Tom Waits: der alte Rabe auf dem knorrigen Baum lässt es wieder rumpeln.

Tom Waits: der alte Rabe auf dem knorrigen Baum lässt es wieder rumpeln. © Jesse Dylan

Tom Waits ist ein Künstler, dessen Karriere man grob in zwei Phasen einteilen kann. Die erste könnte man unter dem Banner "The Piano Has Been Drinking" zusammenfassen – gemeint sind die Jahre von 1971 bis 1982, in denen er hauptsächlich großartige versoffene Klavierballaden produziert hat. Dann kam mit dem 1983er Album "Swordfishtrombones" ein Bruch und die zweite, bis heute andauernde Phase begann, die man unter der Textzeile "The Piano is Firewood" versammeln könnte. Die Musik, die Waits in seiner zweiten Phase spielt, ist nicht einfach zu fassen: Das Instrumentarium rollt und rumpelt, und Waits sitzt wie ein alter Rabe auf dem knorrigen Baum und gibt von dort aus seine lakonischen Kommentare ab. Mit "Bad As Me" liefert er sein erstes reguläres Studioalbum seit 7 Jahren ab (zwischendurch gab es allerdings ein tolles Boxset und ein Livealbum) und schafft sogar sein bestes Werk seit Bone Machine (1992).

{image}In den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zogen viele Bluesmusiker aus dem Süden nach Chicago. Aus den Zutaten, die damals bereits sämtlich vorhanden waren, bastelte Tom Waits den Opener Chicago: der Beat klingt wie ein Güterzug, Saxophone stoßen ihre Töne wie Dampf aus sämtlichen Poren der Lokomtoive, das Banjo erinnert an Geräusche, die Räder auf verschraubten – nicht verschweißten – Schienen machen und die Gitarren geben den Drive. Die Bluesharp, die so oft "den Zug" macht, hier ist sie nur ein Detail. "Maybe things will be better in Chicago" singt Waits, doch das folgende Raised Right Men wirft die Frage auf, wo der Zug tatsächlich angekommen ist. Die Vox-Orgel klingt als hätte sie Bob Dylan auf seiner aktuellen Tour eingespielt, der Beat swingt, die Gitarre spielt die Achtel auf einem Ton. Fast meint man, der nächste Stop sei New York. Talking At The Same Time, von Waits faszinierend im Falsett gesungen, swingt gar noch mehr. Dass wir noch in den 40's sind, wird deutlich – und auch New York klingt noch durch. Als nächstes bewegt sich die Reise wieder in Richtung Memphis und 10 Jahre weiter: Get Lost atmet Rock'a'Billy-Geist; Marc Ribot huldigt Cliff Gallup und Larry Taylor am Kontrabass klingt fast wie Bill Black. Hot shit! Danach hält der Zug an. Waits steht am Straßenrand, Face To The Highway, und hat den Blues. Er wird gehen und keiner kann ihn aufhalten. Bei Pay Me singt er davon, dass man ihn nicht nach Hause gehen lassen wolle. Eine Leichtigkeit liegt trotz der melancholischen, sehnsuchtsvollen Töne in der Musik. Am Ende sagt sogar das besoffene Klavier der ersten 10 Jahre noch mal Hallo. Das folgende Back In The Crowd ist ein enttäuschtes Liebeslied, das jedoch ohne Bitterkeit auskommt.

{image}LP-Hörer werden jetzt umdrehen müssen und auch der CD-Käufer wird feststellen, dass der rote Faden, der sich durch die erste Albumhälfte zog, an dieser Stelle reißt. Mit dem Titelsong beginnt ein neuer Akt. Bad As Me rumpelt wieder grandios und mittendrin ruft Waits: "No good you say? Well, that’s good enough for me!" Damit auch die digitalen Nutzer ein wenig Vinylwärme zu spüren bekommen, klingt Kiss Me dann so, als würde es von einer alten Schallplatte abgespielt werden. Der jazzige Blues hätte vom Song her auch schon von einer seiner Platten aus den 70ern stammen können, nur hätte er selbst damals noch nicht so geklungen. In Satisfied geht es wieder ab. In bester Gin Soaked Boy-Manier rocken Tom und Keith Richards, der auf vier Songs des Albums beteiligt ist, ab – die Lyrics erinnern ebenfalls an einen bekannten Rolling Stones-Song und an einer Stelle huldigt Waits den Herren Jagger und Richards ganz explizit. Wohl dem, der für ein Stones-Tribut auf die Mitwirkung des legendären Gitarristen bauen kann. Bei dem folgenden Last Leaf sitzen sie dann beide wie die zerzausten Krähen auf dem Baum und singen, wie auch schon auf The Feel von Bone Machine, wunderbar schräg von dem letzten Blatt am Baume. Kann eine Platte besser in den Herbst passen?

Danach wird es mit Hell Broke Luce nochmal heftig: Tom Waits fällt von seinem Baum direkt in einen Schützengraben und wird zum Frontberichterstatter mit allen blutigen Details, Maschinengewehren und Explosionen. Aber der Krieg geht irgendwann zu Ende und um das Album doch noch versöhnlich ausklingen zu lassen folgt das wunderschöne New Year's Eve, das von der Zeit danach zu berichten weiß und auch auf Frank's Wild Years gepasst hätte. In diesem Song bricht der Erzähler am Ende wieder auf: Diesmal soll es nach Las Vegas gehen. Und wenn die 200 Dollar, die er mitnimmt, aufgebraucht sind, dann gäbe es ja auch noch die Möglichkeit wieder als Truckfahrer zu arbeiten. Der Schlußrefrain zitiert das klassische Auld Lang Syne-Thema und das alte Jahr ist vorbei – wie auch diese zauberhafte Platte.

Wertung: ++++½ (von +++++)

Alles zum Thema:

tom waits