Panteón Rococó (live in Mannheim, 2010)

Panteón Rococó (live in Mannheim, 2010) © Maciej Staszkiewicz

"Eine andere Welt ist möglich." Der bekannte globalisierungskritische Spruch stammt aus Mexiko, dem Heimatland der neunköpfigen Ska-Band Panteón Rococó. Anfang Juni legte die politische Band auf dem 100-jährigen Vereinsjubiläum ihres alternativen Lieblingsfußballclubs St. Pauli Feuer. Die Alte Feuerwache in Mannheim bombardierten sie mit den Songs des neuen Albums "Ejército de Paz". Das Friedensheer alias Panteón Rococó erweckte mit ihren Liedern die deutschen aufständischen Gene zum Leben. Die Musik wurde zur Lingua Franka der revolutionären Bewegungen.

{image}Panteón Rococó ist eine politische Band. Das passt. Denn vor unseren Augen formt sich gerade ein neues politisches Gebilde: "Empire". Wie es aussehen wird, weiß niemand. Aber es wächst unaufhaltsam. Einige Menschen sind mit der Richtung, die es einschlägt, nicht zufrieden. Sie suchen nach Alternativen und schreien nach Veränderung. Eine andere Welt muss möglich sein. So wie in Chiapas, Mexiko. Gravierende soziale Probleme wurden ignoriert und das Mitbestimmungsrecht der Indios übergangen. Die Guerillagruppe Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN), denen Panteón Rococó politisch nahe steht, besetzte die mexikanische Region 1994, an dem Tag als Mexiko in die NAFTA eintrat. Frei nach dem Motto "No seas neoliberal […] Se la barricada que a esto ponga fin" (remoto control). Seither ist Chiapas ein autonomes Gebiet.

Musik als Lingua Franka der alternativen Bewegungen
{image}Antonio Negri, der Gott der linken Globalisierungskritiker, schreibt in "Empire” über die Aufstände in Chiapas, in Los Angeles und Seoul: "the situations all seem utterly particular, but in fact they all directly attack the global order of Empire and seek a real alternative. [An] obstacle […]  is that there is no common language of struggles that could "translate” the particular language of each into a cosmopolitan language.” Da hat Negri wohl etwas vergessen: Musik. Diese Sprache versteht jeder. Denn sie trifft die Ebene des Universalen: das Gefühl. Sänger Frontmann Luis Román Ibarra alias Dr. Shenka drückt das so aus: "Die Verhältnisse sind schwieriger geworden: Es werden harte Drogen konsumiert, bei Konflikten wird schneller zu Waffe gegriffen und Kids [...]denken, dass es am einfachsten ist, zu stehlen. In diesem Kontext kann die Musik eine wichtige Rolle spielen, Alternativen aufzeigen, Projekte anschieben, die Leute sensibilisieren. Das ist Teil unserer Philosophie als Panteón Rococó."(Interview in der taz) Die alternative Botschaft hat ihren Weg in das Hörergehirn gefunden. Panteón Rococó haben die Multitude mit ihrer Musik unter Strom gestellt.

Panteon Rococo machen den Mund auf
{image}"Representan intereses personales no al pueblo." Die Interessen des Volkes werden hinten angestellt. Wo hierzulande wir Hanswürste uns zu oft in schweigendem Gehorsam ducken, scheuen sich Panteón Rococó nicht davor, die Verantwortlichen der sozialen Ungerechtigkeit laut als das zu bezeichnen, was sie sind: Schweine. Cerdoz ist eines der Lieder des neuen Werkes Ejército de Paz. Es wird im September dieses Jahres in Deutschland erhältlich sein. Die Energie eines Livekonzertes kann leider niemand auf Platte pressen. Live muss die Band sehen, wer wissen will, was Revolution auf der Bühne heißt. "Mentira, mentira, la misma porquería” anklagend und wütend schallte der Ärger über die Lügen der sogenannten Volksvertreter ins Mikro. 23 zeigt das Latinobarómetro, das die Zufriedenheit mit der Demokratie in Lateinamerika misst, für Mexiko an. Das ist eine Zahl, die sich lesen und einordnen lässt. Die demokratische Konsolidierung ist wohl noch nicht abgeschlossen. Aber die Verstandesübung gewinnt erst durch das Hören des anzitierten Liedes an Tiefe: Democracia fecal. Denn hier fühlt der Verstandesmensch die Wut über diejenigen Politiker, die Missstände mit Glück erkannt haben, sie aber kaum verändern. Die politische Situation wurde emotional greifbar, als Dr. Shenka leidenschaftlich über sein Land rappte. Mit einer Handbewegung ahmte der Erzähler ein laberndes Maul nach; die Politiker reden nur. In Wirklichkeit schieben sich Militär, Justiz und Regierende gegenseitig die Gelder in die Taschen. "By the people for the people" – das demokratische Grundverständnis verkommt zur Menschenfänger-Lüge.

Die Erschütterung führte in Mexiko zur revolutionären Explosion – verpackt in Musik wird sie für alle zugänglich
{image}Diese Erkenntnis führte jedoch nicht zu Resignation, Langeweile oder Depression, die einen das höchste Amt im Staat hinschmeißen lässt. Nein, daraus ist ein impulsives Gefühl entstanden, das nach Veränderung schreit. Auch wir zerrissenen Wohlstandskinder verstehen diese Sprache – haben wir nicht trotz Konsumrausch immer im Hinterkopf, dass die Verteilung des Reichtums nicht stimmt? Panteón Rococó kitzelten dieses Gefühl, das mal unter der Oberfläche schlummert, mal den Schlaf raubt, aus ihrem buntgemischten Publikum heraus. Die Feuerwache tanzte sich die zwei Seelen aus dem Leib. Ob Jung oder Alt, im Anzug, mit Jogginghose und auch mit nacktem Oberkörper – zumindest auf der Bühne – die menschliche Vielfalt vereinte sich in einem "dance in".

Wut und Lebensfreude vereint
{image}"No bajes la cabeza ante la desesperanza.” Verzweiflung darf nicht in Hoffnungslosigkeit münden. Panteón Rococó, die von einem Kontinent kommen, in dem 24% der Menschen in Slums leben, verknüpfen die tiefsitzende Wut mit Lebensfreude. Merengue, Cumbia, Salsa; Rhythmen prallten ineinander und brachten das geballte Lebensgefühl Lateinamerikas nach Deutschland. Sacúde el estress. Macht euch mal locker. La vida es muy corta y se vive mejor. Das Leben ist kurz und so lebt sich’s besser. Auch und gerade in der Formierung von Empire. Denn es muss Kraft für Widerstand generiert werden. "The processes of globalization would not exist or would come to halt if they were not continually both frustrated and driven by these explosions of the multitude that touch immediately on the highest levels of imperial power." Während unterschiedliche anarchistische Flügel sich unter griechischen Olivenbäumen streiten: a) sicherheitshalber einfach mal den kompletten Staat zerstören, nein b) die ungerechte Ordnung mit einem weitsichtigen Plan in der Tasche stürzen, brachten Panteón Rococó mittels Musik die Multitude ohne phlegmatisches Zögern zur Explosion. Die Band gab bereits ihre vierte Zugabe. Unaufhörlich schrie die Multitude "otra, otra".

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