Mit ihrem zweiten Album "Afterlives" sind die schottischen The Unwinding Hours im Karlstorbahnhof in Heidelberg zu Gast gewesen und vielem vor allem durch die unglaubliche Lautstärke auf.

Mit ihrem zweiten Album "Afterlives" sind die schottischen The Unwinding Hours im Karlstorbahnhof in Heidelberg zu Gast gewesen und vielem vor allem durch die unglaubliche Lautstärke auf. © Neale Smith

Die Glasgower Indie-Rock-Band The Unwinding Hours - die aus den beiden ehemaligen Aerogramme-Mitgliedern Craig B und Iain Cook besteht - war mit ihrem Zweitwerk "Afterlives" in Deutschland unterwegs. Auf ihrem Abschlusskonzert im Heidelberger Karlstorbahnhof boten sie eine Show, die eine bedenkliche Kluft zwischen künstlerischem Anspruch und musikalischer Wirklichkeit erkennen ließ. Befindet sich die Band auf einem Irrweg?

Das Überraschende an The Unwinding Hours ist die schiere Lautstärke ihrer Performance. Für eine Band, die grundsätzlich ein gemäßigtes Tempo bevorzugt, veranstalten sie auf der Bühne einen enormen Lärm. Im ersten Song gibt Gitarrist Iain Cook mit schrillen Gitarrenklängen sogleich die Richtung des übrigen Konzerts vor. Nein, The Unwinding Hours orientieren sich nicht an Slowcore-Bands amerikanischen Musters, bei denen die Langsamkeit auch eine Entsprechung in der Lautstärke findet: Selbst die akustischen Songs sind vergleichsweise laut. Man fragt sich, inwiefern die Entscheidung für diesen Sound ästhetischen Gründen geschuldet ist oder schlichtweg Ausdruck der Ambitionen der Band sind.

Wenn Letzteres zutrifft, dann wäre das durchaus nachvollziehbar, denn die Ex-Aerogramme-Mitglieder Craig B. und Iain Cook bilden verstärkt um Keyboard, Schlagzeug und Bass eine tighte, konzentrierte Band. Der gleichförmig laute Bandsound hat allerdings zur Folge, dass Craig Bs Stimme nur mit Schwierigkeiten zur Geltung kommt. Der Grund besteht einerseits in seiner begrenzten Fähigkeit, seinen Gesang zu variieren, und andererseits im Fehlen der Resonanzräume, die seine Stimme in besonderem Maß benötigt. Kein Wunder, um sich hier Präsenz zu verschaffen, müsste er ins Mikro schreien.

Im Grunde gilt das Gleiche für Iain Cooks Gitarre, die mit ihren klaren, hellen Tönen das Potential besitzt, Craig Bs Gesang kongenial zu ergänzen und zu akzentuieren. Im differenzierten, aber meistens überlauten Bandsound spielt sie aber nur eine Rolle unter vielen. In ihren besten Momenten erzeugen The Unwinding Hours zwar eine gewisse hypnotische Faszination, walzen aber gleichzeitig jede Subtilität platt. Eine Band, die für sich in Anspruch nimmt, besonderen Wert auf emotionalen Ausdruck zu legen, hätte leicht die Chance ergreifen können intime Momente zu schaffen. Diese aber kommen selbst in den akustischen Songs nicht zustande.

{image}Diese Probleme sind allesamt Konsequenzen der Entscheidung für einen möglichst lauten Bandsound: The Unwinding Hours verfügen eigentlich über keine Songs, die damit gut korrespondieren. Sie sind weder hemdsärmlige Rocker, die ihr Publikum zum "Abrocken" animieren wollen noch experimentelle Indie-Avantgardisten, die mit verrückten Ideen oder sperrigen Sounds glänzen. Wenn ein im Netz weit verbreiteter Bericht der dpa über das Hamburger Konzert der Hoffnung Ausdruck verleiht, The Unwinding Hours könnten eines Tages "ganze Arenen" füllen, dann wird das vermutlich daran scheitern, dass die Band sich zwar einen Sound zugelegt hat, der auf größere Hallen als Knust oder Karlstorbahnhof abzielt, aber schlichtweg keine Songs besitzt, mit denen sich Arenen füllen ließen.

Interessanterweise gilt dasselbe in ähnlicher Form für die Vorgruppe, die deutsche Indie-Rock-Band Boy Android. Auch hier korrespondieren die Lautstärke weder mit dem Talent der Band für Melodien noch mit den gesanglichen Ausdrucksmöglichkeiten des Sängers. Stattdessen muss man sich das Potential der Band geduldig erschließen und mit Hörschutz in den Ohren den überflüssigen Lärm ausblenden. Als gegen Ende ihres Sets die Musik in reduzierter Form auf das Publikum wirken kann, erscheint sie natürlicher und zugänglicher. Warum beide Bands alle anderen musikalischen Aspekte der Lautstärke unterordnen, ist einigermaßen rätselhaft.

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