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David Bowie (Pressefoto) © Brian Ward, The David Bowie Archive

Pünktlich zum 40. Geburtstag von David Bowies "The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars" oder einfach nur "Ziggy Stardust" veröffentlichte EMI Music vor kurzem eine neue Version des Klassikers über den außerirdischen Rockstar. Im Vergleich zum zehn Jahre alten Remaster von 2002 hat sich aber wenig verändert. Wer das bereits besitzt, braucht die neue Version also kaum, oder?

{image}Im September 1971 ging David Bowie zusammen mit Michael "Mick" Ronson (Gitarre, Piano), Trevor Bolder (Bass) und Mick "Woody" Woodmansey (Schlagzeug) in die Trident Studios im Londoner Stadtteil Soho, um dort den Nachfolger seines Albums Hunky Dory aufzunehmen. Das war zu diesem Zeitpunkt zwar noch gar nicht erschienen, da aber Musiker zu jener Zeit noch jedes Jahr ein Album veröffentlichen sollten, machten sich Bowie und seine Band vorbereitend ans Werk. Aus diesen Londoner Aufnahmesessions entstand The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars, auf dessen Cover Bowie im hautengen Overall und hohen Stiefeln in einer Seitenstraße posiert. Hiermit bot er den ersten Eindruck seines Alter Ego, das er in den nächsten Jahren annehmen und das für die Popkultur enorme Bedeutung gewinnen sollte: "Ziggy Stardust".

Anders als viele vermuten, war das Konzept um den androgynen außerirdischen Rockstar, der auf die Erde geschickt wird, um die Menschheit auf die letzten fünf Jahre ihrer Existenz vorzubereiten, damals noch nicht ausgereift. Bowie und Ronson hatten zwar bereits einige Songs in der Tasche, diese waren aber nur sehr lose thematisch miteinander verbunden. Von der Kunstfigur "Ziggy Stardust" sprach man anfangs kaum. Die meisten Songs des Albums entwickelten sich erst während der Aufnahmen, die sich deswegen auch bis in den Januar zogen – obwohl man, wie Produzent Ken Scott heute noch immer wieder gerne betont, wöchentlich an sechs Tagen von Mittag bis Mitternacht arbeitete.

Das Nicht-Vorhandensein eines Konzepts ging sogar so weit, dass man auf Wunsch von Bowies Label RCA den Titel Starman aufnahm, um damit ein Cover von Chuck Berrys Round and Round zu ersetzen; der Plattenfirma fehlte schlicht und einfach ein Song, den man als Single auskoppeln konnte. Der Musikkritiker David Buckley, der sowohl mehrere Bücher über den Thin White Duke als auch die Liner Notes zur 30th Anniversary Version von Ziggy Stardust schrieb, stellt zurecht fest, dass sich der Song wohl auch deshalb sehr stark an das bekannte Over the Rainbow aus dem Film The Wizard of Oz anlehnt.

{image}Welchen Einfluss David Bowie mit Ziggy Stardust auf die Popkultur haben würde, konnte bei Erscheinen der Platte niemand ahnen. Aber schon sein erster Auftritt in der Rolle des Rock-Aliens bei Top Of the Pops im Jahr 1972 war ein Moment für die Ewigkeit. Der Anblick von Bowie im hautengen Anzug und mit rotem Haarhelm wirkte auf die jüngere englische Generation anziehend und befreiend, auf die ältere hingegen sehr verstörend. In einer teils sehr homophoben Gesellschaft als Mann mit Geschlechterrollen zu spielen und sie genüsslich zu überschreiten, verursachte ein starkes Befremden. Wie wichtig und einflussreich dieser Moment war, zeigt sich heute noch, denn Künstler wie Marilyn Manson setzen mit einem ähnlichen androgynen Auftreten auf den gleichen Effekt – wenn auch mit bescheidenerem Erfolg.

Aber nicht nur dieser Schockmoment war wichtig, sondern auch die Vorbild- und Vorreiterfunktion Bowies, die aus seiner Rolle entwuchs. Glam Rock wäre ohne "Ziggy Stardust" niemals so groß geworden und Punk hätte wahrscheinlich nie in dieser Form existiert, da dieser einen wichtigen Teil seiner frühen Identität aus Bowies androgynem Aussehen und dessen Songs übernahm.

Ebenso charakteristisch erwies sich Bowies großes Verlangen nach ständiger musikalischer und konzeptueller Neuerfindung, das mit der Schaffung von "Ziggy Stardust" begann und später von Künstlern wie Madonna nachgeahmt wurde. Bowies Wandel war jedoch das Resultat einer Zwangslage: Er hatte seit zwei Jahren keinen Hit mehr gelandet, man erwartete also viel vom neuen Album – auch, weil noch niemand wusste, wie sich Hunky Dory entwickeln würde. Trotzdem konnte sich keiner zuvor wohl auch nur ausdenken, wie erfolgreich das Album werden würde, so dass man es jetzt, 40 Jahre später (!), wieder einmal neu auflegt.

{image}Womit wir am Ende bei der aktuellen Neuauflage von EMI wären. Sie ist in zwei Versionen erschienen: als CD oder aber als Schallplatte im Bundle mit einer Audio-DVD. Diese enthält wie so oft bislang unveröffentlichte Mixe. Diesmal hat Ken Scott persönlich Moonage Daydream, The Supermen, Velvet Goldmine und Sweet Head bearbeitet. Ähnliches hatten wir aber bereits vor zehn Jahren serviert bekommen, als EMI die 30th Anniversary Edition veröffentlichte. Auch diese enthielt viele Bonustracks und Mixe. Damals gab es das aber auf einer zweiten CD, unter anderem dabei war John, I'm Only Dancing. Der Song erschien 1972 zwar nicht auf dem Album, wurde aber später als Single veröffentlicht und ist einer von Bowies besten Songs aus den frühen 70er Jahren und damit ein Kaufargument für das ältere Remaster. Dazu kommt bei der 30th Anniversary Edition ein ausführliches Booklet mit Fotos, einer kleinen Zeitlinie rund um die Entstehung des Albums und die bereits erwähnten ausführlichen Liner Notes von David Buckley. Buckley beschreibt darin vor allem die Entstehungsgeschichte und den Einfluss von Ziggy Stardust auf die damalige Jugend, die wenige Jahre später Punk und Postpunk erfinden sollte.

Warum sich also die neue CD beziehungsweise Schallplatte kaufen? Der einzig wirkliche Unterschied ist der Sound. Der ist zwar bei der 30th Anniversary Edition im Vergleich zu den anderen CD-Ausgaben nicht schlecht (im Gegensatz zum abgrundtief schlechten Remaster von 1999), aber auch verbesserungswürdig. Ganz zu schweigen davon, dass EMI bei dieser Version einige Songs bearbeitete und Teile rausschneiden ließ: So hört man erst bei der aktuellen CD wieder das Einzählen am Anfang von Hang On to Yourself. Ob dieser Punkt allein aber für den Kauf der 40th Anniversary Edition spricht, darüber sollte man lieber zweimal nachdenken.

Wertung:

+++ (von +++++)

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