Maximo Park meldeten sich dieses Jahr mit "The National Health" zurück.

Maximo Park meldeten sich dieses Jahr mit "The National Health" zurück. © Ann Buster

Kunst und Musik sind die beiden Anker, die die MS Dockville seit nunmehr fünf Jahren an der Elbinsel in Hamburg Wilhelmsburg auswirft. Mehrere Wochen kann man auf der Brachfläche im erweiterten Hafengebiet zwischen Windrädern und Speicherhäusern Kunstinstallationen bestaunen. Das Finale bildet das Musikfestival mit drei Tagen feinstem Programm aus Indie, Elektro, Singer/Songwritern, HipHop und allem, was das Musikfanherz begehrt. Auch in diesem Jahr tummelten sich wieder rund 20.000 Besucher zwischen den Bühnen und freuten sich über zahlreiche Bands. Und über Sonnenschein.

{image}Es ist ein wenig so, als hätte der Wettergott ein schlechtes Gewissen gehabt, wie sehr er die Gäste und Veranstalter des MS Dockville Festivals 2011 mit Regen und Matsch gequält hat und legt sich nun mächtig ins Zeug, um alles wieder gut zu machen. Viele der Besucher waren wohl noch traumatisiert und erkundigten sich bereits im Voraus mehrfach in einschlägigen sozialen Netzwerken nach der Festigkeit des Bodens, doch die Veranstalter konnten entwarnen: "Der Boden ist fest!". Fest ist vielleicht ein wenig übertrieben. Diesmal eher gasförmig. Das Festivalgelände auf der Elbinsel im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg ist zu einer staubigen Piste geworden und erinnert ein wenig an die Bilder, die wir vor kurzem vom Mars bewundern durften. Aber dies wird natürlich, vor allem mit Rückblick auf das letzte Jahr und die Sonne, die vom Himmel strahlt, gerne in Kauf genommen.

Das Wetter darf also schon einmal lobend hervorgehoben werden. Ein zweites Lob muss der Organisation des Festivals ausgesprochen werden. Die Anreise funktioniert, obwohl sie nur mit ÖPNV möglich ist, absolut reibungslos. Auch sonst halten sich die Wartezeiten in Grenzen und das Programm auf den Bühnen läuft ohne große Änderungen und Verschiebungen. So sind schon einmal beste Voraussetzungen für drei entspannte Tage gegeben. Die gebuchten Bands decken auch in diesem Jahr wieder eine große musikalische Bandbreite ab, das zeigt sich schon in Headlinern wie Tocotronic, Hot Chip, James Blake oder Marsimoto. Sie verteilen sich auf drei größere und drei kleinere Bühnen. Die große Bühne wird stilecht Großschot (nach einem Teil des größten Segels auf einem Segelschiff) genannt, die zweitgrößte Vorschot. Dazu gesellen sich der Maschinenraum und die kleinen Bereiche Butterland, die Torte sowie das Nest, in denen abends dann noch lange zu diversen bekannten und weniger bekannten DJs getanzt werden kann.

Der Freitag

{image}Der erste Tag des Festivals beginnt in den frühen Nachmittagsstunden, während sich gerade die letzten kleinen Regenwölkchen verziehen und noch ein paar Tropfen abwerfen, die allerdings kaum jemanden stören. Zwei deutsche Bands eröffnen die beiden großen Bühnen und so sticht die Großschot mit onemillionsteps in See; auf der Vorschot wärmen die Hamburger von We Are Alaska die Boxen auf. Das MS Dockville 2012 kann beginnen. Die Jungs von Vierkanttretlager aus Husum passen sich ganz wunderbar in das nautische Thema des Festivals ein. Klingt der Bandname doch etwas holprig, kann man zur Musik doch eher wie ein Boot auf Wellen schaukeln, ganz besonders wenn sie ihre Indie-Pop Stückchen mit Akkordeon intonieren. Auch die Bühne haben sie stilecht dekoriert: Mit einem Segelschiff.

Eines der Highlights des ersten Tages ist die britische Band mit dem seltsamen Namen We Have Band. Mitreißende Rhythmen und eine Band in Hochform verwandeln die Wiese vor der Vorschot-Bühne binnen kürzester Zeit zur Tanzfläche. Passenderweise reißt nun auch die Wolkendecke auf und taucht die tanzende Menge in schönstes Abendlicht. Dann wird es Zeit für den ersten "großen" Namen auf der Großschot: Maximo Park geben sich die Ehre. Leider kommt bei den Briten, wie auch beim späteren Headliner Hot Chip, der Sound eher bescheiden aus den Lautsprechern. Das nimmt den beiden großen Bands, für die einige der Gäste bestimmt extra angereist waren, ein wenig die Stimmung.

{image}Auf der kleineren Vorschot läuft es etwas besser: Dort taucht der Berliner Elektrokünstler Apparat mit seiner Band begeisterte Zuschauer tief in sphärische Klangschichten. Auch über einige Songs seines Nebenprojektes Moderat, das er zusammen mit seinen Labelkollegen von Modeselektor gründete, dürfen sich die Zuschauer freuen. Nach den großen Hauptacts ist auch das Hauptprogramm für diesen Tag vorbei. Viele bleiben noch, um auf den kleineren Floors zur Musik diverser DJs zu tanzen, zum Beispiel zu Aérea Negrot von Hercules and Love Affair, die auch zu später Stunde noch die Massen begeistern kann. Andere machen sich auf den Weg Richtung Shuttlebusse, dank denen man in kürzester Zeit auch außerhalb des Festivalgeländes in den Kneipen von St. Pauli oder dem Schanzenviertel weiterfeiern kann.

Der Samstag

Der Festivalsamstag beginnt schon gegen Mittag. Die frühen Vögel unter den Besuchern können sich beispielsweise an der noch jungen Hamburger Nachwuchsband Waves of Joy erfreuen, die fröhlichen Britpop fabrizieren, der so klingt, als wären sie schon ganz alte Hasen. Anschließend folgen auf der Hauptbühne nicht viel ältere Jungs und Mädels aus Island: Retro Stefson klingen allerdings überhaupt nicht nach einem der typischen Acts aus ihrer Heimat. Die bunte Truppe fackelt ein Feuerwerk aus Indie, 90s-Eurodance und afrikanischer Weltmusik ab, das man nur bestaunen kann.

Auch die weiteren Künstler sorgen für eine ausgelassene Stimmung. Wye Oak aus Baltimore begeistern eher mit ruhigeren Klängen, kommen aber auch zu zweit auf der großen Bühne erstaunlich gut an. Vielleicht liegt es daran, dass Schlagzeuger und Keyboarder quasi in Personalunion und gleichzeitig auftreten: Linke Hand am Keyboard, rechte Hand und Füße am Schlagzeug. Im Anschluss wird es wieder tanzbar: Bei WhoMadeWho aus Dänemark wird zu schrägem Gesang und tanzbaren Indiebeats wieder der Staub vor der Bühne gewaltig aufgewirbelt.

{image}Das große Publikum vor der Hauptbühne teilt sich anschließend recht deutlich zwischen Rock- und Elektrofans auf. Viele ziehen zur Vorschot, um der Elektrokünstlerin und Durchstarterin Dillon zu lauschen. Einige hören sich lieber die australische Band The Jezabels an, die mit ihrem dramatischen Rock und beeindruckendem Gesang von Frontfrau Hayley Mary den passenden Soundtrack zur Abendstimmung nach einem, für Hamburger Verhältnisse, warmen Sommertag bieten. Anschließend bringen Future Islands am kleineren Maschinenraum die Masse zum toben. Die theatralischen Posen und der übertrieben wilde Gesang des Frontmanns sind beeindruckend und beängstigend zugleich. Der Menge ist das egal. Sie johlt und tanzt und fordert noch lange eine Zugabe, während Roadies schon für den folgenden Act, Purity Ring, das Set aufbauen.

Nun zieht es die Freunde des Elektropop wieder an die Hauptbühne, auf dem die Briten von Metronomy Hits wie The Look erklingen lassen. An der Vorschot geht es etwas härter zu: Marsimoto knallt dem Publikum die Beats und bunten Lichter dermaßen entgegen, dass diesem nichts anderes übrig bleibt, als sich in einen tanzenden Mob zu verwandeln. Das lässt viele wohl auch vergessen, dass nebenan auf der Hauptbühne bereits James Blake ein eher ruhiges Set abliefert. Vielleicht wäre das nach so einer Tanzeinlage aber auch eher ein unpassender Abschluss gewesen.

Der Sonntag

Inzwischen haben sich alle daran gewöhnt, binnen kürzester Zeit vollkommen eingestaubt zu sein. Die Festivalstimmung hat die Macht übernommen und Dreck ist zum Style-Accessoire geworden, Staub der neue Diskonebel. Me and My Drummer, die am späten Nachmittag auf der Maschinenraum-Bühne eine tolle Show abliefern, zeigen sich ganz beeindruckt von der Schönheit ihres Publikums vor der Kulisse des Hamburger Hafengebiets. Das Publikum ist ebenfalls ganz aus dem Häuschen, allerdings wegen der beiden Newcomer, die vor ihm auf der Bühne stehen. Unglaublich vielseitiger Gesang und Keyboardsounds sowie ungewöhnliche Schlagzeugunterstützung geben den Zuschauern aber auch jedes Recht, begeistert zu sein. Eine Band, der man jeden Erfolg gönnt!

{image}Während es auf dieser Bühne nun mit Wortbeiträgen beim Poetry Slam weitergeht, polarisieren die Tune-Yards auf der großen Bühne die Massen. Die experimentelle Folkmusik, die Künstlerin Merrill Garbus mit ihrer Truppe abliefert, lässt einige mit schmerzverzerrtem Gesicht das Weite suchen und andere begeistert in die Hände klatschen. Letztere freuen sich vor allem über den frischen Wind und die Innovation, die ihnen dort von der Bühne entgegenweht. Die deutsche Band Abby startet derweil ihren Auftritt im Maschinenraum. Eine angenehm unprätentiöse Truppe, die sich für ungeschickte Tanzeinlagen nicht zu schade ist und sich mit Indiepop, der zeitweise irgendwie an Phoenix erinnert, schnell eine kleine Fangemeinde heranspielt.

Auf der Vorschot wiederum bringen gerade Die Vögel die Masse kollektiv zum Ausrasten. Mit Mitteln wie Swing-Elektro und Live-Posaunen haben sie die Leute im Handumdrehen für sich gewonnen. Schließlich laden die Hamburger Veteranen von Tocotronic zur Abschlussveranstaltung und gefeierten Melancholie vor die Hauptbühne. Als kleine Besonderheit bitten sie zu ihrem Hit Kapitulation eine Gruppe Jugendlicher auf die Bühne. Diese kommen vom Sommercamp Lüttville, das die Dockville-Macher schon seit einigen Jahren für Wilhelmsburger Kinder veranstalten, und haben eine kleine Choreographie zum Song vorbereitet. Für so etwas gibt es natürlich großen Applaus.

Wem es vor der Hauptbühne zu voll ist, kann es sich vor der Vorschot bequem machen, auf der Niels Frevert mit seiner Band ein schönes Singer/Songwriter Konzert gibt. Die richtige Gelegenheit, um ein wenig den letzten drei vollen Tagen hinterherzutrauern, die nach einem gelungenen Festival hinter einem liegen.

Dieses Jahr stimmte einfach alles beim Dockville: Eine tolle Musikauswahl mit vielen angenehmen Überraschungen, vor allem durch unbekanntere Namen, perfekte Organisation und Abläufe und erstklassiges Wetter. Da freut man sich umso mehr, wenn die Gerüchte stimmen, dass das Festival auch im nächsten Jahr wieder am gewohnten Ort stattfinden darf. Das war nämlich bis zuletzt leider nicht sicher. Die Daumen sind gedrückt.