Warpaint (live beim Rolling Stone Weekender 2010)
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Warpaint (live beim Rolling Stone Weekender 2010) Foto: Jan Wölfer © regioactive.de

Der erste Abend des Rolling Stone Weekenders bot Auftritte von Routiniers wie Element Of Crime, Michael Rother und Teenage Fanclub. Ihnen stahlen jedoch die Newcomer des Jahres die Show: Warpaint.

{image}Warpaint, für viele nach der Veröffentlichung ihres Debüts The Fool die Band der Stunde, eröffnen den Konzertreigen im Baltic Festsaal. Anders als im Vorjahr, wo diese Location oft halb oder dreiviertel leer war, herrscht an diesem Freitag ein erwartungsvoller Andrang. Viele Neugierige sind gekommen, um den Auftritt der "Mädchencombo" mitzuerleben. Obwohl eine Band aus jungen, hübschen Frauen eine Seltenheit in der Rockmusik darstellt und aus diesem Grund allein reichlich Aufmerksamkeit erfährt, reicht das keineswegs aus, um das Publikum auch über die Dauer eines Konzerts zu überzeugen. Warpaint gelingt das durch einen sehr speziellen Sound, der auf Shoegazer wie The Jesus And Mary Chain und manche amerikanische Slowcore-Band zurückgreift, aber dennoch höchst eigenständig ist. Angefeuert von einer Rhythmusgruppe, die sowohl Groove als auch Druck beherrscht, verfügen die beiden Gitarristinnen und Leadsängerinnen Emily Kokal und Theresa Wayman über ein Fundament, auf dem sie mit verwobenen Gitarrenmelodien und Sounds einen musikalischen Rausch erzeugen, der durch ihren sphrährenhaften Gesang vollendet wird.

{image}Drummerin Stella Mozgawa hat fast die ganze Zeit ihr Gesicht hinter den nach vorn fallenden Haaren verborgen und verleiht mit ihrem klar akzentuierten Spiel auf einem Minimaldrumset, das mit nur einem Becken und einer Tom auskommt, den Songs das auf der Platte noch fehlende Quäntchen Beat. Wayman singt häufig mit geschlossenen Augen und strahlt dadurch eine faszinierende Anmut inmitten des durchdringenden Klanggewitters aus. Als Warpaint ihr Set mit Elephant beenden, ist der Jubel des Publikums so groß, dass etwaige Wünsche nach einer Zugabe sofort durch demonstratives Abbauen unterbunden werden. Angesichts der Begeistertung der Zuschauer, ist es durchaus vorstellbar, sie demnächst als Headliner auf einem solchen Festival zu erleben. Im weiteren Verlauf des Abends erwähnen sowohl Tame Impala als auch The National (→ Bericht und Fotos von The Nationals Auftritt beim Weekender) den Auftritt der Band – die männlichen Kollegen scheinen also genauso hingerissen zu sein wie die Besucher.

{image}Tame Impala, die Psychedelic-Pop-Band aus Australien, steht im Anschluss auf der Bühne im Rondell. Mit Vox-Verstärkern und Beatles-Bass präsentieren sie sich optisch tief in den Sechzigern verwurzelt und bringen das dort dicht gedrängt stehende Publikum dazu, die Hüften zu schwingen. Ob allerdings ihr etwas zu generischer Classic-Rock auf Dauer ein Erfolgsrezept darstellt, ist zu bezweifeln.

Liebhaber des Britpop der 1990er kommen währenddessen in den Genuss, auf der großen Zeltbühne die in Ehren ergrauten Teenage Fanclub aus Glasgow zu hören. Die Band bietet eine feines Destillat ihrer 25-jährigen Karriere und einige Songs aus dem aktuellen Album Shadows. Wenngleich manche hohen Chorpassagen nicht mehr ganz so schwebend daherkommen wie auf den Originalaufnahmen, ihr feiner UK-Pop verfehlt seine Wirkung auf das zahlreich erschienen Publikum keineswegs.

{image}Katzenjammer, übrigens keine Deutschen, sondern Norweger, bringen im Anschluss daran ausufernden Folkpop auf die Bühne des Baltic-Festsaals: Geigen und Balalaikas feiern ein musikalisches Feuerwerk, während im Rondell der Amerikaner John Grant begleitet von einem weiteren Tastenmann an zwei Keyboards seine anspruchsvollen Tongedichte inszeniert. Grant, sonst als Kopf der Band The Czars unterwegs, spricht fließend Deutsch und schafft es so durch kurzweilige Ansagen und Dialoge dem Publikum seine epischen Lieder nahe zu bringen.

Als letzte Band spielen Element Of Crime auf der großen Zeltbühne. Von der Magie mancher Auftritte in den letzten Jahren ist leider wenig zu spüren. Die Band spielt zu viele Lieder von ihrem mittelmäßigen letzten Album Immer da wo du bist bin ich nie und zu viele englischsprachige Songs aus der Frühphase ihrer Karriere. Außerdem wirken die Musiker müde, erschöpft und daher etwas fahrig. Insbesondere Jakob Ilja, sonst ein Garant für erstklassiges, gediegenes Gitarrenspiel, bleibt an diesem Abend seltsam blass. Auch die Geige, die im Winter noch ein bereicherndes Element war, klingt an manchen Stellen ein wenig neben der Spur. Sven Regener singt routiniert, aber nicht mitreißend und seine Versuche, etwas Stimmung zu erzeugen, indem er die Arme hochreißt und ins Publikum ruft, erscheinen aufgesetzt. Insgesamt kann man sich dem Eindruck nicht erwehren, die innere Harmonie, die Element Of Crime in der Vergangenheit auszeichnete, habe durch das (legitime) Streben nach Veränderung etwas gelitten.

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Zum Abschluss des ersten Tages tritt Michael Rother mit seiner Interpretation der NEU!-Klassiker unter dem Titel Hallogallo 2010 im Baltic Festsaal auf. Dem Publikum steht der Sinn nach einem entspannten musikalischen Trip: Einige Zuschauer haben die Sitzgelegenheiten, Kissen und Stühle vor die Bühne gestellt, andere gleiten tanzend auf dem Marmorfußboden dahin, beseelt vom Willen, ganz in der Musik aufzugehen. Rothers Interpretation der Musik von NEU! fällt allerdings überraschend grobschlächtig aus. Während sein damaliger Partner, der verstorbene Drummer Klaus Dinger elegant und sanft spielte, hämmert Sonic Youth-Drummer Steve Shelley viel zu hart auf das Schlagzeug ein. Durch die sehr flächigen Arrangements mit Bass, Gitarre, Keyboard und Unmengen von Effektgeräten, die Rother hinter einem Kabelmeer verschwinden lassen, verlieren die Stücke von Neu! ihre Wärme und Offenheit und verwandeln sich in Musik, die von einer amerikanischen Post-Rock-Band stammen könnte und kalt und mechanisch wirkt.

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