere Bands, Limp Biskit z. B., die haben einen Bandsound, und diesen Bandsound muss man auch finden. Ich habe es ein bisschen schwerer, weil ich ein Einzelkünstler bin. Ich schreibe die Lieder, auf mir ist der Fokus, auch in den Medien. Ich bin nicht mit meiner Band aufgewachsen. Ich habe mir immer Leute gesucht, die bereit waren, den Rock in die Welt zu tragen, und das musste wachsen. Das musste die richtige Konstellation der Menschen sein. Die ist jetzt auch gefunden. Das merkt man auch im Bandsound. Hoffentlich hört ihr das heute Abend.

RA: Ich bin mal gespannt. Würdest du jetzt perspektivisch sagen, dass das für die nächste Zeit die letzten Besetzungswechsel waren? Dass das jetzt eine Besetzung ist, die länger zusammenbleiben wird?

JD: Die wird länger zusammenbleiben. Schon in den ersten zwei Wochen, in denen wir zusammengespielt haben, war schon ein ganz frischer Bandsound da, der in den letzten zweieinhalb Jahren gar nicht zu hören war. In zwei Wochen hat sich der herausgebildet. Schlagzeuger und Bassist haben sich sehr gut verstanden, haben wirklich wie eine Entität geklungen und das ist eine Sache, die man erkennen muss. Es gibt immer Sachen, an denen man arbeiten kann, aber die begreifen auch schnell die Änderungen, die ich machen will. Das braucht nicht wieder sechs Wochen im Proberaum, sondern da passt es.

RA: Und was ist mit [Trompeter] Johannes Faber? Auf der Platte ist er wie Bassist Sascha Laumann und Schlagzeuger Dominik Scholz als Bandmitglied aufgelistet. Ist er jetzt permanent, auch bei Liveauftritten, festes Bandmitglied?

JD: Da ist er leider nur heute und morgen nicht dabei, weil er einen Workshop gibt. Er ist die ganze Tour dabei, bis auf zwei, drei Daten. Er ist ein festes Bandmitglied und ein sehr guter Musiker und ich bin sehr froh, dass er mitspielt.

RA: Die neue Platte "Rock sei dank" hast du auch selbst produziert. War das ein notwendiges Übel, im Sinne, dass du dir keinen Produzenten leisten konntest oder war ein Plan dahinter, war es eine bewusste Entscheidung?

JD: Das war eine bewusste Entscheidung, um meinen eigenen Sound mit der Band zu finden. In der Produktion fand ich "Musik wegen Frauen" echt gut, aber es war nicht ganz repräsentativ. Es war für mich irgendwie zu poppig. Obwohl, meine Kompositionen sind auch poppig, manchmal mehr, manchmal weniger, aber es war mir nicht direkt genug. Ich wollte es mal in die Hand nehmen. Von "Rock sei dank" habe ich auch gelernt. Die nächste Platte wird anders klingen. Aber ich wollte immer einen frischen Sound haben, es sollte immer anders klingen. Wenn ich jetzt wieder Produzenten gehabt hätte, wie Olaf Opal oder so, der Juli produziert hat, dann würde ich so klingen wie Juli. Dann wäre alles poppig, egal wie hart ich meine Gitarren einspiele, weil es bei der Mischung noch durch andere Ohren geht. Ich habe noch niemanden gefunden, der die Sache so hört, wie ich sie hören möchte.

RA: Aber deine Songs, die jetzt auf der Platte sind, sind nicht alle funkelnagelneu? "Muscheln" hast du schon vor zwei Jahren gespielt...

JD: "Muscheln" entstand in dem Sommer, in dem "Musik wegen Frauen" rauskam, "Es tut weh" ist, glaube ich, das vierte Stück, das ich geschrieben habe Es hat es nicht auf "Musik wegen Frauen" geschafft, weil "Es tut weh" wahrscheinlich meine poppigste Komposition ist und sie im Kontext von "Musik wegen Frauen", als der Produzent versucht hat sie zu produzieren, viel zu poppig klang. Es klang so glatt, das glaubt man gar nicht. Und deswegen kam sie nicht auf "Musik wegen Frauen", aber es war ein Stück, das viele Fans hören wollten. Die haben mir geschrieben und wollten dieses Stück auf der Platte haben, da habe ich es noch mal produziert, obwohl es ein altes Stück ist.

RA: Wie entstehen grundsätzlich deine Songs? Hast du einen Königsweg, den du immer gehst oder erjammt ihr die Stücke oder schreibst du sie alle alleine vorm Kamin mit der Akustikgitarre?

JD: Die Stücke entstehen eigentlich immer mit meiner Akustikgitarre und eigentlich bin ich immer alleine. "Marie" war, glaube ich, gejammt, aber da habe ich auch alleine das Stück noch zu Ende geschrieben. Der D-Akkord und "ich gab dir meine Liebe...", das war der Trigger und dann bin ich los und habe es zuhause zu Ende geschrieben. Alle anderen Stücke: Akustikgitarre und ich. Gejammt ist eigentlich nichts. Ich schreibe Melodie und Text gleichzeitig, die meiste Zeit. Bei vielleicht 20 Prozent der Lieder ist der Text schon da.

RA: Also schon so, dass zuerst die Geschichte an sich steht und die Musik dient dann...

JD: ...die dient, genau.

RA: Ich bin mir nicht sicher, ob ich das so richtig durchblickt habe, aber hast du da die eine oder andere Fortsetzungsgeschichte von Liedern aus dem ersten Album zum neuen?

JD: Das würde mich interessieren, von welchen du das meinst. Das stimmt schon.

RA: Ich komme jetzt ein bisschen mit den Titeln durcheinander. Lass mal kurz nachdenken. "Balkon" und ... "Treue"?

JD: "Treue"? "Treue" und "Balkon" stimmt nicht"

RA: Sondern?

JD: (lächelt) Hör's dir nochmal an, ich will es eigentlich gar nicht verraten.

RA: Die Geschichten, die letztendlich um Verführung und One-Night-Stands gehen.

JD: Ja. Du bist der Erste, der so eine gewisse Energie...die sind sehr eng beieinander in der Energie. Jetzt wo du es sagst, das stimmt schon. Aber ich will es nicht verraten, ehrlich gesagt. Hör es dir noch mal an, wir können gerne noch mal Emails schreiben und ich kann dir dann Tipps geben und ich kann es dir dann schon verraten. Aber hör's dir noch mal genauer an. Es stimmt auf jeden Fall. Es gibt Parallelen, es gibt Geschichten, die ineinander fließen, und nicht nur, weil "Es tut weh" ein altes Stück ist, das ist offensichtlich aus der Zeit von "Musik wegen Frauen", aber auch neuere Stücke, wo die Emotionen... Ich muss Emotionen immer ganz verarbeiten, zu Ende denken und fühlen, habe ich das Gefühl. Wenn ich was aufgeschrieben habe und ich habe immer noch das Gefühl, das lebt in mir, dann muss ich es zu Ende fühlen. Und das habe ich mit dem Album. Das war echt 'ne gute Frage. Ich habe noch nie so darüber nachgedacht, aber dieses Album ist eigentlich so ein Zuendefühlen. Für mich ist es nicht "Musik wegen Frauen"/neuer Abschnitt/"Rock sei dank"/neuer Abschnitt, sondern für mich ist "Musik wegen Frauen" der Anfang von diesem Emotionsgang und "Rock sei dank" ist eher das Ende. Für mich ist "Rock sei dank" ein klarer Abschluss.

RA: Guter Übergang, weil die Parole "Musik wegen Frauen" – und wie du auf deiner Homepage geschrieben hast, nicht "frauenhalber Musik" –war ja die Parole praktisch vom ersten Album...

JD: Richtig.

RA: Gilt das jetzt noch bzw. galt das noch für "Rock sei dank" und ist jetzt beendet oder gilt es immer noch?

JD: Nein, es gilt nicht mehr.

RA: Was ist jetzt die neue Parole? Gibt es überhaupt schon eine?

JD: Ja, auf jeden Fall, aber ich habe sie noch nicht richtig ausformuliert. Eine gewisse Aggression ist in der neuen Parole, komischerweise, was ich nicht gedacht hätte. Gerade auch bei "Gesichter"...

RA: Wobei ich jetzt "Gesichter" in wenigstens so einer Art Halbverwandtschaft sehe zu "Luder"...

JD: "Satt" oder "Luder". "Satt" hatte diese Anzeichen schon so ein bisschen, aber das war immer so ein bisschen witzig gewesen.

RA: "Satt" war noch allgemeiner.

JD: "Satt" war allgemeiner. Für mich hat das dritte Album oder dieser Abschnitt jetzt dieser neue Abschnitt... ach, ich kann's nicht auf den Punkt bringen!. Ein bisschen Aggression, ein bisschen...ich kann es nicht auf den Punkt bringen!. Es sind weniger die Frauen, es ist mehr so der Platz, den man einnimmt im Leben. Und für mich ist es die Musikszene, in die ich nicht reinpasse. Ich habe das Gefühl, ich passe nicht rein. Ich verbringe die meisten Interviews damit, zu versuchen, meine Musik zu definieren, was ich fehl am Platz finde, weil die Musik ja die gleiche bleibt, egal, wie man sie nennt. Diese gewisse Frustration... "Musik wegen Frauen" war übersättigt. Ich war übersättigt, Frauen, die ganzen Erlebnisse, das musste ich alles rauslassen. Und jetzt ist es Frustration, weil ich nicht machen kann, was ich will. Ich kann nicht einfach eine Fernsehsendung moderieren – ich meine jetzt nicht meine Sportsendung – aber ich könnte jetzt nicht einfach eine Fernsehsendung moderieren, die nur von Kaugummi handelt, bloß weil ich Bock drauf habe, weil man würde mir das übel nehmen. Es würde meine Musik beflecken.

RA: Das ist ja wohl scheinbar ein generelles Problem: ich habe in der Vorbereitung andere Interviews gesehen und auch in der Biografie auf deiner Homepage kommt das rüber, dass du scheinbar frustriert bist über dein schlechtes Image, dich über dein schlechtes Image auch beschwerst. Da muss ich jetzt kritisch einhaken: hast du das nicht selbst zu verantworten?

JD: Doch, klar.

RA: Und wenn du sagst, du lebst nach deinen eigenen Regeln, ist das nicht praktisch der Preis, den du bezahlen musst? Ist das nicht von vorne herein klar, das ist zwar der Weg den du gehst, lebst nach deinen eigenen Regeln, aber es ist schon klar, dass das passieren wird?

JD: Nein! Mir war es nicht klar! Ganz ehrlich. Und es wird immer mehr so, dass man mehr abwägen muss, was man sagt, und es gleichzeitig total verachtet, weil man ja nicht abwägen will, was man sagt. Ich möchte nicht auf der einen Seite etwas lassen, bloß weil es einem anderen Teil vielleicht weh tun könnte. Eine Fernsehsendung nicht machen. Das würde mir Spaß machen, ich würde schöne Orte sehen oder so, oder ich mag die Menschen mit denen ich arbeite, aber ich kann es nicht machen, weil ich vielleicht meiner Musik schaden würde. Das ist etwas, was ich noch lernen musste und ich bin echt frustriert über dieses Image. Ich habe das Wort "Image" nie in den Mund genommen, aber mittlerweile weiß ich, dass Image etwas total wichtiges ist.

RA: Deinem Vater hast du im CD-Booklet dafür gedankt, dass er dich und deine Musik auf so eine differenzierte Art versteht. D.h. da gibt es dieses Imageproblem nicht.

JD: Genau.

RA: Kannst du mal erklären, auf welche Art du zu verstehen bist, kannst du ein paar Fingerzeige geben? Du hast ja jetzt schon gemerkt, dass es da scheinbar ein Problem gibt.

{image}JD: Es gibt ein Problem, weil die Leute alles persönlich nehmen was ich tue. Ich habe das Gefühl, dass man mir alles persönlich übel nimmt was ich tue. Z.B. gibt es da eine Konzertrezension, wenn man die in Drittel aufteilt, die ersten zwei Drittel waren über die Vorband, wie schlecht die war. Und der Satz, der über mich ging, fing damit an "...obwohl mein Gitarrenton so hoch ist..." Also, er fing an mein Ego zu kritisieren, bevor er überhaupt über die Musik redete, über das Konzert an sich. War es gut oder schlecht, das kam nie drin vor, sondern die Vorband war schlecht, zwei Drittel hat er sich darüber ausgelassen. Das ist immer so, mir wird alles persönlich übel genommen. Wenn ich jetzt die und die Box da stehen habe und die sieht groß aus, dann wird mir das übel genommen. Dann denkt man sofort, der Typ, der steht nur auf seine Gitarrenboxen, dem geht's nicht um die Musik, oder irgend so was. Und weil mein Vater mich halt so gut kennt muss er nicht erst abwägen, wie ich die Sachen meine, die ich sage, sondern er nimmt sie einfach als Aussage, er versucht, sie einfach zu fühlen wie sie kommen. Und versucht nicht erst abzuwägen, wie war ich drauf, wie kam ich rüber in dem und dem Interview. Man sollte, um meine Musik zu verstehen, die Musik hören und nicht versuchen, in mich reinzuschauen. Man sollte in sich selbst hören, "was löst die Musik in mir aus" und nicht "wie hat er das vielleicht gemeint". Ich habe es genau so gemeint wie du es fühlst. Man sollte sich immer selber trauen. Da ist auch immer dieses Misstrauen, "darf ich das jetzt fühlen, darf die Ballade mich jetzt berühren oder ist ihm wichtiger, wie sein Gitarrenton aussieht?" So. Das ist für mich differenziert.

RA: Du hast auf deiner Homepage geschrieben "du kehrst gerne auf der anderen Seite, weil es zu allem eine Kehrseite gibt". Du hast geschrieben, dass "Leben in Leidenschaft" immer auch Leiden schafft? Was heißt das genau?

JD: Das hängt damit zusammen, dass ich gerne, wie gesagt, Emotionen zu Ende fühle und meine Emotionen versuche, zu analysieren, immer auch die andere Seite dieser Emotionen zu sehen. Wenn ich jetzt frustriert bin oder so, dann versuche ich auch immer, mich in die Person zu versetzen, die mich frustriert. So ist es auch mit der Musik. Man muss, um eine gute Band zu sein, um ein guter Bandleader zu sein, sein Ego total zurückschrauben. Egal was andere sagen, "starkes Ego, alle Künstler haben ein starkes Ego". Es stimmt natürlich, dass man sein Ego sehr stark fühlt und sehr präsent ist. Aber man muss das gleichzeitig total zurückschrauben, um die Musik nicht zu zerstören, weil es etwas sehr sensibles ist.

RA: In allen Phasen?

JD: In allen Phasen! Besonders im kompositorischen Bereich. Jeder, der Musik macht, ist sensibel. Grundsatz! Egal, ob es Pantera ist, harter Metal, ich wette der Typ, der Dimebag Darrell (RIP 2004. Anm. d. Red.) und sein Bruder, die beiden, die wirklich die Riffs schreiben bzw. schrieben, sind bzw. waren hochsensible Menschen, da bin ich mir hundertprozentig sicher. Genauso sieht man das an Metallica. Bei dieser Metallica DVD [Some Kind of Monster]. Das sind sensible Typen, total zerbrechlich. Ich wusste nicht, wie sensibel die sind, aber ich wusste, dass jeder, der Musik schreibt, jeder der komponiert, sei es ein Riff, sei es ein Rhythmus, hochsensibel ist. Und das muss man sein, und das Ego, dass man davor schiebt oder den Riegel, den man eigentlich davor schiebt, den muss man lernen zu entriegeln, selbst wenn man nur mit sich und der Gitarre allein ist. Deswegen, ja, zu jeder Seite gibt es eine Kehrseite.

RA: OK. Ich würde sagen, machen wir einen kleine Sprung. Du warst ja vor zwei Jahren beim Grand Prix-Vorentscheid zumindest zum Teil dabei. Du hast also diesen Wettbewerbsgedanken schon einmal angetestet. Jetzt war doch vor einer Weile dieser Stefan Raab Bundesvision Song Contest, wo einige bekannte Künstler neue Platten im Voraus promotet haben. So wie Fettes Brot "Emanuela", die haben eigentlich am meisten davon profitiert. Ich habe mich gewundert, dass du nicht dabei gewesen bist.

JD: Gerade bei Raab wurde ich völlig abgelehnt. Von Stefan Raab persönlich! Die Redaktion liebt mich. Die Leute im Viva-Gebäude, wir kennen uns alle, die wollten mich da haben, die haben mich da fünfmal vorgeschlagen, Stefan Raab hat mich persönlich abgelehnt. Für den Bundesvision Song Contest wurde angefragt, welches Bundesland ich vertreten würde, entweder Baden-Württemberg oder eben Hamburg...Abgelehnt!

RA: Du wurdest von der Redaktion angefragt und er hat dich persönlich abgelehnt? Mit welcher Begründung?

JD: Er hat mich persönlich abgelehnt. Es war auch so, bei der Eurovision damals hat er ja alle Künstler vorgestellt. Das ist noch so ein Bild, das in meinem Kopf ist, weil ich es nicht verstehe. Er hat da immer ein Foto hochgehalten, hingezeigt und erzählt. Mein Bild war auch dabei, weil die Redaktion ihm alle Bilder vorbereitet hat. Mein Bild hat er angeschaut und hat es weitergelegt. Er hat mich übersprungen. Der hat mich irgendwie in den falschen Hals bekommen, ich weiß nicht warum. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe es nicht.

RA: Ist das auch eine Sache, die man subsumieren kann unter die Aussage "die deutschen Medien sind tot", die am Anfang von "Gesichter" steht?

JD: Ich sehe es immer noch so. Dieses Bundesvisions-Ding war nicht zu Ende gedacht in dem Sinne "wir retten jetzt die Musik". Er hätte die Power gehabt, er hätte alle live spielen lassen können und wirklich die Leute mit neuen Liedern entscheiden lassen können, wer am besten ist. Aber er hat Juli auftreten lassen mit "Geile Zeit", das war ein Jahr im Radio. Es ist klar, dass das gewinnt. Die haben nicht alle live gespielt, es war alles Halbplayback bis auf Gentleman und Sido. Das hat man auch gehört, aber der hat die Energie rübergebracht. Sido war einer der besten Acts. Aber es war wieder ein "Stefan Raab," (klopft sich auf die Schulter) "gut gemacht". Eine einzige Promoshow.

RA: Er kann es sich offensichtlich auch leisten.

JD: Er kann es sich leisten, aber es ist tot in dem Sinne, dass es nicht mehr darum geht, was man macht, sondern es geht nur noch um ein Ego. Da ist das Ego wirklich so im Vordergrund. Und es ist alles nur Plattform für Sponsoren, es ist so ein Business geworden.

RA: Hast du den Eindruck, dass es bei Viva anders ist? Du warst bei Viva Moderator, auf deiner Homepage ist zum Beispiel auch ein Link, wo du auch dargestellt bist. Gerade jetzt nach der Übernahme von MTV hätte man damit ja nicht unbedingt gerechnet, sondern das hat ja die Musik, soweit sie noch da ist, eher gestreamlined. Wie passt das für dich zusammen, dass du einerseits sagst, die Medien sind tot, aber doch wiederum Teil davon bist? Bist du überhaupt noch bei Viva?

JD: Ich habe nur diese eine Sendung gemacht. Die haben jetzt eine zweite Sendung angefragt, wo ich noch am Überlegen bin, ob ich das mache oder nicht. Ich versuche das für mich zu balancieren. Ich werde nie eine Chartssendung oder Select oder diese täglichen Formate moderieren. Ich versuche immer abzuwägen, macht es mir Spaß was ich tue und kann ich es damit vereinbaren, dass ich jetzt nichts Schlechtes tue. Philosophisch gesehen schlecht, so wie irgendwelche Musiker einladen und Halbplayback spielen lassen, nur um sich selber zu präsentieren. So etwas würde ich nicht machen. Aber das ist eine gute Frage! Eigentlich, um konsequent zu sein, dürfte ich das nicht machen. Das stimmt.

RA: Das würde dann ja wieder dazu passen, dass du sagst "warum sollte ich eigentlich eine Sache, die ich gut finde, nicht machen, nur weil ein Teil von mir sie nicht mag".

JD: Genau. Das ist es eben! Das ist auch übrigens noch etwas von dieser neuen Energie, diese Konsequenz. Weil man denkt, Konsequenz ist so einfach. So wie, ich trinke keinen Alkohol, also trinke ich keinen Alkohol oder ich mag keine Drogen, deswegen rauche ich keine Zigaretten, Bastapolitik, aber es ist nicht so einfach. Die Medien sind tot für mich und ich höre kein Radio. Aber bestimmte Radiosendungen kann ich mir schon anhören. Man muss es abwägen, man muss es schon ein bisschen differenziert sehen. Aber auch nicht zu differenziert. Man darf nicht alles relativieren, sonst verliert es die Kraft.

RA: Es ist ja auch für einen selbst viel einfacher zu begründen als nach außen.

JD: Genau.

RA: So höre ich das zumindest jetzt heraus. Letztendlich ist es wiederum so: wenn dir gewisse Sachen Spaß machen, kannst du ja für dich einfach sagen "die machen mir Spaß. Fertig." Warum auch immer...

JD: Warum muss ich dann an etwas anderes denken?. Und die Antwort darauf kann ich dir auch geben: weil es eben Medien sind, weil es eben für Andere ist. Es ist ja nicht für dich, es ist für andere. Und diese Balance muss man finden. Und darum, wie gesagt, werde ich keine tägliche Sendung machen, auch wenn es mir wirklich Spaß machen würde.


RA: Lass uns mal von etwas Angenehmerem reden...

JD: Ja, das ist ein schweres Ding, du merkst selbst, dass ich das noch ganz zu Ende denken muss...

RA: ...passt das zu deiner Aussage, dass momentan die Frustration...

JD: ...das ist es! Ich habe es für mich noch nicht so richtig geregelt mit den Medien. Ehrlich gesagt, am liebsten würde ich mich mit den Medien gar nicht mehr auseinandersetzen, außer mit den Leuten, mit denen man mehr als fünf Minuten reden kann. Weil es einfach alles verfälscht. Es ist ein Trugschluss zu sagen, man kann seine Musik im Medium Fernsehen oder Radio präsentieren. Es ist ein absoluter Trugschluss!

RA: Du hast selbst auf deiner Homepage geschrieben, dass die Mainstream-Medien nichts anderes sind als Vermarktungsplattformen für Produkte.

JD: Und es ist ja auch nur so ein Impulse-Setzen. Man kann ja nichts wirklich kommunizieren. Man kann nur eine Frau im Bikini zeigen und jeder versteht es. Aber sobald man sagt, "bei diesem Lied jetzt bin ich mir nicht ganz sicher," dazu hat man nicht die Zeit. "Bei diesem Lied habe ich gespaltene Emotionen", wer versteht denn das? Und dann frage ich die Leute warum ich missverstanden werde. Wie du vorhin gesagt hast, es ist meine eigene Schuld, und es ist meine eigene Schuld, weil ich gedacht habe, ich kann mir die Zeit nehmen, aber man kommt nicht zu Wort. Die kurzen Aussagen von mir sind dann vielleicht so ein bisschen bitter. So komme ich dann vielleicht arrogant rüber. Deswegen denken die Leute auch, ich sei arrogant. Aber wenn ich mich kurz fassen muss, und sage "es ist mir scheißegal", das ist meine Kurzantwort für "ich kann mich nicht entscheiden". Oder "warum sagst du das jetzt?"

RA: Vielleicht ist das Problem, dass diese Angriffe von dir angenommen werden, was ja auch ziemlich vielen Künstlern passiert, selbst den Glattesten von den Glatten, aber die schlucken es vielleicht ganz einfach.

JD: Ich biete eben Angriffsfläche.

RA: Ja, eben.

JD: Ich schlucke die nicht. Und das ist mein Problem: ich schlucke es nicht, weil ich cool bin, sondern ich schlucke es nicht, weil ich nicht kann. Es ist ein Manko in mir. Ich hätte es gerne, dass ich sagen könnte, "he, mir geht's gut heute, geil, es ist alles geil, alles super, eh geil, Gitarren sind geil, mir geht's gut, vielen Dank, das war das Interview." Was hast du gehört? Gar nichts, aber das ist eigentlich alles, was man sagen kann. Und ich kann es nicht! Wenn sie mich fragen, warum, dann sage ich denen ganz genau, warum. Ich kann mich nicht kurz fassen. (grinst)

RA: (grinst ebenfalls) Na ja, wir haben ja noch ein bisschen Tonband. Wie vorhin schon angedeutet, zu etwas Angenehmerem: Frauen nämlich. Bei "Kopf hoch" geht es sozusagen darum, dass keine echten Männer mehr da sind, keine echten Liebhaber.

JD: Genau.

RA: Und du scheinst ja diesbezüglich den goldenen Gral gefunden zu haben, oder? Kannst du mal eine Kurzbeschreibung geben, was deiner Meinung nach einen echten Liebhaber ausmacht nach deiner Definition oder ein echter Mann im Sinne von "Kopf hoch"?

JD: Also, im Sinne von "Kopf hoch" muss ein echter Mann in den Kopf der Frau erst einmal reinkommen um ein guter Liebhaber zu sein. Ein echter Mann muss die Frau für den Moment verstehen. Ich glaube, dass man Menschen immer nur für den Moment verstehen kann und das immer wieder neu machen muss, um dann den Menschen wirklich zu verstehen. Und sei es bei One-Night-Stands oder sei es bei einer Beziehung. Da muss man die Frau in diesem erotischen Moment verstehen. Das ist sehr, sehr platt ausgedrückt in dem Lied, aber das ist eigentlich meine Philosophie dahinter. In dem Lied geht es darum, dass ein Mann sich auch nicht zu schade sein soll. "Bist du über 30 und total frustriert, (...), bist du dreiundzwanzig und seit Jahren liiert..." Das sind die Frauen, die ich auch kennen gelernt habe, das spiegelt es wider. Die dreißigjährigen Frauen, die Beziehungen hatten und frustriert sind, und die dreiundzwanzigjährigen, die schon sieben Jahre mit einem Mann zusammen sind und nicht wirklich befriedigt sind.

RA: Das heißt, du verfügst über diese Qualität des Verstehens? (gepresstes Lachen am Tisch) Und die Frauen, die über dreißig und die um die dreiundzwanzig, sind keine einfach zu habenden Opfer, sondern du hast wirklich das, was sie dazu bringt, dass sie wirklich den Kopf hoch tragen können? Du machst dich also nicht über sie lustig?

JD: Nein! Überhaupt nicht. Nicht, dass ich das jetzt allen geben will. Ich habe es halt erfahren in meinen Frauenbeziehungen, dass es immer sehr intensiv war. Für mich sind das immer einzelne Personen gewesen, auch wenn ich sie nur einmal... also, ich habe nicht viele One-Night-Stands gehabt. Ich habe eigentlich immer weiter Kontakt gehabt und ich habe immer die Person gesehen, so blöde sich das jetzt vielleicht hier anhört, aber es war immer sehr die Person wichtig. Und auch emotional, im ersten Augenblick, hat man sich verstanden oder nicht. Für mich ist das Verständnis sehr wichtig.

RA: Wenn ich das richtig gehört habe im Intro von "Bettler und Prinz", ist da ein kurzes Sample vom Publikum bei einem Liveauftritt, wo das Einzige, was ich verstanden habe, der Ruf "Fick mich!" war.

JD: Genau. Das war Wahnsinn!

RA: Das erinnert mich an den Auftritt im Mannheimer Schloß. Wir standen da im Publikum und bei "Ich tu was ich will" an der entsprechenden Stelle kam dann auch "Ja, nimm mich"...

JD: Das ist so eine Befreiung! Auch im Sex muss man echt frei sein, um wirklich befriedigt zu sein. Ich habe Freunde, die haben tausend mal mehr Frauen gehabt als ich. Die stehen jetzt da, haben ein bisschen gelebt und sind aber nicht wirklich zufrieden, auch mit ihrem Sexleben nicht. Weil sie nicht wirklich frei sein können. Wenn sie immer eine neue Frau haben und immer diese Männerwand zeigen. Wenn man sich mal ein bisschen gehen lässt, wenn man sich nicht zu schade ist – und das heißt nicht, dass man alles macht mit der Frau – wenn man sich nicht zu schade ist, echte Gefühle zu zeigen, ich glaube, dann ...Und "ich tu was ich will, ich fick wen ich will", viele finden "der Typ, der denkt er kann jede Frau haben". Dabei ist ganz wichtig: ich fick nicht jede Frau, sondern ich fick wen ich WILL. Ich suche mir das aus, und dann will ich es aber auch zu hundert Prozent. Und nicht: ich nehme halt alle, die kommen. Sondern wirklich: Ich fick wen ich WILL. Wenn ich wirklich will ist es auch schmeichelhaft für die Frau. "Ich will, ich will dich wirklich" und es passt und nicht "ja, du bist hier und jetzt machen wir nen One-Night-Stand". So ist das gemeint. Es ist wesentlich sensibler gemeint, als es vielleicht ausgedrückt ist.

RA: Du wurdest schon oft darauf angesprochen, dass Jimi Hendrix dein Vorbild ist. Meistens lief es darauf hinaus, dass die Vorbildfunktion hauptsächlich der Song "Red House" hat. Kannst du mal erläutern, welche Bedeutung er für dich hat?

JD: "Red House" ist ein magisches Lied. Es bringt für mich das Leben auf den Punkt. Ich sehe das Lied auch erotisch. Die Erotik zwischen Menschen. "Red House" sagt "there's a red house over yonder, and that's where my baby lives" Sein Baby ist irgendwo da drüben, also er ist nicht bei ihr. Das Lied drückt Sehnsucht aus: "I ain't seen my baby for ninety-nine and one half days". Ich war lange nicht mehr bei ihr. Sehnsucht. "Wait a minute, something's wrong." Das ist ein bisschen humorvoll. Das Lied ist so humorvoll "The key won't unlock the door" Was iss'n los? Wenn man sich auch so sicher ist: da ist mein Baby da drüben, da war ich schon lange nicht mehr, da geh ich mal rüber...Ey, warte mal, der Schlüssel passt nicht! Was ist passiert? "I got a bad, bad feeling, my baby don't love me no more" Das ist die Angst jedes Mannes mit ganz wenigen Worten ausgedrückt, auch die Angst im Leben, dass man sich einer Sache sicher ist. Dann am Ende die Auflösung "if my baby don't love me, I know her sister will", das ist auch so (lacht) so banal, so wunderschön ausgedrückt, dass man auch alles nicht so schwer nehmen soll. Baby lange nicht gesehen, Sehnsucht, Schmerz, he, aber wenn sie nicht, dann halt ihre Schwester. Das ist so wunderschön ausgedrückt. Und viele sagen nur "Jimi Hendrix, der große Gitarrist". Jimi Hendrix war ein großer Musiker, der hat sich ausgedrückt, der hätte auch den Takt kloppen können (trommelt auf dem Tisch)...

RA: Das sagt Vernon Reid von Living Colour ja auch immer, dass er als Songwriter total unterschätzt ist.

JD: Eben. Man darf das auch nicht so trennen. Der Typ hat Gefühl auf den Punkt gebracht. Und mehr darf man eigentlich nicht sagen. Der hat eine Komposition gemacht, ein Gitarrensolo, in seiner Präsenz, mit allem, was er machte, war er so sensibel und konnte Gefühle auf den Punkt bringen. Das ist für mich "Red House". Die Essenz, was Schmerzen und Zerrissenheit angeht. Jimi Hendrix war ultra-zerrissen. Wenn man sich hundert Versionen anhört von "Red House", hat er es jedes Mal anders gespielt, weil er so ein zerrissener Mensch war. So interpretiere ich das.

RA: Und was ist deine tagesaktuelle Playlist? Was hast du im Bandbus im CD-Player?

JD: Vorzugsweise Green Day "American Idiot", das ganze Album, weil es für mich ein Meilenstein in der Produktion ist. Nicht im Sinne von teuer. Das ist natürlich Pop-Punk. Ich finde, es ist schön produziert, wenn auch sehr poppig, aber es ist schön produziert. Oder Danko Jones. Sehr gut. Rock. Ich höre mir sehr viele Rock-Sachen an und sehr viel Metal. Slipknot, die ganzen Pantera-Sachen, die alten. Ich versuche auch, viel Metallica zu hören, was verschrieen ist, also "Load" und "ReLoad". Man muss es echt einfach hören wie es ist. Es war halt die Zeit für die Jungs. Wenig Pop und wenig Hip Hop. Ich höre mir echt so Rock-Sachen an, was auch mein Schlagzeuger hört. Für mich sind Live-Konzerte die geilsten Momente, kleine Club-Gigs von irgendwelchen Bands. Ich habe eine Noiseband aus Amerika gehört, Haymarket Riot, die sind neu, eine Band aus Chicago, die war sehr tight, aber die time war immer anders. Livegigs sind sehr inspirierend für mich.

RA: regioactive.de hat auch einen Schwerpunkt auf Newcomern. Hast du, so langsam zum Abschluss des Interviews, irgendwelche Tipps oder Weisheiten für Newcomer, vielleicht auch gerade aus den schlechten Erfahrungen heraus, die du gemacht hast?

JD: a.) Die Grundregel: unterschreibe nie einen Vertrag, in dem alles integriert ist. Es gibt drei Sachen: es gibt Management, Verlag und Plattenvertrag. Es darf nicht alles bei einer Person sein. Label darf nie auch der Verlag sein. Das machen viele, das ist nicht so schlimm, aber es darf nie das Management auch noch mit drin sein. Du knebelst dich, fesselst dich, wirst nicht glücklich, egal wie viel du verkaufst. Das ist wichtig. Nie mischen.
b.) Bediene die Musik und nichts anderes. Das ist ganz, ganz wichtig. Im Proberaum nicht "aber ich will das spielen und das Schlagzeug interessiert keinen". Wenn du das zum fünften Mal spielst ist es auch langweilig. Jeder Schlag muss die Musik und die Komposition bedienen. Das sind meine beiden Tipps.

RA: Gibt's es eine Interviewfrage, die dir noch niemand gestellt hat, wo dir aber die Antwort so dermaßen unter den Nägeln brennt, dass du dir wünschen würdest, dass ich sie dir jetzt stelle?

JD: ööh...nee. Gerade nach den Fragen. Ich meine, du hast ja eh schon Fragen gestellt, die mir noch nie gestellt wurden. Ich glaube, die Frage, die brennt, die merke ich gar nicht. Ich glaube, die wirst du dann beim nächsten Mal stellen.

RA: (beschämt errötend) OK. Und eine Frage, die du überhaupt nicht mehr hören kannst?

JD: "Warum bist du nach Amerika gefahren, wenn du wissen musstest, dass du eingesperrt wirst?"

RA: Das haben mir die meisten Leute aufgetragen, dich zu fragen als ich gesagt habe, dass ich ein Interview mit dir machen werde. Aber als ich mir letztens noch mal deiner Homepage angeguckt habe, gedacht "super, da steht ja alles dazu, dann brauche ich das nicht ins Interview einzubauen".

JD: Das ist auch eine Frage, die ich auch gar nicht beantworten kann. Aber gut...

RA: Du hast jetzt noch zum Abschluss noch mal Gelegenheit, für deine Projekte und Produkte zu werben.

JD: OK. Ganz wichtig ist die Website für mich, www.joachim-deutschland.de. Mein Kontakt zu den Fans. Die Leute sollen sich einschreiben in den "Nachrichtendienst", in meinen "Kreis der Freunde Deutschlands". Zweitens: Touren, touren, touren! Wenn irgend jemand 'ne Idee hat, in welchem Club ich spielen soll, soll er mir die emailen. Und "Rock sei dank"! Kauft das Album, unterstützt mich, bitte, bitte, bitte.

RA: Dankeschön.

JD: Ich danke.

 

Alles zum Thema:

joachim deutschland