Hot Water Music letztes Jahr in Horb am Neckar. Dieses Jahr waren sie der Headliner beim Pirate Satellite Festival.

Hot Water Music letztes Jahr in Horb am Neckar. Dieses Jahr waren sie der Headliner beim Pirate Satellite Festival. © Achim Casper

Am Stuttgarter Hauptbahnhof ist die Hölle los: Betrunkene Minderjährige in Lederhosen und Dirndl, Blasmusik aus scheppernden Handylautsprechern und zur Krönung Horden von Junggesellen, die ihrem Umfeld in unlustig bedruckten TShirts Klopfer für drei Euro andrehen wollen. Es ist Wasen-Zeit in Stuttgart. Aber Halt! Eine Alternative zum dumpfen Einheitsbrei bot an diesem Wochenende das Pirate Satellite Festival im LKA Longhorn, das mit seinem Line-Up am ersten Tag Punkrockgrößen wie Hot Water Music und das Alkaline Trio nach Süddeutschland eingeladen hat.

{image}Stuttgart, 15 Uhr: Vor dem LKA Longhorn, einem alten Fabrikgebäude außerhalb von Stuttgart, finden sich nach und nach immer mehr Menschen in der flimmernden Hitze ein. Dabei sehen die meisten von ihnen aus, als seien sie selbst Frontmann einer Punkrockband und stünden gleich auf der Bühne – Bärte, Tattoos und Band-Shirts so weit das Auge reicht.

Der Grund für diese Ansammlung männlicher und weiblicher Alternative-Fans ist das Pirate Satellite Festival, das in diesem Jahr zum ersten Mal stattfindet und – zu erkennen an den Kennzeichen auf dem Parkplatz – Besucher aus dem gesamten deutschen Raum anzieht. An zwei Tagen lockt das Indoor-Festival mit einem hochkarätigen Line-Up: Während am ersten Tag Punkrock- und Akustikfans auf ihre Kosten kommen, übernehmen am Sonntag Metalcorefreunde das Gebäude und können sich über Größen wie Parkway Drive und The Dillinger Escape Plan freuen.

Vorerst aber werden ruhigere Töne angeschlagen, denn Tom Mess betritt um viertel nach drei die Bühne. Der Singer/Songwriter hatte sich in einem Contest gegen seine Konkurrenten durchsetzen können und einen Slot im Line-Up ergattert. Leider ist man sich bei den Organisatoren wohl etwas uneinig, was den Zeitplan und den Einlass betrifft und so kommt es, dass der Künstler die ersten anderthalb Songs vor einer leeren Halle präsentieren muss, während sich die angereisten Fans vor der Halle lauthals über die Situation beschweren. Das, was das Publikum später noch von Tom Mess mitbekommt, überzeugt aber allemal und bietet den perfekten Einstieg in den kommenden Tag.

{image}Im Laufe des Nachmittags versammeln sich immer größere Menschenmassen vor der Bühne und während die Sommerluft draußen langsam kühler wird, heizt sich die Halle während den Shows von den Cobra Skulls aus Nevada, Red City Radio aus Oklahoma und den schwedischen Newcomern Atlas Losing Grip immer weiter auf. Die ersten zaghaften Moshpits bilden sich und es riecht nach Bier, Schweiß und Menschen – so wie das bei einem erfolgreichen Punkkonzert zu sein hat. Doch viel Zeit zum Ausruhen und Abkühlen bleibt zwischen den Bands nicht, denn der Zeitplan ist straff: Die Bands spielen jeweils nur eine halbe Stunde mit einer viertelstündigen Umbaupause. Und so ist sicher der ein oder andere froh darüber, als um kurz vor sechs Nikola Sarcevic die Bühne betritt. Nur mit seiner Gitarre bewaffnet präsentiert der Sänger, der besser als Frontmann der schwedischen Punkband Millencolin bekannt sein dürfte, seine Solosongs – mit mäßigem Erfolg. 08/15-Gitarren-Gedudel und dazu Texte, die sich ausschließlich mit Herzschmerz und Gefühlen beschäftigen; Sarcevic bietet nichts Neues und schon bald ist die Halle erfüllt von den Stimmen der Zuschauer, die sich munter über interessantere Themen unterhalten.

{image}Dies ändert sich jedoch schlagartig, als Chuck Ragan die Bühne betritt. Schon beim Soundcheck kommt es immer wieder zu frenetischem Applaus, der Raum vor der Bühne ist voll und man wartet eigentlich nur darauf, dass es anfängt von der Decke zu tropfen. Ragan ist nicht alleine zum Pirate Satellite Festival gekommen und so stehen während des Akustikblocks auch Dave Hause, Frontmann der Band The Loved Ones, Dan Andriano von Alkaline Trio und – wohl am sehnsüchtigsten erwartet – Tommy Gabel von Against Me! zusammen auf der Bühne. Dazu werden sie von John Gaunt an der Violine und Joe Ginsberg am Kontrabass begleitet. Ganz im Stile der Ragans Feder entspringenden Revival Tour sprengen die Musiker mit einer enormen Spielfreude die starren Konzertregeln, in dem sie abwechselnd gemeinsame und Solosongs präsentieren und sich gegenseitig zur Unterstützung auf die Bühne rufen. Für jeden im Publikum ist spürbar, dass hier nicht nur Kollegen, sondern auch Freunde gemeinsam musizieren. Drei Stunden dauert das Akustik-Spektakel. Gegen Ende darf auch Tom Mess noch einmal auf die Bühne und bekommt fast genau so großen Applaus gespendet wie seine Profi-Kollegen.

Während es draußen immer noch hell ist, stellt sich in der Halle langsam die Samstagabend-Konzertatmosphäre ein, geht es doch nun schnurstracks auf die Headliner zu. Als Alkaline Trio die Bühne betreten, gibt es kein Halten mehr, sämtliche Energie, die beim akustischen Teil eingespart wurde, wird nun entladen. Auch Matt Skiba lässt es sich nicht nehmen, Freunde auf die Bühne zu holen und lässt sich für einen Track von Red City Radio-Frontmann Paul Pendley vertreten. Das buntgemischte Set bereitet sowohl dem Publikum als auch der Band sichtlich Spaß und Dan Andriano kann nicht oft genug sagen, wie unglaublich toll er dieses Festival findet.

{image}Dennoch ist im Publikum eine leichte Anspannung zu bemerken, nach einer Stunde Alkaline Trio wartet man gespannt auf Hot Water Music. Die meisten im Publikum haben die Band seit Jahren nicht mehr live gesehen und harren aufmerksam der Dinge, die da kommen. Doch die Sorge, dass Hot Water Music vielleicht in den Jahren ihre Bühnenenergie verloren haben könnten, ist gänzlich unbegründet: Als die Jungs die Bühne betreten scheint alles perfekt. Der Tontechniker gibt sein Bestes und die Band hat definitiv Lust auf dieses Konzert. Vornehmlich präsentieren die Punkrocker ihre alten Songs, aber auch Drag My Body und State of Grace vom im Mai kommenden Album Exister werden den Zuschauern dargeboten. Matt Skiba schaut für den Song Rooftops erneut auf der Bühne vorbei und bei der Zugabe schreit sich Dave Hause mit Trusty Chords noch einmal die Seele aus dem Leib. "I love that motherfucker!", teilt HWM-Gitarrist Chris Wollard dem Publikum danach mit und fasst damit zusammen, was das Publikum auch schon zu spüren bekommen hat: Hier geht es nicht um ein weiteres Festival, das die Bands zufällig zusammen abarbeiten, sondern um Freundschaft und gemeinsames Musizieren.

Das Festival endet unspektakulär. Das Publikum bahnt sich seinen Weg aus der Halle knirschenden Schrittes über die Berge aus Plastikbechern, die sich auf dem Boden angesammelt haben. Am Hauptbahnhof trifft man dann wieder auf die Besucher der Wasen, die genauso aussehen wie am Anfang des Tages, nur betrunkener. Die meisten Besucher des Pirate Satellite Festivals jedoch tragen jetzt ein seliges Grinsen im Gesicht und nichtmal die Blasmusik aus scheppernden Handylautsprechern kann ihrer Stimmung etwas anhaben.