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"Das Entsetzen hat kein Ende"

1145 Kulturschaffende (u.a. Peter Maffay, Helene Fischer) kritisieren deutsche Urheberrechtsreform

News von Backstage PRO
veröffentlicht am 28.04.2021

urheberrecht

1145 Kulturschaffende (u.a. Peter Maffay, Helene Fischer) kritisieren deutsche Urheberrechtsreform

Peter Maffay ist Initiator des offenen Briefes zur DSM-Richtlinie. © Mathias Utz

1145 deutsche Künstlerinnen und Künstler, darunter bekannte Stars wie der Initiator Peter Maffay, Helene Fischer oder Herbert Grönemeyer, kritisieren in einem offenen Brief an den Bundestag die deutsche Umsetzung der Urheberrechtsreform.

Der offene Brief, der neben Stars wie KitschKrieg, Tim Bendzko oder Rammstein auch von unbekannteren Künstler/innen und Acts wie Agitation Free, Moritz Reichelt (Der Plan) oder Bettina Flörchinger (Östro 430) unterzeichnet wurde, steht unter dem Motto "Das Entsetzen hat kein Ende".

Die Kreativen monieren die deutsche Ausgestaltung der europäischen Urheberrechtsreform (der sogenannten DSM-Richtlinie), und schließen sich damit der Kritik der Verbände der deutschen Musikwirtschaft an.

Respektlos

Es handelt sich bereits um den zweiten offenen Brief dieser Art an die Abgeordneten des Bundestages – am 26. November 2020 wandten sich schon einmal 657 Musikerinnen, Musiker und Bands mit dem Appell "Spielt das Urheberrecht nicht gegen uns aus!" an die Politik.

Da dieser Brief jedoch keine Reaktionen hervorgerufen habe und der "geforderte Respekt" für die Arbeit der Beteiligten ausgeblieben sei, wollen sich die Musikschaffenden nun mit fast der doppelten Anzahl Unterzeichner/innen erneut Gehör verschaffen.

Kein Dialog mit relevanten Parteien

Die Unterzeichnenden kritisieren in ihrem Brief den fehlenden Dialog der Politik mit den Kunstschaffenden – und das, wo die Umsetzung der DSM-Richtlinie für die Künstler/innen den Schutz ihrer Rechte im digitalen Raum bedeute. Dabei sei dieser gerade in Zeiten der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden, existenziellen Bedrohung für viele dringlicher denn je.

Dennoch würden in den Expertenanhörungen vor allem "vermeintliche Netz-Expert/innen" zu Wort kommen, die "realitätsferne Zensurszenarien" spinnen würden und den Eindruck erweckten, "das Netz sei aktuell 'frei' und erst mit der Umsetzung der DSM-Richtlinie stünde die Sintflut der 'Uploadfilter' bevor."

Dabei gehöre für die Unterzeichnenden die Plattformnutzung und die "Probleme mit Over- und Underblocking" zum Tagesgeschäft; als "unmittelbare Zielgruppe weltweiter Zensurbestrebungen" seien die Künstzler/innen wiederum sensibel beim Schutz von Meinungs- und Kunstfreiheit. Es sei ein Schlag ins Gesicht, wenn Netzaktivist/innen mit Schlagworten das Freiheitsnarrativ kapern, gegen die Plattformregulierung wie in der DSM-Richtlinie ins Feld führen und damit mehr Gehör finden.

Noch immer kein Level-Playing-Field

Als zentrales Problem der deutschen Ausgestaltung der DSM-Richtlinie beschreiben die Verfasserinnen und Verfasser des offenen Briefes die Absicht, "individuelle urheberrechtliche Ansprüche sowie echte Lizenzverträge auf Augenhöhe zu vereiteln".

Hier findet ihr alle Hintergrundinformationen zur aktuellen Debatte!

Statt, dass die Richtlinie – entsprechend der EU-Vorlage – ein Level-Playing-Field für den bestehenden Lizenzmarkt schaffe, schränke der "deutsche Sonderweg" den Lizenzmarkt mit dem Argument der Freiheit maximal ein. Somit diene die Richtlinie dann in erster Linie dem Schutz der Geschäftsmodelle globaler Uploadplattformen, während die bestehenden Vertriebswege der  Kreativen "torpediert" würden. 

Verantwortung ist gefordert

Zum Schutz ihrer Rechte fordern die Kreativschaffenden daher die deutsche Politik auf, die Uploadplattformen, die mit den Werken der Künstlerinnen und Künstler erhebliche Gewinne erzielten, endlich "effektiv in die Verantwortung und Haftung" zu nehmen. Im Einzelnen gehören zu den Forderungen der Unterzeichnenden:

  • die Rücknahme der quantitativen Vermutungsregeln zu gesetzlich erlaubten Nutzungen – für die Kreativen ein "Einfallstor für systematische Urheberrechtsverletzungen"
  • den Beibehalt des seit Jahrzehnten im Urheberrechtsgesetz verankerten Schutzes von Melodien, unabhängig von der Länge der Melodie.
  • die Rücknahme der Einschränkungen direkter Lizenzierung durch mittelbare Rechteinhaber/innen sowie der zwingenden Vergütung über Verwertungsgesellschaften trotz bestehender Lizenz- und Vertriebsketten.
  • einen vollständigen, uneingeschränkten Auskunftsanspruch über Nutzungen, von denen die Plattformen unter verhältnismäßigem Aufwand Kenntnis erlangen können.
  • eine Regelung der Pastiche-Schranke, die eine selbstverständliche Subsumierbarkeit von Remixen und Sampling ausschließt.

Abschließend heißt es, dass die Abstimmung über den Gesetzentwurf für die Musiker/innen und deren berufliche Zukunft die Entscheidung im Wahljahr 2021 sei. Die 1145 unterzeichnenden Künstler/innen forderten daher die Mitglieder des Bundestages auf, "nicht weiter in das verfassungsrechtlich geschützte geistige Eigentum einzugreifen und das Urheberrecht nicht gegen die Künstler/innen auszuspielen!"

Positives Feedback aus der Musikindustrie 

Nach der Veröffentlichung des Briefes erhielten die Unterzeichnenden positives Feedback aus der Branche. So begrüßte das Forum Musikwirtschaft – der Schulterschluss von Vertretern der Verbände DMV, BVMI, VUT, SOMM, BDKV und LiveKomm – die Aktion.

Die Musikerinnen und Musiker unterstrichen nicht nur (erneut) die Mängel des deutschen Gesetzentwurfes, sondern offenbarten auch, wie sehr die klar adressierten Sorgen der Branche seit Monaten in der Debatte negiert würden. Mark Chung, Vorstandsvorsitzender des Verbandes unabhängiger Musikunternehmer*innen (VUT), kommentiert: 

"Wenn man den Netzpolitiker*innen der SPD und Julia Reda, die auf europäischer Ebene mit allen Mitteln gegen die Richtlinie gekämpft, aber im demokratischen Prozess verloren haben, in Deutschland die Federführung bei der Umsetzung derselben Richtlinie anvertraut, ist der jetzige Gesetzentwurf das Ergebnis."

Für Chung sei daher die zunehmende Wut der Musikerinnen und Musiker absolut verständlich: Statt ihre Position zu verbessern, bewirkt die Richtlinie in der Praxis das Gegenteil. Für Dr. Florian Drücke, Vorstandsvorsitzender Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI), stellt die Richtlinie gar eine Teilentmündigung der Rechteinhaberinnen und -inhaber dar, da ihnen die Kontrolle über entscheidende Teile ihrer Inhalte entzogen würde. 

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