Impressionen (Reeperbahn Festival, 2010)

Impressionen (Reeperbahn Festival, 2010) © Dirk Brünner

Netzwerktreffen der Musikbranche haben in Deutschland Hochkonjunktur. Die zunehmende Auswirkung des Internets und der damit einhergehende Strukturwandel bringen u.a. neue Vertriebs- und Marketingmodelle hervor, die im Rahmen verschiedener Panels und Expertenforen vorgestellt und diskutiert werden. Die Bandbreite reicht von barcampähnlichen Formaten wie das Future Music Camp der Popakademie in Mannheim und der all2gethernow in Berlin über Messeformate wie die PopUp in Leipzig bis hin zu Kombinationen aus Festival und Kongress wie die c/o pop in Köln und dem Reeperbahn Campus in Hamburg.

{image}Die insgesamt über 30 Panels und Diskussionsforen des Reeperbahn Campus beleuchteten zahlreiche Facetten der Musikindustrie. Neue Marketing-, Kommunikations- und Vertriebsmöglichkeiten über das Internet blieben hierbei ebenso wenig außen vor wie die Diskussion über neue innovative Clubkonzepte. Das Reeperbahn Festival präsentiert sich hierbei stets sehr international und versucht sowohl inhaltlich, als auch musikalisch Brücken zwischen den nordeuropäischen Akteuren zu schlagen. "Creative Industries Meeting Northern Europe" lautet der Slogan, der unmissverständlich den Anspruch der Veranstalter wiedergibt und verdeutlicht, dass es nicht ausschließlich um Musik geht, sondern vielmehr um den Überbau Kreativbranche. Dieser Ansatz wird zusätzlich durch das angegliederte ARTS Festival aufgegriffen. Hierbei handelt es sich um ein ambitioniertes Kunstevent, mit dem laut Veranstalter "unbestrittenen Kern, die Flatstock Europe 5 Poster-Convention".

{image}Das Konzept des Reeperbahn Festivals mit seinen drei Säulen (Festival, Campus, Arts) bietet drei Tage lang ein einzigartig buntes Umfeld, das zum Stöbern, Netzwerken und Abrocken einlädt. Das Festival selbst übertraf hierbei mit seiner Vielfalt von Clubs und Bands musikalisch sicher alle Erwartungen. Hamburg bietet hierfür mit seiner Reeperbahn das ideale Umfeld, da es den Besuchern ermöglicht, ohne große Wege möglichst viele Veranstaltungen zu besuchen. Ein Genuss für Fans von gepflegter Livemusik und Clubkultur.

Leider konnte der Campus hingegen nicht immer derart überzeugen. Während sich viele Veranstaltungen konstruktiv mit neuen Modellen und Visionen auseinandersetzten, verloren sich andere wiederum in schlichten Bestandsaufnahmen, die für Insider leider kaum neues zu bieten hatten. So sahen sich Besucher z.B. weniger mit der Vorstellung und Diskussion neuer Clubkonzepte konfrontiert als vielmehr mit den Erfahrungswerten von Bookern und Clubbetreibern aus dem europäischen Raum. Themen wie Kosten für Securities, Lautstärke in Wohngebieten oder Gage für Bands dominierten in weiten Teilen die Veranstaltung und ließen wenig Platz für innovative konzeptionelle Ansätze. Die Live-Talk-Shows mit MTV-Legende Ray Cokes ließen jedoch schnell über die kleineren Defizite hinwegsehen und rundeten jeden Tag mit britischem Humor und der Vorstellung neuer Bands erstklassig ab.

{image}Die Tatsache, dass es mittlerweile 6-7 vergleichbare Netzwerktreffen in Deutschland gibt, lässt erkennen, dass die Themenfindung sowie die Integration neuer Akteure für alle Veranstalter immer schwerer werden. Besucher mehrerer Veranstaltungen werden unweigerlich immer wieder mit ähnlichen bis gleichen Online-Vertriebsmodellen konfrontiert, hören einmal mehr eine Diskussion über die möglichen Potenziale diverser Web 2.0-Plattformen und verfolgen eine Neuauflage der Debatte über die Notwendigkeit einer Gemareform. Bei dieser veranstaltungsübergreifenden Themenrotation und der überschaubaren Anzahl von Experten trifft der Besucher hierbei nicht selten auf bereits bekannte Gesichter.

Selbstverständlich sind derartige Netzwerktreffen sinnvoll und fördern den Diskurs unter den Teilnehmern. Doch bleibt die Frage, ob die recht übersichtliche Branche tatsächlich so viele Meetings verkraftet. Sicher hat jede Ausgabe ihren eigenen Charme und setzt eigene Akzente. Allerdings bietet nicht einmal die rasante Entwicklung des Internets so viele neue relevante Veränderungen, die den Beobachter keine spürbare inhaltliche Schnittmenge zwischen den Camps und Conventions erkennen lassen.

{image}Als sehr erfrischendes Element des Reeperbahn Campus erwies sich vor diesem Hintergrund der abschließende ABC-Day (Artist's Business Campus), der eine begrüßenswerte Schnittstelle zwischen Branche und Szene schuf und ganz deutlich die in den Mittelpunkt rückte, die die Grundlage dieser Veranstaltungen bilden, nämlich die Kreativen. In der Eröffnungsveranstaltung "Use Your Illusion" wurde in einer Runde von 11 Panelisten der mögliche Weg einer jungen Band ins Profilager "virtuell" beschritten. Vom Erstkontakt mit Clubs bis hin zum eigenen Management wurden die einzelnen Etappen in 105 Minuten veranschaulicht. Das Format des ABC-Day ist zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung. Nicht nur weil hier der Musiker zentrale Figur des Geschehens ist, sondern weil er auch finanziell wesentlich erschwinglicher gestaltet wurde als die ersten beiden Veranstaltungstage.

Die Kombination Festival-Campus-Arts eingebettet in die einzigartige Clublandschaft der Reeperbahn ist abschließend betrachtet eine Bereicherung für die nordeuropäische Musik- und Kreativbranche. Das kreative Umfeld bietet sicher für weitere Ausgaben noch eine Menge Potenzial. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die besagten Branchenmeetings in Köln, Berlin, Leipzig, Mannheim und Hamburg zukünftig inhaltlich positionieren, um die Schnittmengen für Fachbesucher möglichst gering zu halten.

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