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Max und Verena Freudenberg von der Dankbar Mannheim mit Redakteurin Annika Breutmann (2016) © Daniel Nagel

Ende Juli 2016 feierten Max und Verena Freudenberg mit über siebzig Gästen in den Mannheimer Quadraten die Eröffnung der Dankbar. Nach dem Pay-what-you-want-Prinzip zahlt dort jeder soviel er will und kann. Neben Getränken und einer wechselnden Speisekarte bieten die jüngst gebackenen Barbetreiber Künstlern sämtlicher Couleur eine Bühne. Konzerte, Live-Tattoos, Gemeinschaftsgemälde – die Palette ist breit und eint ein Publikum, das sich von einem Konzept erfrischen lässt, das so anders ist.

Die Sonne gibt ihr bestes im Mannheimer Spätsommer. Wir sitzen in breiten Sesseln, anthrazit, Rattanoptik. Vor uns auf dem Tisch wärmen sich zwei Club Mate in den letzten heißen Sonnenstrahlen dieses Jahres. Kleine Tropfen ergeben sich der Schwerkraft und schieben sich langsam am Flaschenhals entlang nach unten. Die Polster sind weich und gemütlich. Ockergelb und orangene Segeltücher flattern leise in der lauen Brise, die durch den Innenhof von G7, 22 zieht.

Wir sind in der Dankbar angekommen – und es fühlt sich ein bisschen wie Urlaub an. Der Innenhof, in dem Max und Verena Freudenberg ihre Bar eröffneten, ist überraschend großzügig. Frisch getünchte Fassaden mit sandsteinumrandeten Fenstern auf der einen Seite, ein kleiner Garten auf der gegenüberliegenden Seite, in dem ein junger Hund ungeduldig zappelt.

Jeder zahlt was er will

In G7 tut sich was. Mitten in den Quadraten, neben "Wir kaufen Gold" und Spielbars, die so wirken, als schluckten sie neben dem Klimpergeld noch die gesamte Dunkelheit des Innenraumes auf. In Mannheim, dieser Stadt, umrandetet von Neckar und Rhein, brach liegend zwischen Odenwald und Pfalz, in der alles eng nebeneinander zu liegen scheint, die Dönerbuden, der Schnellchinese, der Italiener, der Engelhorn, das reichhaltige Shoppingangebot, die vielfältige Kultur, die großen Firmen, die sogenannten Problemviertel, die lärmenden, durch die Stadt rasenden Hitzköpfe in ihren fetten Autos.

Nur drei Quadrate vom REM-Museum entfernt haben Max und Verena die Dankbar eröffnet. Für Furore sorgt die Bar mit einem Prinzip, das gestandenen Ökonomen vermutlich die Zehnnägel aufrollen lässt: die Barbesitzer geben die Preissouveränität an den Kunden ab: Jeder zahlt, was er will. Was sich verrückt anhört funktioniert. Die Mannheimer haben beschlossen, nach Abzug von Gehalt und Grundkosten den Erlös zu spenden. 1.595 Euro kamen drei Projekten der Stadt zugute – und das im Eröffnungsmonat. "Wir haben ein Konzept erarbeitet, das probieren wir jetzt aus", sagt Max und lacht breit.

Die Weltreise

"Ursprünglich wollten wir auf Weltreise gehen", sagt Max und lehnt sich zurück. Die Euphorie dessen, was dann passierte, steht ihm noch im Gesicht geschrieben. Als beiden klar wurde, dass sie nicht wegrennen wollen, suchten sie nach Alternativen zu einem System, das sie ablehnen. Zwei Monate habe das gedauert, erinnert sich Max. Dann formte sich langsam die Idee zur dankbar und die Weltreise wurde erst einmal verschoben.

Dann fanden sie die Idee: Kultur anzubieten, ohne den Preis zu definieren. Sich von den Zwängen aus immer-mehr-immer-weiter befreien, nur von dem Leben, was man zum Leben braucht. Und sich dabei vor allem dem gegenüberstellen, was absolut unabsehbar ist, nämlich der Frage, wie so ein Konzept funktionieren kann. Wen es anzieht. Ob es funktionieren wird. Die beiden wollten genau das wissen, also drehten sie um und gründeten die Dankbar.

Ein bis zwei Anfragen pro Tag

"Kaffee gibt’s heute leider nicht", erklärt Max. Die Maschine sei gestern ausgefallen. Morgen aber wieder. Er steht hinter der Theke, ein bisschen so, als sei es sein Wohnzimmer. Eine Tafel an der Wand kündigt die nächsten Events an. In der Ecke steht ein Klavier, man weiß ja nie wer kommt. Eine zweite Tafel, die hinter seinem Rücken an der Wand hängt, gibt die Speise- und Getränkekarte wieder: heute belegte Brote, auch mal Chili oder Nudelgerichte, dazu alles was den Hipsterdurst löscht: von Club Mate zu Bier, Wein, normalerweise auch Kaffee.

"Wir erhalten momentan ein bis zwei Anfragen am Tag", so Max. Der Erfolg bestätigt ihre Idee, Künstlern eine Plattform zu geben. Wie hart das manchmal sein kann, weiß er selbst am besten, er spielt in einer Band. Bad Image Company wirken ein bisschen so, wie der rüpelhafte Gegenpol zum Gründertum. Doch auch hier scheint sich die Idee auszuzahlen, Ende Oktober erscheint die erste Platte.

Sie kommen aus Stuttgart oder aus dem tiefsten Odenwald

Die Kundschaft ist vielfältig: Kollegen, auf einen Drink nach der Arbeit. Mittdreißiger, die, auf der Suche nach etwas Neuem in der Dankbar landen. Geschäftsleute, junge, ältere, Mütter mit Baby auf dem Arm, die sich nachmittags noch kurz mit anderen Gleichgesinnten treffen wollen, bevor jeder wieder in seinen Alltag schlüpft. Neulich kam jemand sogar aus Stuttgart, er hatte das Video auf der Webseite gesehen. Ein anderer, so um die fünfzig, kam vom Wandern mit drei Damen im Schlepptau, sie wollten sich mal die Dankbar anschauen.

Nachdem Verena und Max ein Konzept erarbeiteten, einen Businessplan vorlegten, entwarf Verena das Logo, das gesamte Design-Konzept. Die Webseite gibt es wieder, die Stimmung in der Dankbar, die Farbwelt, der Leitgedanke, alles ist aus einer Hand, stimmig und einladend. Max griff zur Handsäge und zimmerte die Bühne. Er hängte Glühbirnen an langen Stromkabeln auf, wie man es jetzt überall dort sieht, wo etwas Neues mit ruhigem Design entsteht.

Über 250 Likes in drei Tagen

Wofür manche mühselig täglich Post um Post ins Netz stellen, um sich mühsam über die 200-Likes Marke zu hieven, schaffen Verena und Max mit der Dankbar in nur drei Tagen. Ein Freund machte ein Video, die Bar war aufgebaut, die Webseite und das Logo standen. Mittlerweile tummeln sich über zweitausend Fans auf der Facebookseite. Das Publikum kommt und zahlt.

"Klar ist auch mal jemand dabei, der nur wenig gibt, oder sogar nichts", meint Max. Aber andere bestellen zwei Getränke und werfen zwanzig Euro ein. Man zahlt für das Erlebnis, für die Atmosphäre. Erleichtert, niemanden vor sich zu haben, der sich die Hacken abläuft, auf mieses Trinkgeld hofft und die Minuten bis zum Feierabend runter zählt.

Das Gute im Menschen

Fast schon naiv steht in der heutigen Zeit Max' Satz im Raum: ich glaube an das Gute im Menschen. Die Plexiglasbox an der Theke ist die transparente Kasse des Unternehmens. Jeder schmeißt rein, was es ihm wert ist. Man sieht sofort, wie ein Abend läuft. Bisher lief es atemberaubend gut: das Publikum war da, das Fernsehen kam vorbei, das Radio, sie wurden angefragt für eine Charity-Quizzshow im Öffentlich-Rechtlichen.

Sie arbeiteten 72 Stunden die Woche und blicken auf den unerwarteten Erfolg wie ein Surfer am Scheitelpunkt der Welle: die Arbeit hat sich gelohnt, jetzt beginnt der Spaß, unten kommt man früh genug an – und dann? Wieder ins offene Meer raus und weiter machen.

Der Winter steht vor der Tür

Wie es in den kommenden Wochen und Monaten weiter gehen wird, wissen die beiden noch nicht. Der Spätsommer ist mehr als gnädig. Perfektes Wetter, um durch die Stadt zu schlendern und mal die neue Bar, von der alle von G7 bis zum Marktplatz reden, auszuprobieren. Pay-what-you-want stellt dem System das eigene Funktionieren gegenüber und wartet, was passiert.

Das Konzept, den Preis frei auszuhandeln, ist nicht ganz neu. In den USA wagten sich Kinos und Kultureinrichtungen aufs Glatteis. Sie nehmen ein hohes Risiko in Kauf und erhalten mit voller Garantie eines: die direkte Rückmeldung des Konsumenten. Ob das in Mannheim auch funktionieren kann, ist sicherlich zu früh gesagt. Doch an manchen Tagen scheint vieles möglich, in Mannheim, dieser Stadt.