Vijay Iyer (live in Mannheim, 2010)

Vijay Iyer (live in Mannheim, 2010) © René Peschel

Der gefeierte Jazzpianist Vijay Iyer begab sich bei seinem Auftritt in der Alten Feuerwache in Mannheim auf Spurensuche in der Welt seiner musikalischen Helden.

Ein Solokonzert bietet mehr als andere Konzerte einen Einblick in die Persönlichkeit eines Künstlers. Die Reduktion auf ein Instrument zwingt den Interpreten zur Rückbesinnung auf ganz grundlegende Elemente seiner Musik. Der Auftritt des amerikanischen Jazzpianisten Vijay Iyer in der Mannheimer Alten Feuerwache offenbarte nicht nur seine musikalischen Einflüsse, sondern verriet auch seine Stärken und Schwächen.

Die Setlist des Konzerts weist zu einem Gutteil Überschneidungen mit seinem diesjährigen Soloalbum auf. Zum Auftakt spielt er die Eigenkomposition "Prelude:Heartpiece", die in Thelonious Monk's Klassiker "Epistrophy" übergeht. Sie vermittelt sein Bemühen, in die Fußstapfen von Monk zu treten, den Iyer als seinen "Helden" bezeichnet. Trotz seiner Bemühungen gelingt sein Versuch, das Stück regelrecht zu sezieren, d. h. in seine rhythmischen, melodischen und harmonischen Bestandteile zu zerlegen, nur teilweise. Vieles wirkt allzu abstrakt und unzugänglich und seine Bemühungen, die Brüche einzuarbeiten, die Monks Spiel so faszinierend machen, führen meistens ins Nirgendwo.

Vijay Iyers Stärken zeigen sich hingegen, wenn er eine Komposition nicht allzu sehr verfremdet oder dekonstruiert, sondern sie als Ausgangspunkt zur Erforschung ihrer musikalischen Struktur benutzt, ohne sich sonderlich weit von ihr zu entfernen. Seine Interpretation von Michael Jacksons Hit "Human Nature" entwickelt einen einnehmenden Fluss, verzichtet nicht auf Ecken und Kanten und behält dennoch die ursprüngliche Kohärenz der Komposition bei. Der nahtlose Übergang in eine sich ebenfalls nahe am Original bewegende Interpretation von Duke Ellingtons "Black And Tan Fantasy" verstärkt den Eindruck noch, dass Iyer gut damit beraten ist, die Musik einfach aus sich herausströmen zu lassen, ohne künstlich wirkende Barrieren zu erzeugen.

Im weiteren Verlauf bezieht sich Vijay Iyer stets auf seine musikalischen Vorbilder, wie John Coltrane, Sun Ra, für den er das dramatische "One For Blount" geschrieben hat oder Andrew Hill, dessen Interpretation von "Darn That Dream", das er selbst mit unverstellter Leidenschaft spielt, sein Leben verändert habe. Das seinen Großeltern gewidmete Rememberance wird dem Anspruch eines Requiem vollauf gerecht, indem es direkt und ohne Umwege Erinnerung und Trauer glaubhaft in den Mittelpunkt stellt.

In diesen unmittelbaren Momenten, wo er auf allen überflüssigen Schnickschnack verzichtet, ist Iyer am besten. Sein durchaus vorhandener Sinn für Dramatik manifestiert sich in tosenden Crescendos, die er aus leisen Anfängen mit einem unnachahmlichen Gespür für dynamische Variationen entwickelt. Sie sorgen dafür, dass das Konzert vielleicht nicht begeistert, aber doch niemals langweilt. Die Zuschauer in der halbgefüllten Feuerwache danken dem Künstler seinen mehr als neunzigminütigen Auftritt mit zufriedenem Applaus.

Alles zum Thema:

vijay iyer