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Irie Révoltés © Irie Révoltés

Nicht nur physische Tonträger werden in dieser aufgelegt-Ausgabe besprochen, auch zwei Alben, die man sich kostenlos herunterladen kann, wurde unsere Aufmerksamkeit geschenkt. Was darf's sein: Indierock von kleinmeister oder die bunte Vielfalt von How To Loot Brazil, die Elektro, Punk und Indie zusammenmischen? Wem das nicht reicht, findet hier auch noch Ska, Reggae und Dancehall von Irie Révoltés sowie den Songwriter Philipp Poisel.

Irie Révoltés * kleinmeister * Philipp Poisel * How To Loot Brazil * Brandon Flowers * Herrenmagazin

Irie Révoltés – Mouvement Mondial | ferryhouse

{image}Was lange währt wird endlich gut und das gilt auch für das neue Studioalbum von Irié Revoltés, an dem die Jungs ganze vier Jahre gearbeitet haben. Mouvement Mondial (zu Deutsch: "weltweite Bewegung") heißt das gute Stück und zeigt mal wieder, dass sich die neunköpfige Heidelberger Combo, die übrigens dieses Jahr ihr 10-jähriges Bandbestehen feiert, nicht so einfach in eine Schublade stecken lässt. Von Ska und Reggae über HipHop und Dancehall sind auch auf der dritten Platte nach Les Deux Côtés (2003) und Voyage (2006) zahlreiche Musikstile vertreten, natürlich in altbekannter sozialkritischer Manier mit deutsch-fanzösischen Texten. Schon der erste Song Back Again überzeugt mit fetten Beats und verkündet aufgeheizt und voller Tatendrang: Die fröhlichen Aufständischen sind zurück und haben eine Mission, nämlich gemeinsam für eine bessere Welt kämpfen – sofort und ohne Kompromisse. So werden in Songs wie Travailler, Aufstehn, Antifaschist oder Zeit ist Geld Misstände in mitreißenden und rebellischen Beats offen angeprangert und zum globalen Protest aufgerufen. Egal ob finanzielle Ausbeutung und Minilöhne, Rechte Gewalt und Fremdenfeindlichkeit, Finanzkrise, Krieg oder staatliche Dauerüberwachung – auf dem neuen Album wird kein brisantes Thema ausgelassen. Mit dabei sind außerdem sommerliche Gute-Laune-Songs wie Explosion, Il Est La oder die erste Singleauskopplung Merci (Achtung: Ohrwurmgefahr!), mit der sich Irie Révoltés bei Freunden, Fans und Familie für die langjährige Unterstützung bedanken. Bei der Ballade Tes Yeux ("Deine Augen") beweisen die Heidelberger dann schließlich abermals ihre Vielseitigkeit indem sie zeigen, dass sie durchaus auch ruhigere Töne anschlagen können. Fazit: 17 fette Songs mit tiefgründigen Texten zum Träumen, Nachdenken und Abdancen, mal gerappt, mal gesungen, mal französisch, mal deutsch. Irie Révoltés eben.
Wertung: ++++ (Anna-Luisa Zwick)

 

kleinmeister – kleinmeister | Eigenvertrieb

{image}Sechs Monate dauerten die Arbeiten, bis das selbstbetitelte Debütalbum von kleinmeister am 27. Juni erschien. Jetzt steht die Tour der Band an, Grund genug, sich das Werk genauer anzuschauen. Wer gleich mithören will, kann das Album auf der Homepage der Band herunterladen und selbst entscheiden, was er dafür bezahlen möchte. Möglich ist alles, sogar ein kostenloser Download, schließlich "ist es nur wichtig, dass ihr das Album hört!", so die Band selbst. Und hören sollte man die erste Veröffentlichung der Band nach der ebenfalls selbstbetitelten EP unbedingt. Man glaubt kaum, dass die elf Songs der Platte von einer deutschen Band gemacht wurden, so sehr klingt das Ganze nach Britpop. Die Erklärung hierfür: Sänger Maximilian Spindler verbrachte längere Zeit in Bristol und beschäftigte sich dort viel mit Musik. Zusammen mit seinen Bandkollegen Simon und Johannes entwickelte sich danach daheim in Deutschland nach monatelanger Arbeit der Sound, der auch auf kleinmeister verewigt wurde. Diese beginnt mit dem guten Einstieg Life is a Weekend. Danach treibt die zweite Nummer Common Tuesday direkt nach vorne und glänzt mit netten elektronischen Einspringseln im Sound. Das folgende Jesse Owens überzeugt mit dem Wechsel zwischen leise und laut und der tollen Gitarrenarbeit. Bei Cynical Girls könnte auch Ray Davies in den Strophen seine Finger im Spiel gehabt haben. Überhaupt klingen die Kinks oft durch, ob nun gewollt oder nicht sei dahingestellt. Sympathisch macht es die Platte dadurch nicht weniger, ganz im Gegenteil. Die Ähnlichkeit mit den vier Herren aus London bringt You Are Worse auf den Punkt, schon fast zum verlieben. Der Pigeon Song legt daraufhin eine kleine Verschnaufpause ein, es werden kurz ruhige Töne angeschlagen. Trotzdem sollte man sich nicht einlullen lassen und auf die Sounds im Hintergrund achten. Nostalgia schmeißt die gerade angezogene Handbremse aus dem Album und bereitet uns auf Drink all Day vor – worum es hier geht, darf jeder für sich selbst erraten. Der vorletzte Track End Of November steigt dann gleich mit einer großen Gitarre und Trommelwirbel ein, verdichtet sich im Verlauf immer mehr und wird fast zur Hymne, nur um sofort wieder abzubrechen und in die Strophe einzusteigen. Mit Berlin findet die Platte ihren ruhigen aber würdigen und leider viel zu schnellen Abschluss. Daher nach dem ersten Hören am besten gleich noch einmal anwerfen und sich derweil einen passenden Tourtermin in der Nähe aussuchen.

Wertung: ++++ (Stefan Berndt)

 

Philipp Poisel – Bis nach Toulouse | Grönland

{image}Herbert Grönemayer möchte jungen Songwritern eine Plattform bieten. Auf seinem Label "Grönland" veröffentlichte nun Philipp Poisel sein zweites Album Bis nach Toulouse. Sein Debütalbum Wo fängt dein Himmel an blieb wochenlang in den Top 40 der Charts, jetzt spielt er sich erneut in die Herzen der Hörer und verzückt diese mit einer Mischung aus Melancholie und den Sehnsüchten des Lebens. Das zweite Album des gebürtigen Stuttgarters handelt vom Wechselspiel zwischen innen und außen und genau dieses verarbeitet er in dem gleichnamigen Song. Die Lieder strotzen nur so vor Melancholie und man kann deutlich spüren, wieviel Gefühl Philipp in die Texte und das dazu passende Arrangement gelegt hat. Während beim Debütalbum noch alles etwas akustischer gehalten war, klingen die Stücke auf der aktuellen Platte nach einer kompletten Band. Wie ein roter Faden ziehen sich auch die Themen des 26-Jährigen durch das Album: mit der Vergangenheit oder der Zukunft, mit Liebe oder dem Tod setzt sich Philipp Poisel auseinander. Doch muss man ihm leider entgegen halten, dass er auf seinem neuen Werk keinerlei Experimente wagt, was die Songs nach kurzer Zeit vorhersehbar macht. Immer mit leichter und nuschelnder Stimme besingt er den Herzschmerz, der ihn umgibt. Mit Bis nach Toulouse hat Philipp Poisel ein würdiges Nachfolgealbum abgeliefert, an dem jeder eine Weiterentwicklung feststellen wird. Doch auch diese verhindert nicht die Eintönigkeit seiner Lieder, die neben dem ganzen Herzschmerz leider durchklingt.

Wertung: +++ (Julian Reinecke)

 

How To Loot Brazil – betamarx | Eigenvertrieb

{image}Jede Band, die heutzutage etwas auf sich hält, bedient sich diverser elektronischer Elemente, um ja nicht den Anschluss an die aufgekommene Mode zu verlieren. Wenn man dann bei einer Band liest, sie mache Elektro-Post-Punk, könnte man so ziemlich alles erwarten – von Atari Teenage Riot über The Prodigy bis hin zu Gossip. Doch die Rechnung geht mit dem zweiten Album betamarx von How To Loot Brazil nicht auf. Das Trio aus Soest baut elektronische Mittel in ihre Songs ein, als wären sie ein zusätzliches Instrument: weder drängen sich die Sounds zu sehr auf, noch verschwinden sie im Hintergrund und verkommen dadurch lediglich zu Pop-Elementen. Jeder Song öffnet sein eigenes Kapitel unter der Überschrift der Elektro-Klangwelten, ohne die Platte zu einer zufälligen Geschichtensammlung verkommen zu lassen. This is Progress ist mit einer feinen Synthiemelodie gespickt, die sich keineswegs aufdrängt, und ist einer der vielen tanzbaren Songs von betamarx. In Au revoir le monde oder auch As soon as we are millionaires schafft es die Band, die Elektroelemente und die handgemachten Anteile so zu verschmelzen, dass eine Trennlinie kaum auszumachen ist. Applause for the quitters kommt am Anfang trashig daher, durch den Gesang wird aber sehr schnell ein Britpop-Bezug hergestellt und auch dieser Track zeigt, wie überraschend die Arrangements von How To Loot Brazil sind. Es gibt auch ein paar Nummern, die anfangs gewöhnungsbedürftig sind und sich erst nach mehrmaligem Hören erschließen, z.B. das Hardcore-lastige Swollen head oder die, wie der Name schon verspricht, Disko-Nummer Simple Disko Musik. Mit 8 bit games und Love song for the unloved wird wiederum die gemächlichere Seite der Band gezeigt und ein ruhiger Abschluss gefunden. Das einzige Manko der Platte ist in vielen Stücken die Ähnlichkeit zu Bloc Party (im Titel congo), doch selbst für Gegner des Britpops ist der englische Akzent nur ein weiteres Detail, das sich perfekt ins Gesamtbild einfügt. Alles in allem ist betamarx ein gelungenes Zusammenspiel zwischen Elektro und Gitarre mit vielen tanzbaren Indienummern, aber auch mit der vollen Bandbreite elektronischer Experimente. Und das Beste: betamarx kann man sich kostenlos herunterladen.

Wertung: ++++ (Dorothee Nickel)

 

Brandon Flowers – Flamingo | Universal

{image}Brandon Flowers – der Name wird einigen sicherlich bekannt vorkommen. Als Sänger der Band The Killers machte er sich einen Namen. Nach drei Alben, einem B-Seiten-Album und unzähligen Welttourneen mit den Killers veröffentlichte Brandon Flowers nun sein erstes Soloalbum. Benannt nach einem der ältesten Hotels seiner Heimatstadt Las Vegas liefert er auf Flamingo ein wahres Spektakel an Pop-Perlen ab. Brandon ist stolz auf seine Heimatstadt. Trotzdem beleuchtet er gleich im Eröffnungssong die Schattenseiten der Stadt: In Welcome to Fabulous Las Vegas singt Brandon Flowers von Call Girls und Kokain und im Refrain stellt er dann die Frage, die schon einige gescheiterte Existenzen in Las Vegas zu hören bekamen: "Didn't nobody tell you / the house will always win?". Ingesamt kann man den Sound von Flamingo nicht mit den Werken der Killers vergleichen. Es klingt nicht so Synthielastig und weichgespült wie auf dem letzten Album Day & Age der Killers, aber die Zeiten von knallhartem Indierock à la Somebody told me kommen auch auf Flamingo nicht wieder. Es ist irgendetwas dazwischen, aber ohne sich spezifisch einzuordnen. Das Album besticht durch seine breite Palette an verschiedenen Sounds. So gibt es glattgebügelte Popsongs wie Was It Something I Said oder Magdalena und dann wiederum Songs wie Jilted Lovers & Broken Hearts, die durch ihren Sound mehr an eine 80er Rocknummer erinnern. Das gesamte Album wirkt nicht wie ein Soloalbum eines Künstlers, der einen speziellen Sound beibehalten möchte, sondern vielmehr wie ein Experiment aus verschiedenen Genres, in denen sich Brandon Flowers ausprobieren wollte. Den Hörern, die nach Day & Age den Killers abgeschworen haben, kann man das Soloalbum von Brandon Flowers durchaus ans Herz legen. Doch sollte man sich wohl damit abfinden, dass Brandon nun komplett im Mainstream angekommen ist und der Pop – was man durch Lieder wie Human schon in der Vergangenheit gehört hat – den Indierock-Sound, der ihn und die Killers damals so besonders machte, verdrängt hat.

Wertung: ++++ (Julian Reinecke)

 

Herrenmagazin – Das wird alles einmal dir gehören | Rent A Record Company

{image}Vor zwei Jahren machte es "Peng" in der deutschen Musiklandschaft und auf einmal hörte man musikalische Größen wie Markus Wiebusch (Kettcar) oder Jan Müller (Tocotronic) von einer Band schwärmen, die kaum jemand kannte. Herrenmagazin heißen sie und kommen aus Hamburg. Ihr Debütalbum Atzelgift wurde von Kritikern und Fans fast durchweg positiv aufgenommen. Nach einer langen Tour und Supportshows – unter anderem für Kettcar und Madsen – melden sich die Hamburger mit ihrem neuen Album Das wird alles einmal dir gehören zurück. Herrenmagazin haben nach ihrem grandiosen Erstlingswerk hohe Erwartungen von Fans, Kritikern und auch sich selbst zu erfüllen. Aber die Hamburger sind immer noch die Alten, was man gleich im Opener In den dunkelsten Stunden hört. "Und ich rette mich über Berge / Seh meinen Träumen hinterher / Es gibt keinen Platz auf der Erde / Wo ich nicht gern wär" singt Sänger Deniz Jaspersen. Ein typischer Song von Herrenmagazin. Wie gewohnt lassen die Texte viel Freiraum für Interpretationen. Keine Synthis, keine Samples, kein übertriebenes Orchester – der Herrenmagazin-Sound ist auf das Minimalste beschränkt, aber ohne eintönig zu wirken. Nachdem sie sich auf ihrem Debüt Nagel von Muff Potter dazuholten, haben sie diesmal niemand Geringeren als Gisbert zu Knyphausen für das Stück Alle sind so als Unterstützung gewonnen. Das wird alles einmal dir gehören ist ein würdiger Nachfolger, der kaum Schwächen offenbart und den großen Musikproduzenten zeigt, wie schön Musik sein kann, wenn man die großen Samples weglässt.

Wertung: +++++ (Julian Reinecke)

 

So werten wir:

+

schnell auf ebay damit, bevor es jemand merkt

++

hier mangelt es an so einigen Ecken und Enden

+++

das kann sich wirklich hören lassen

++++

ein TOP-Album

+++++

definitiv ein "must have"