Mogwai (live in Frankfurt, 2011)

Mogwai (live in Frankfurt, 2011) © Achim Casper

Es gibt bestimmt Bands, und das wird jetzt einfach mal behauptet, die mit extrem lauten Auftritten ihre musikalischen Unzulänglichkeiten verbergen wollen, frei nach dem Motto: "Verspielst du dich halt, hört doch sowieso keiner!" Mogwai, die schottische Schallkanone, hat das nicht nötig. Der Auftritt im Frankfurter Mousonturm zeigt: Lautstärke ist hier Selbstzweck, die Songs sind sowieso großartig.

{image}Man sieht soetwas selten, aber eine ganze Halle starrt gebannt auf die Bühne, um einen Mann mit seiner akustischen Gitarre zu bestaunen. Selbst die üblichen Schwätzer, die sich bei jedem Konzert noch bei der leisesten Stelle von ihren Problemen mit verkalkten Glasrändern erzählen müssen, sind fast ausnahmslos still. Und das nur wegen RM Hubbert. Der kräftig gebaute und stark tätowierte Mann sitzt allein mitten auf der Bühne, die Gitarre in seinen Händen wirkt wie ein Spielzeug. Und aus diesem Spielzeug entlockt der Schotte im Mousonturm in Frankfurt Musik, die sich stark an spanische Volksmusik anlehnt, was aber nur im ersten Moment etwas seltsam klingt. Ein englischer Konzertbericht beschrieb einen Auftritt von RM Hubbert als "Abend voller Erzählungen aus dessem Leben, die hin und wieder von Musik unterbrochen wurden". Diese Beobachtung stimmt aber leider nicht, denn erst im Zusammenspiel zwischen Erzählung und Musik entwickelt sich die Faszination seines Auftritts.

Jedes Stück des dort oben sitzenden Riesen gibt genau die Stimmung der Situation wieder, die er zuvor mit dem Publikum geteilt hat: Als Hubbert von seinen Eltern berichtet und daraufhin den Song spielt, den er nach ihrem Tod geschrieben hat, spürt man die Trauer in jeder Note. Ähnlich verhält es sich auch mit einem anderen Stück, das mehrere verschieden Songstrukturen in sich vereint und diese mal nahtlos, mal abrupt ineinander übergehen lässt. Er schrieb es für seine (Ex-)Frau und die damalige Liebe zu ihr schwingt im Song mit. Hört man das, wird verständlich, dass RM Hubbert vor kurzem vom Label Chemikal Underground gesigned wurde, die schon Mogwai oder die wunderbaren Arab Strap unter ihren Fittichen hatten. Unverständlich ist vielleicht nur, dass es so lange gedauert hat. Auf seinem ersten Album First & Last verarbeitete er seine Krankheit – 2005 wurde eine chronische Depression diagnostiziert – in seiner Kunst und spricht auch hier in Frankfurt ganz offen darüber. Derzeit nimmt der Schotte ein neues Album auf, neben der Tour mit Mogwai, auf dem unzählige Freunde mitarbeiten. Man kann nur gespannt sein.

{image}Umbaupause. Getränk holen, warten, pfeifen und vielleicht einen kleinen Tanz wagen, schon geht es weiter: Mogwai läuten mit White Noise ihren Teil des Abends im Mousonturm ein. Der Song, der Opener auf dem noch taufrischen Album Hardcore Will Never die, But You Will, geht sofort laut los, aber man wundert sich: Könnte es nicht noch lauter sein? Beim letzten Konzert des Fünfers aus Glasgow taten die Ohren zu Beginn mehr weh – aber was nicht ist, kann ja noch werden. Es folgt I’m Jim Morrison, I’m Dead vom letzten Album The Hawk is Howling, das sich immer weiter und weiter hochschraubt, nur um am Ende sehr laut zu sein. Wunderbar, das haben wir vermisst! Der erste richtige Knaller folgt in Form von Killing All the Flies vom 2003er Album Happy Songs for Happy People. Seine – man kann es kaum anders sagen – Schwere, die den Zuhörer im Saal in ein tiefes Loch zu ziehen droht, entwickelt der Song in diesem extremen Ausmaß wohl nur live, wo sich Bass, Gitarre und der verstörende Gesang die Hand geben können.

Zum folgenden Travel is Dangerous kann man viel sagen. So erfreut das Sammlerherz beispielsweise, dass der Song nicht nur auf Mogwais Album Mr. Beast erschien, sondern auch als eigenständige EP veröffentlicht wurde. Deren Cover wiederum ziert ein Hund in einem scheußlichen Kostüm, womit die Scheibe nicht nur musikalisch schön ist, sondern auch ein tolles Geschenk für Tierfreunde sein kann. Aber sparen wir uns der Worte vieler, und lassen lieber den Song in seiner ganzen Schönheit sprechen:

Im Mousonturm zeigt sich bei Travel is Dangerous auch deutlich die Faszination von Mogwais Können, immer und immer wieder wunderschöne Melodien und Strukturen in extreme Lautstärke zu verpacken – schmerzhafter Hörgenuss, wenn man so will.

{image}Dass Rano Pano gespielt wird, im November 2010 als erstes richtiges Lebenszeichen zu Hardcore Will Never Die veröffentlicht, war bereits zuvor abzusehen. Dass es laut wird, auch. Die englische Seite Stereogum.com schrieb damals zur Veröffentlichung, dass der Song Mogwai nicht so dynamisch zeige, wie sie sonst sein könnten. Im Hinblick auf das restliche Album bestätigte sich das dann auch, Rano Pano klang und klingt immernoch ungelenker und epischer als der Rest der neuen Songs; sozusagen wie Manowar, nur ohne Schwerter, Motorräder und den dicken triefenden Schleimbrocken Pathos (ein toller Vergleich). Der Song fasziniert aber trotzdem oder gerade deswegen und passt durch seine Gegensätzlichkeit in das neue Album. Die Livequaliäten kommen da noch dazu, wobei er schlussendlich vielleicht auch nur gespielt wird, um die Fans vor der Bühne wegzublasen.

Barry Burns’ Piano-Spiel beim folgenden Auto Rock, das so wunderbar schmutzig klingt und im Grunde nur durch das vorwärts marschierende Schlagzeug von Martin Bulloch an eine imaginäre Schlachtenfront getragen wird, könnte bitte auch am Letzten Tag gespielt werden. Es würde die ganze Sache wohl nicht einfacher machen, aber ihr wenigstens noch etwas bitter nötigen Stil geben. You're Lionel Richie danach ist mal ruhig, dann wieder so laut, dass man sich um seine Ohren Sorgen machen muss. Live muss man mit dem Song jedoch wirklich Geduld haben, da er sich leider doch etwas in die Länge zieht.

{image}New Paths To Helicon, Pt 1 führt, wie so oft bei Mogwai-Konzerten, die Band in ihre Anfangszeit zurück. Die Show zu dem Titel ist ritualisiert und für den Mogwai-Konzertgänger nichts neues, aber trotzdem jedesmal schön: Stuart Braithwaite und Dominic Aitchison tauschen Plätze und Instrumente, sprich Aitichison nimmt die Gitarre in die Hand, Braithwaite den Bass und los geht die Sache. Der Song steigert sich immer weiter und lässt das Publikum im Sound versinken. Als die Gitarre schließlich in höhere Noise-Gefilde abdriftet und die Lautstärke schmerzhaft wird, scheint der ganze Saal geistig nicht mehr ganz da zu sein. Aber Braithwaites Bass, der am Ende die letzten Basstöne anschlägt und Magengruben erbeben lässt, beendet diesen Zustand rücksichtslos. Ein musikalischer Rausch, den man ganz einfach nacherleben kann, sollte man gerade kein Mogwai-Konzert zur Hand haben:

Daheim Licht dämpfen, den Song reinwerfen und die Musik so laut drehen, dass der Nachbar sich in höchstens zehn Minuten beschweren kommt (Je weiter der nächste Nachbar entfernt ist, umso lauter die Musik). Bass aufdrehen. Bass noch mehr aufdrehen. Bass auf unmenschliche Lautstärke aufdrehen. Ohropax in die Ohren. regioactive.de übernimmt keine Haftung für Hörschäden. Los geht's.

{image}Beendet wird der Hauptteil des Auftritts mit Mexican Grand Prix, das zu den etwas sanfteren Stücken auf Hardcore Will Never Die gehört. Auf Platte weiß der Song zu überzeugen, auch wenn er dem Rockfan vielleicht zu weit dahin geht, wohin Mogwai sich sehr langsam bewegt: In die elektronische Richtung. Live jedenfalls gibt er auch einiges her. So heißt es eigentlich nur noch abwarten, bis er aus der Indiedisco in den Club zieht, damit auch jeder etwas davon hat. Dann folgt Hasenheide, die Zugabe einleitend. Die B-Seite der Singleveröffentlichung von Rano Pano fischt in klassischen Mogwai-Gefilden, im Prinzip das genaue Gegenteil zum gerade gespielten Mexican Grand Prix. Aber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an, und so wird gleich zu George Square Thatcher Death Party übergegangen, dem zweiten "Hit" der Schotten neben Mexican Grand Prix. Einziger Wehrmutstropfen bei diesem Song ist hier in Frankfurt, dass der Gesang nicht gerade gut aus den Boxen kommt, was aber auch an den Ohropax liegen kann.

{image}Das Ende des Abends kommt lang und dreckig, und zwar mit dem Klassiker Mogwai Fear Satan. Der Song ist im Original, als letzter Track vom ersten Album Mogwai Young Team, etwas mehr als 16 Minuten lang. Ob er das auch im Mousonturm ist, kann im Nachhinein nicht mehr ganz genau beantwortet werden, das Zeitgefühl geht nämlich leider endgültig flöten. Eine Mischung aus Freude, Schmerz und protestierenden Ohren nimmt alles weg, man scheint selbst nur Brei zu sein; Knete in den Händen der Schotten. Am Ende, wenn die letzte Note abgeschossen wurde, ist man etwas verdutzt, warum der Sound jetzt weg ist, gleichzeitig aber auch erleichtert. Langsam geht es raus aus dem Mousonturm, jetzt erstmal die Gehörgänge schonen. Achso, und im Hintergrund gab es eine Videoinstallation. War auch schön, aber so richtig konnte man sich nicht darauf konzentrieren. Kann das jemand nachreichen?

Noch mehr Fotos von Mogwais Auftritt im Mousonturm!

Mogwais Setliste in Frankfurt

White Noise | I'm Jim Morrison, I'm Dead | Killing All The Flies| Travel Is Dangerous | San Pedro | Rano Pano | Death Rays | Auto Rock | You're Lionel Richie | Helicon 1 | 2 Rights Make 1 Wrong | Mexican Grand Prix | Zugabe: Hasenheide | George Square Thatcher Death Party | Mogwai Fear Satan

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