MELT! 2009: Delphic (Ferropolis, 2009)
Foto: René Peschel

MELT! 2009: Delphic (Ferropolis, 2009) Foto: René Peschel © regioactive.de

"Acolyte is on kissing terms with magnificence”, beurteilte Simon Price in The Independent das im Januar 2010 veröffentlichte Debütalbum von Delphic. Auf der BBC Soundliste 2010, das Newcomer listet, stand das New-Rave-Electro-Indie-Alternative Trio aus der New Order Heimatstadt Manchester im Januar auf Platz drei. Grund genug, um sich ein Live-Bild von den Dreien einzufangen und zu hören was dran ist an den Gerüchten.

{image}Keyboarder Richard Boardman und Gittarist Matt Cocksedge langweilte die reine Indie-Injektion. Vor fünf Jahren verließen die beiden die Indie-Band Snowfight in the City Centre, knallten die Radiohead-Platten in die Ecke und zogen sich ein bisschen mehr Chemical Brothers rein. Und New Order. Schließlich haben sie Indie durch Synthie aufregender gestaltet. Nun soll durch Delphic der Dancerock-Style endlich wieder neu belebt worden sein. Aber sagte man das nicht schon von Bloc Party, mit denen sie übrigens im Sommer 2009 tourten. Also doch nicht so innovativ? Der Einfluss der Berliner Techno-Szene soll auch hörbar sein und daher kommen, dass DJ Ewan Pearson (Remixes für The Chemical Brothers, The Rapture, Ladytron, Depeche Mode) das Album in der deutschen Hauptstadt produziert hat.

don’t believe the hype

{image}Die Mischung von Organischem und Elektronischem soll Delphic so besonders machen. Die organischen Elemente allerdings gingen live ziemlich unter. Und nicht nur, weil der Sound suboptimal eingestellt war, die eigentlich leichte Stimme nicht mehr so fein wirkte und die wummernden Bässe einen Beinahe-Hörsturz verursachten. Live wird deutlich: Die Gitarre, der Gesang, sie sind Teil des musikalischen Konzepts. Ein kleiner Teil. Ein Landstrich in einer großen Moog-Synthesizer-Akai-Welt. Wer markante Instrumentalparts erwartet, wird enttäuscht sein. "We're a proper dance band but we do it with guitars and drums. Bands like Klaxons say they make dance music but they're just an indie band who use a few keyboards and samples." Matts Urteil über seine Kitsuné-Labelkollegen, kann man auch umgekehrt anwenden. Delphic sind einfach eine (weitere) Elektroband, die Gitarre, Bass und Schlagzeug integriert.

Über die Texte der Band heißt es, sie seien simpel, entfalteten aber im Kontext des Albums ihre existenzielle Tiefgründigkeit. Sehr raffiniert. Vielleicht auch wieder mal ein Fall von Überinterpretation. Oder steckt etwa in "the less you expect, the less you get" im Zusammenhang mit "I wouldn’t stop for red lights, red lights, red lights, red lights, red lights….." eine existenzielle Offenbarung? Die Band gibt sich insgesamt nicht grade von ihrer Shakespeare-Seite. Aber in einer Gesellschaft, in der Britney Spears’ I’m Not A Girl, Not Yet A Woman als Ausdruck einer existenziellen Krise einer jungen Frau in einer postpubertären problematischen Identifikationsphase vermarktet wird, sinkt das Existenziell-Etikett ohnehin in das Loch der Bedeutungslosigkeit.

just move your body

{image}Doch wenn man bedenkt, wie die Band Delphic, laut Selbstaussage, ihre Karriere begann, fängt das Holz noch Feuer: Mit illegalen Raves. Und dann geht das Konzept auch auf. "We see it as our job to put dance music back on the map. It's not the sort of music you expect to hear in a normal gigging venue - we want to make music for massive warehouse parties." Passend zu diesem Selbstanspruch hob James Cook, Sänger und Bassist, ähnlich wie Tom Rowlands des öfteren in Rave-Manier seine Hand in die Luft. Im Gegensatz zu den Chemical Brothers bei ihren Liveshows gab sich Cook aber mit einem "Guten Abend" und zwei "Dankeschön" etwas redelustiger. Trotz der energetischen Musik tanzte während des Konzerts nur ein kleiner Teil vor der Bühne, so dass insgesamt keine vereinte Rave-Stimmung im Karlstorbahnhof aufkommen wollte. Vielleicht waren einige etwas genervt, weil die Jungs aus Manchester eine Stunde auf sich hatten warten lassen. Da ist die Lust seinen Körper hingeben zu wollen womöglich vergangen. Nach den sieben Songs allerdings, war der Großteil der Hörer dann doch heiß gelaufen und forderte eine Zugabe. Mit Remain und Acolyte, bei dem einen der Bass nach den meditativen Brüchen noch mehr durchschüttelte, ließ Delphic zum Schluss noch mal den Hitzepegel steigen und brachte mehr Bewegung in die Crowd. 

Fazit: Für ein Delphic-Konzert das schwarze Pailletenkleid und die pinke Strumpfhose aus dem Schrank holen, einige Gläser Sprizz tanken und die Reise nach Delphi kann beginnen. Noch was: das Knicklicht nicht vergessen. Vielleicht erscheint einem während des ekstatischen Tanzens wieder die Python, die einem die Ravekiste als zutiefst tiefgründige Innovation verkaufen wollte. In diesem Fall einfach mental den zischenden Drachenkopf abhacken und weiter tanzen als wäre nichts geschehen. Let’s Rave On! Wer das Ganze so angeht, wird nassgeschwitzt und glücklich nach Hause wanken.

 

Delphic Setlist:

Clarion Call | Doubt-Red Lights | Submission | Halcyon | This Monumentary | Counterpoint
Zugabe: Remain-Acolyte

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