An Evening with Joan Baez - Open Air 2016, Schwetzingen © Mathias Utz
Schon als Joan Baez die fast ausverkaufte Jahrhunderthalle betritt, springen einige Zuschauer in den ersten Reihen auf und applaudieren kräftig. Sie sind gekommen, um die einundsiebzigjährige Folksängerin zu feiern – und ein wenig auch sich selbst.
In der Halle sind sie fast unter sich, die Überlebenden der sechziger Jahre. Joan Baez selbst ist so eine Überlebende – und wer glaubt, das sei zu hoch gegriffen, der denke an das Schicksal des Ehemanns ihrer 2001 verstorbenen Schwester Mimi: Der Schriftsteller und Sänger/Songwriter Richard Fariña kam 1966 bei einem Motorradunfall ums Leben.
Wenige Variationen im Programm
Die gesellschaftlichen Konflikte der 1960er sind der Grund dafür, dass man Joan Baez' Musik stets mit politischem Engagement verbindet. Zu Beginn des Konzerts scheint das weit weg zu sein, so gediegen ist der Auftakt. Joan Baez macht ein wenig den Anschein, als sei sie in der bequemen Routine erstarrt. Ihre Stimme hat in den letzten Jahren altersbedingt deutlich an Geschmeidigkeit eingebüßt: Elvis Costellos' "Scarlet Tide" hat sie schon überzeugender gesungen, "Farewell Angelina" wirkt hingegen etwas bequem. Überzeugender sind da schon der Klassiker "Lily Of The West" und eine schöne Interpretation des Steve Earle Songs "Jerusalem", der zu ihrem Standardrepertoire gehört.
Insgesamt könnte Joan Baez bei der Auswahl ihrer Coverversionen etwas mehr Mut zeigen. Gegen die Lieder ist an sich ist nichts zu sagen, nur in der Gesamtheit wirken sie allzu vorhersehbar. Umso erfreulicher sind dann wirkliche Neuerungen, beispielsweise Stephen Fosters "Hard Times" oder Donovans "Catch The Wind". Solche Variationen des gewohnten Programms wünscht man sich eigentlich häufiger.
Plötzlich wird alles anders
Gerade als man sich damit abgefunden hat, dass das Konzert nur Gewohntes bringen wird, überrascht Baez damit, die französische Sängerin Marianne Aya Omac für einige Duette auf die Bühne zu bitten. Die ehemalige Straßensängerin hat in der Vergangenheit schon einige Male mit Baez zusammengearbeitet. Ihre feurige Mischung aus Latin- und Gypsy-Klängen in Verbindung mit ihrer ausdrucksstarken Stimme haucht dem Konzert neues Leben ein und löst frenetischen Jubel im Publikum aus.
Mit der Danksagung "Gracias A La Vida" beginnt der Sing-along-Teil des Konzerts, der mit dem stets brillanten "Diamonds & Rust" gleich einen weiteren Höhepunkt aufweist. Bei "The Night They Drove Old Dixie Down" bemühen sich einige Zuschauer nach Kräften, das Lied zu zerklatschen, was der sehr schönen Interpretation leider ein wenig ihrer Wirkung beraubt.
Danach singen die Zuschauer aber bei "Sag mir wo die Blumen sind" würdevoll und schön mit und zeigen, dass das Lied nach all den Jahren nichts von seiner ergreifenden Unmittelbarkeit verloren hat. Kurz darauf folgt "Imagine", das durch den "Chorgesang" gar nicht kitschig, sondern angenehm passend wirkt. Bevor sie sich endgültig verabschiedet, singt Joan Baez noch "Donna Donna". Es ist der erhabene Abschluss eines Konzerts, das nach etwas zu routiniertem Beginn noch in etwas wirklich Besonderes verwandelt wurde.
Setlist
God Is God | Be Not Too Hard | Lily Of The West | Railroad Boy | Scarlet Tide | Hard Times | Jerusalem | Catch The Wind | Swing Low, Sweet Chariot | [3 spanische Songs mit Marianne Aya Omac] | The House Of The Rising Sun | Long Black Veil | Suzanne | Gracias A La Vida | Diamonds & Rust | The Night They Drove Old Dixie Down | Imagine | Sag mir wo die Blumen sind | Donna Donna