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Neneh Cherry: volle Intensität. © Daniel Nagel

Neneh Cherry & The Thing fegen wie ein Tornado durch das Karlsruher Tollhaus und hinterlassen ein begeistertes, aber auch etwas sprachloses Publikum. Die Kombination aus Gesang und Free-Jazz ist häufig problematisch, aber The Cherry Thing überwältigen durch ihre fantastische Geschlossenheit und ihre atemberaubende musikalische Brillanz. Wie aber fasst man einen Abend von fast überwältigender Intensität in Worte? Ein Versuch.

{image}Erinnert ihr euch noch an 7 Seconds, den Monster-Hit von Youssou N'Dour und Neneh Cherry aus den 1990ern? Prima. Das Konzert von Neneh Cherry & The Thing im sehr gut besuchten Karlsruher Tollhaus war das exakte Gegenteil dieses Liedes, allerdings weniger in Attitüde als in der Form der musikalischen Inszenierung. Zunächst ist es wichtig festzuhalten, dass Neneh Cherry nicht von dem skandinavischen Free-Jazz-Trio The Thing "begleitet" wird. Das wäre in etwa so, wenn man sagte, dass ein Tornado von starken Winden begleitet wird.

Stattdessen bilden Neneh Cherry und The Thing eine fast symbiotische Einheit. Selbstverständlich ist Neneh Cherry der Star der Band. Sie schlendert elegant auf der Bühne herum, blickt kühl und etwas distanziert ins Publikum, um dann ans Mikrophon zu treten und plötzlich mit unerwarteter Ausdruckskraft zu singen. Ihr Gesang ist leidenschaftlich, laut und durchdringend, aber nie unkontrolliert oder penetrant. Mühelos vermag sie sich gegen die Rhythmussektion zu behaupten, in der Schlagzeuger Paal Nilssen-Love den Ton angibt.

Das wirklich Sensationelle ist aber die kongeniale Kombination von Neheh Cherrys Gesang und Mats Gustafssons Saxophonspiel. Gustafsson unterlegt Cherrys Gesang mit sich wiederholenden Motiven, die als melodische und rhythmische Brücke zwischen Cherry und der Rhythmussektion fungieren. Manchmal wird er quasi von der Leine gelassen und dominiert dann die Musik mit der gleichen ekstatischen Leidenschaft, die auch Neneh Cherrys Gesang auszeichnet. "We are The Cherry Thing", sagt Neneh. No doubt about it.

Das Konzert erinnert in vielem an das gemeinsame Album The Cherry Thing und ist doch ganz anders. Live gewinnen die Songs des Albums eine fast unheimliche Körperlichkeit. Die Musik strebt stets nach vorne, überrollt alle Widerstände, lädt zum Tanzen ein. Aber irgendwie kann man sich auch nicht aus der faszinierenden Betrachtung dessen befreien, was da auf der Bühne passiert. Denn die Musik wirkt noch organischer, noch dichter als im Studiokonzept, ein tosendes Meer voller Klänge und Rhythmen, das überraschend aufbrechen kann und dann wieder ganz still ruhig darniederliegt, so als wäre nichts gewesen wie in Sudden Moment. Neneh Cherry lächelt dazu. Es ist der Wahnsinn.

{image}Man kann die Highlights in einem Wort zusammenfassen: alles. Die hypnotische Wirkung von Suicides Dream Baby Dream mit seinem Schlangenbeschwörer-Rhythmus verzaubert gleich zu Beginn. Madvillains Accordion ist noch giftiger, der geniale Opener Cashback gleichermaßen reduzierter, aber auch konzentrierter als in der stürmischen Version auf The Cherry Thing. Atemberaubend gerät die gewaltige Coverversion des älteren und recht unbekannten Zydeco-Songs Call The Police von Stephanie McDee. In Wrap Your Troubles In Dreams kann Neneh Cherry dann zum Schluss noch einmal ihre gesamten Gesangeskünste präsentieren. Es ist eine Wonne zu erleben, wie sie den Song umschmeichelt, umgarnt und in ihr eigenes Werk verwandelt.

Als Zugabe kündigt Mats Gustafsson den "einzigen Hit von The Thing" an und ergänzt dann schelmisch: "Wir hoffen, dass es ein Hit werden wird." Die Band setzt dann zu einem wilden Free-Jazz-Freakout an, der wohl die musikalische Umsetzung einer Invasion brandschatzender Wikinger darstellen soll und daher den Titel Viking trägt.

Der gesamte Auftritt, seine Intensität und Leidenschaft lässt nur einen Schluss zu: Neneh Cherry & The Thing sind füreinander bestimmt. Man kann nur auf weitere Platten und Konzerte hoffen. Long live The Cherry Thing!

Setlist

Intro/Too Tough To Die | Dream Baby Dream | Golden Heart | Sudden Moment | Cashback | Intro/Dirt | Accordion | Call The Police | Wrap Your Troubles In Dreams

Zugabe: Viking

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