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© Dennis Krieger

Der Jungbusch hat noch mehr zu bieten als die Popakademie, den Musikpark und seine vielfältige Kneipenlandschaft. Etwas verborgen in einem Hinterhof, gegenüber des neuen Kreativwirtschaftszentrums C-HUB hat das zeitraumexit seinen Platz gefunden. Es handelt sich um ein Haus für ungewöhnliche, innovative und junge Kunst jeder Art. Es zeigt Theater, Performances, Filmkunst, Fotografie und Malerei und bereichert Mannheims neues Kultviertel damit wesentlich.

Seit geraumer Zeit bemühen wir uns, euch Unseren Jungbusch vorzustellen. Die bisherigen Beiträge widmeten sich vornehmlich der kulinarischen- und der Kneipenlandschaft des neuen Mannheimer Szenenviertels, da sich der Jungbusch vor allem auch zur Kulturmeile gemausert hat, wird es höchste Zeit, diese Entwicklung etwas näher zu betrachten.

Neue künstlerische Ansätze für Mannheim

Zwar tut sich der Jungbusch durch die Popakademie und den Musikpark in erster Linie musikalisch hervor, das dortige kulturelle Leben hat aber noch weitaus mehr zu bieten. Seit 2007 ist das Viertel Heimat des Künstlerhauses zeitraumexit, das zeitgenössische Formen der Bildenden und Darstellenden Kunst präsentiert.

Die Geschichte des zeitraumexit beginnt 2001 in der Neckarstadt West in Mannheim, als sich vier Künstler und Künstlerinnen aus den Bereichen Theater, Bildende Kunst und Performance mit dem Ziel zusammenschlossen, Spielarten zeitgenössischer Kunst nach Mannheim zu bringen, die der Stadt bis dato gefehlt hatten.  

Der Aufbau eines Künstlerhauses

"Gewisse künstlerische Ansätze aus dem Theater- Tanz- und Performancebereich kamen in Mannheim beziehungsweise Baden-Württemberg quasi nicht vor" so Gabriele Oßwald, Künstlerische Leiterin des Hauses. Das unterscheidet das Land von anderen Bundesländern wie beispielsweise Hessen, wo Einrichtungen wie der Mousonturm in Frankfurt existieren.

Zunächst ausschließlich mit Eigenkapital, gründeten sie einen gemeinnützigen Verein, der schnell auf große Resonanz stieß. Inzwischen kann das Haus auf ein nationales und internationales Künstlernetzwerk zurückgreifen, das sich seine Gründer durch ihr umtriebiges künsterlisches Schaffen aufgebaut haben. 2007 zieht das zeitraumexit in die heutigen Räumlichkeiten in der Hafenstraße 68.

Das zeitraumexit stellt sich vor

Die Künstlerische Leitung des Hauses liegt in den Händen von Wolfgang Sautermeister, Zeichner, Maler, Performer, Kurator und Kunstvermittler, der schon an der Universität Gießen sowie der PH Heidelberg unterrichtete, Tilo Schwarz, tätig in den Bereichen Zeichnung, Raum, Licht und Video und Gabriele Oßwald. Oßwald begann ihre künstlerische Laufbahn als bildende Künstlerin und entdeckte später die Performancekunst für sich. Bis 2007 konzipierte sie Ausstellungen und Performances u.a. in Deutschland, Italien, Schweiz, Frankreich und Norwegen. 1995 gründete sie gemeinsam mit Wolfgang Sautermeister das ZeitRaum Büro für Kunst und fünf Jahre später schließlich das zeitraumexit, das sie selbst als "ihr größtes Kunstprojekt bezeichnet".

Das künstlerische Profil des zeitraumexit liegt irgendwo zwischen Bildenden und Darstellenden Künsten. Es zeigt unter anderem Performance-, Theater-, und Tanzveranstaltungen, Film- und Videokunst, Fotografie, Malerei und Zeichnung, die bis in den Bereich der Comiczeichnung reicht. Entscheidend für das Selbstverständnis des Hauses ist aber vor allem die grundsätzliche Aufgeschlossenheit gegenüber unterschiedlichen Kunstformen und neuen Ansätzen sowie die Freunde am Experimentellen.

Ein offenes Haus

Die Gestaltung des Programms liegt in erster Linie in den Händen der künstlerischen Leitung, Vorschläge und Anregungen von Seiten des zeitraumexit-Teams sind aber immer willkommen. Die Initiative kann aber auch schon mal von anderer Seite ausgehen und so bietet das Künstlerhaus Gruppenitiativen wie dem Verein Filmkiste, dem Festival B-Seite oder der Initiative Elektrosmog eine Plattform.

Dass das elektroakustische Profil der Elektrosmog-Treffen über das eigentliche Konzept des Hauses hinausgeht, ist eine mehr als willkommene Abwechslung. Das zeitraumexit ist eben kein gewöhnliches Theaterhaus mit Abo-Publikum. Es sieht sich vielmehr als ein Haus, in dem Grenzbereiche ausprobiert werden und ein gesellschaftlicher Dialog stattfinden soll.

Wunder der Prärie

Ein besonders wichtiger Termin im hauseigenen Kalender ist das Festival Wunder der Prärie, mit dem das zeitraumexit Teil der Festivalregion der Metropolregion Rhein-Neckar ist. In diesem Jahr beginnt das Festival am 18. September und steht unter dem höchst aktuellen Thema "Das Fremde". Das Festival für Performancekunst findet an unterschiedlichen Spielorten in Mannheim statt und widmet sich dem Themenkomplex aus unterschiedlichen Blickwinkeln. In der ehemaligen Stadtgalerie in S4 können sich Teilnehmer beispielsweise unter dem Titel "Training" in der Begegnung mit dem Fremden üben.

Die Performance-Installation "Zakopane" geht hingegen auf den Roman "Solaris" von Stanislav Lemm zurück. Solaris ist ein fiktiver Planet, dessen Ozean ein Wesen mit eigenem Bewusstsein ist, das den Betrachter widerspiegelt. In der Betrachtung des Fremden, erkennt er sich selbst. Umgesetzt wird dieses Thema in Form eines Raums, der auf die Besucher reagiert, indem er sich durch das Agieren der Künstler hinter den Kulissen immer wieder verändert.

Weitere Informationen zu den diesjährigen Wundern der Prärie findet ihr in unserem Artikel und auf der Homepage des zeitraumexit.

Junge Talente im Jungbusch

Das Mannheimer Künstlerhaus hat sich vor allem die Nachwuchsförderung, sowohl lokal, als auch international, zur Aufgabe gemacht. Frisch eingetroffen, das jährlich stattfindende Festival für junge Performancekunst, bietet jungen Künstlern eine Plattform. In diesem Jahr war es erneut Teil des Förderungsprogramms "Szenenwechsel" der Robert Bosch Stiftung. Die Themen reichten von der Reflexion über die eigene Identität und Physikalität des Körpers über die Beziehung zwischen Geste und Wort, Körper und Sprache, Emotion und Intellekt bis hin zu Stereotypen über zeitgenössische darstellende Kunst und Künstler sowie einer Auseinandersetzung mit Humanität. Frisch eingetroffen hat einen internationalen Fokus, so waren diesmal Beiträge aus Kroatien, Bulgarien, Schweden und der Schweiz zu sehen. Im Oktober zeigen die Künstler dasselbe Programm noch einmal in Belgrad.

Daneben bemüht sich auch das Projekt "97m über dem Meer", das in Zusammenarbeit mit dem  Mannheimer Theaterhaus Tick 7 entstanden ist, um die Förderung junger Talente. Es bietet eine offene Bühne für Künstler aus der Region. In Kooperation mit dem Institut für angewandte Theaterwissenschaften der Universität Gießen, wird im zeitraumexit zudem alle ein bis zwei Jahre die "Wilsonstraße" präsentiert. Ausgewählte Arbeiten von Studenten des Instituts werden dann in Mannheim aufgeführt.

Von internationaler Bedeutung

Das zeitraumexit fungiert aber nicht nur als Plattform für Produktionen aller Arten und Länder, sondern bietet durchaus auch Eigenproduktionen. Im Rahmen des Festivals "Wunder der Prärie" wird in der Alten Feuerwache Mannheim das Stück "Sons of Sissy" gezeigt, eine Koproduktion mit dem mit dem Produktionshaus Put in Wien und der Geßnerallee Zürich.

Die Performance-Produktion "Infanten" wurde vom Stuttgarter Theaterpreis sogar mit dem Publikums- und dem Theaterpreis ausgezeichnet. Gemeinsam mit dem Het Veem Theater Amsterdam und der Dampfzentrale Bern, erschuf die Produktion eine Welt, in der die Dinge keinen Namen haben.

Auf zwei Planeten zu Hause

Das zeitraumexit ist ohne Frage eine künstlerische Bereicherung für Mannheim und den Jungbusch, aber wie wohl fühlt sich eine solche Einrichtung in einem Viertel wie dem Jungbusch? "Der Jungbusch hat die richtige Atmosphäre für ein Haus wie zeitraumexit" findet Gabriele Oßwald. Die stattfindenden Veränderungen durch die Popakademie, den Musikpark, Szenelokale und jüngst durch das C-HUB bilden einen perfekten Nährboden für kulturelle Entwicklungen, wie sie im zeitraumexit stattfinden.

"So etwas wie der Jungbusch gehört zu einer Stadt" sagt Oßwald, die die momentanen Veränderungen aber nicht nur positiv sieht. "Der Jungbusch fällt sozial gesehen auseinander" die entstehende Kulturmeile steht im krassen Gegensatz zur Kehrseite der Entwicklungen. "Wie zwei Planeten" koexistieren die beiden Gesichter des Stadtviertels ohne größere Berührungspunkte. Diese Aussage verdeutlicht, vor welchen Herausforderungen der Jungbusch bei allen positiven Entwicklungen steht.