Moritz Krämer trat in Freiburg gemeinsam mit We Invented Paris auf.

Moritz Krämer trat in Freiburg gemeinsam mit We Invented Paris auf. © Nico Hertweck

Im Freiburger Jazzhaus fanden sich am Dienstagabend Moritz Krämer und We invented Paris im Rahmen der TV Noir Konzertreihe vor vollem Gewölbe ein. Es ist eine weitere Haltestelle einer langen Reihe an Auftritten, die die Band im Frühjahr des Jahres absolviert und dabei durch ganz Deutschland führt. Schon jetzt ist es erkennbar: Hier erklingen zwei Stilrichtungen, die musikalisch harmonieren, zwei Interpreten, die gut aufeinander abgestimmt sind. Ein gemeinsamer Auftritt, der viel von dem zeigt, was Bühnenpräsenz ausmacht. Und mehr, denn hier werden gar Farben verteilt.

{image}"Hallo, ich bin die Vorband" – als ich Moritz Krämer erstmals vor bald zwei Jahren, als Support von Gisbert zu Knyphausen erlebte, war der junge Mann, den es vom Schwarzwald über Freiburg nach Berlin führte, ein Künstler, dem man nie anmerken sollte, ob hinter der Darstellung Schüchternheit oder doch Abgeklärtheit verborgen liegt. Oder keines von beiden. Und heute? Heute ist das nicht anders.

Das Freiburger Jazzhaus ist reich gefüllt – das "Wohnzimmer der Songwriter" TV Noir führt an diesem Abend im Rahmen von 21 Konzerten zwei Bands zusammen, die sich in vielem gleichen, in mancherlei Hinsicht unterscheiden sollten: Moritz Krämer selbst, wie auch We Invented Paris, die schon für Kettcar oder The pains of being pure at heart den Abend eröffneten.

Ein eigenartiges Gefüge ist das zu jeder Zeit: Die Musiker wechseln an den Instrumenten, Krämer selbst lässt sich vom ganzen Kranz der anderen Bandmitglieder musikalisch begleiten, ist auch im späteren Verlauf selbst an der Gitarre, am Akkordeon, am Klavier zu sehen – und wenn auch eher ungewohnt, der Kniff des fliegenden Wechsels ist gut: Was zunächst noch abrupt aus der einen Stimmung entreißt, bildet zuletzt einen Korpus mit zwei Köpfen, eine ganz eigentümliche Ambivalenz.

{image}"Er wird Dir Rom zeigen/Brauchst' keine Filmsprüche mehr an den Badspiegel schreiben/Wollt' Dir nur sagen, Deine Katze die ist tot/Wir haben elegant landen vom Balkon geprobt" - Krämers Gedankenprosa ist einzigartig; schon die frühen Fallsucht-Aufnahmen haben sich dies bewahrt: Den Mut zum Windschiefen, den Hang zum Brüchigen, das Merkwürdige, Morbide und für sich Kuriose, das erkennen lässt, dass man dem Hörer die Freude nicht nimmt, gespannt sein zu dürfen, was mit dem nächsten Ton und Wort folgen mag.

Und sie sind alle in dieser Art: Geschichten, die nur das Leben schreiben kann. Geschichten vom Ableben der Thunfische, roten Flecken auf weißen Laken, der Mitbewohnerin eines Freundes, mit Mütze und Honig im Haar, einem Spatz, der vom Dach springt und sich ein Rippchen prellt, ehe er die weite Welt sieht – Szenen und Metaphern des Alltags. All das präsentiert Krämer in flüchtigen Erinnerungen, zurückfallend auf den Moment, als die Ampel auf rot stand.

Der Auftritt ist im besten Sinne unaufgeregt: Selig ruhig wird die Gitarre gestimmt, verlegen ins Publikum geschielt, bis sich das Zeintervall zu weit dehnt und der Entschluss aufkommt, der schönen Anekdote Bühne zu geben. 90 Minuten, so erklärt er, habe den realen Hintergrund, dass er einstmals, noch in den Bergen des Schwarzwaldes lebend, stets zu einer guten Freundin gefahren sei, die sich, wie er auch, geschworen habe, diesen Ort zu verlassen, die Welt zu sehen – nach einem Aufenthalt in New York und einer gescheiterten Beziehung im Folgenden aber nie die Grenze Griechenlands erreichte und nun wieder hier ist, hier im Saal.

"Hab' ich das alles auch genossen/kenn' die Kurven hier noch ganz genau/mit dem Linienbus auf Deinen Berg/90 Minuten auf Kaugummis rumgekaut"es ist die große Kunst Bilder zu erschaffen, mit ganz wenig, einer handvoll Silben nur. Eine verwischende Grenzschicht zwischen Alltagsspache und Poesie, an der das Papierrascheln so mancher Songwriter-Primadonnen schon lange nicht mehr zu hören ist.

Und die Musik? Die Gitarre, die schon für sich genommen erstaunlich gut klingt, begleitet die Worte, umkreist, verstärkt und mimt das Stethoskop am musikalischen Pulsschlag. Ein Klavier kleckst bunte Tupfer auf die Leinwand und der Bass legt ein Gerüst aus, auf dem Krämer stehend mit eindringlicher Stimme in großen Buchstaben die Gedanken seiner Welt auf die Fassaden der Häuserwände schreibt. Es fehlt an nichts, diese Kunst wirkt, schon zu einfachen Gitarrenmustern. Man mag das zuweilen schlicht oder reduziert nennen, ich finde es einfach gekonnt.

{image}"Es fühlt sich gudann" summt es nun über die Bühne, auf der sich alle Künstler des Abends vor Weißwein und einem familiären Sitzkreis positionieren, zu einem Timbre, das verlangt, dass der Kopf im Taubenrhythmus vor und zurück wandert, das Bein zu schwingen beginnt, die Finger glucksende Geräusche von sich geben. Und nach und nach lichtet sich die Bühne, bis zum Schlagzeug, das den Takt gibt. Als das Licht wieder aufleuchtet, zeigt sich das auf allen Plätzen, was schon den ganzen Abend über an großem Applaus, an Pfeifen und begeisterter Teilnahme an so manchem ulkigen Projekt abzulesen war: Ein freudiges Schmunzeln. Gegenüber Musikern, die in der Raumesmitte im Publikum spielen, eine Versteigerung anzetteln, den Kauf einer Kuh betreffend, die einer Familie in Peru zugute kommen soll – und freilich, auch das Versteigerungsobjekt ist Teil des Abends, man lädt gescherzt zum kreativen Malen auf der Bühne. "Das Wohnzimmer der Songwriter" heißt es, selten war ein Titel treffender gewählt.

Es ist gut zu wissen, dass man die Antwort auf all die universellen Fragen nicht wissen muss, wenn im Frühling die angegrauten Miasmen des Vorjahres verfliegen. Auf dem Tisch hatte sie ihr Milchglas stehen gelassen, singt Krämer in Nachbarn, und "er drückt die Finger aneinander, bis sie schnipsen/und wischt die Milch wieder vom Tisch/Er hofft das morgen vielleicht an der selben Stelle wieder Milch is'" – ja, man sollte sein Lächeln behalten, auch wenn man all die Irrungen und Wirrungen des Lebens nicht versteht. Und damit zurück zu der kleinen Welt an der Straßenecke.

Setlist M. Krämer

Hinterher - Aliens - Mitbewohnerin - Winkel - Nichts getan - 90 Minuten - Raus aufs Land - Wir können nix dafür - Nachbarn - Der kleine Spatz - Gudann

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