Wenn man Radioheads Debütalbum Pablo Honey 20 Jahre nach seinem Erscheinen auflegt, dann überrascht, wie unspektakulär es klingt. Heftig beeinflusst von Grunge und dem "Alternative Rock" der 1990er wirkt es heute wie ein Fremdkörper im Gesamtwerk der Band. Auf Pablo Honey scheinen sich Radiohead zu bemühen, wie eine andere Band zu klingen.

Tatsächlich finden sich auf dem Debüt kaum Songs, die musikalisch auf das verweisen, was die Band schon auf The Bends auszeichnen sollte: Die eindringlichen Gesangsmelodien von Thom York, Jonny Greenwoods epische, aber doch griffige Gitarren, Mut zum Experiment, Hang zum Pathos, zum Grandiosen, Epischen und natürlich grandioses Songwriting.

Hinter Gitarrenwänden

Während Thom Yorke auf den folgenden Werken sein Inneres radikal nach außen kehrt, seinen Ängsten freien Lauf lässt und die Entfremdung von einer sich im rapiden Tempo verändernden Welt thematisiert, versteckt er sich auf Pablo Honey noch schüchtern hinter Gitarrenwänden.

Es lohnt sich, die musikalische Welt, in der Pablo Honey entstand, noch etwas näher zu betrachten. MTV dominierte den Alltag der Jugendlichen, die massenhaft CDs kauften, um ihre musikalischen Gelüste zu befriedigen.

Die Musikwelt des Jahres 1993

Die deutschen Charts wurden durch Künstler wie Whitney Houston, Meat Loaf, Ace Of Base, Culture Beat und den 4 Non Blondes bestimmt. Sie verkauften heute fast monströs anmutende Mengen ihrer Alben und Singles. In dieser Welt spielten Radiohead kaum eine Rolle. Auch in ihrer englischen Heimat, wo der Durchbruch des Brit-Pop kurz bevorstand, interessierten sich zunächst nur wenige für die eigenartige Band aus Oxfordshire.

In den USA dominierte allerdings zumindest bei den jungen Hörern eine andere Musikrichtung: Grunge. Nirvana und Pearl Jam hatten im Herbst 1993 ihre düsteren, zerrissenen Zweitwerke In Utero und Vs. veröffentlicht. Ein Song von Pablo Honey passte ideal in die von Selbsthass und Verzweiflung geprägte Gefühlswelt der Generation X: Creep.

Durchbruch in den USA

Auf Umwegen gelangte Creep zu einem Radiosender in San Francisco und verbreitete sich dort zunächst an der Westküste und später im gesamten Land. Nach einiger Zeit erreichte die Single Platz 2 in den US-Alternative-Charts – damals ein wichtiger und vielbeachteter Gradmesser.

Der Erfolg in den USA beflügelte die Popularität von Radiohead in ihrer Heimat und in ganz Europa. Plattenfirma und Band versuchten das neue Interesse mit ausladenden Tourneen auszunutzen, mit dem Ergebnis, dass die Band fast auseinanderbrach.

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One-Hit-Wonder?

Gegenwind erfuhren Radiohead auch von der Musikpresse: vielfach wurden sie zum One-Hit-Wonder erklärt. Die Einschätzung war ebenso falsch wie nachvollziehbar: Wo auf Pablo Honey fand sich ein weiteres Lied, das ihre Qualität als Songschreiber in ähnlicher Weise hervorhob wie Creep?

Es gab schlichtweg keines. Schon der Opener You enthält textliche Plattitüden ("You are the sun and moon and stars, are you/And I could never run away from you"), die symptomatisch für die inhaltliche Flachheit des Albums sind. Es finden sich durchaus einige brauchbare Melodien, aber die musikalische Ausdrucksweise der Band war noch zu begrenzt, um damit etwas Vernünftiges anzufangen.  

Die richtigen Konsequenzen

Pablo Honey ist nicht peinlich oder unangenehm, aber seine Banalität vermag zu frustrieren. Man erhält den Eindruck, eine mittelmäßige Gitarrenband arbeite sich an ihren uninteressanten Problemen ab. In diesem Umfeld wirkt Creep, nach wie vor der mit Abstand beste Song auf dem Album, fast wie ein Fremdkörper, da es Intensität und Eingängigkeit auf eine Weise vereint, die den übrigen Liedern abgeht.

Ob Radiohead eine zweite Chance erhalten hätten, wenn Creep kein Erfolg gewesen wäre, ist durchaus zweifelhaft. Dass sie eben doch kein One-Hit-Wonder waren, bewiesen sie 1994 mit der My Iron Lung-EP, vor allem aber ein Jahr später mit ihrem zweiten Album The Bends.

Die entscheidende Voraussetzung bildeten aber die Monate nach ihrem Durchbruch. In dieser Zeit konfrontierte die Band ihre offensichtlichen Schwächen, zog die richtigen Konsequenzen und erfand sich neu.

Das Ergebnis lässt sich auch heute noch jeder Anfängerband nahelegen. Was am Ende zählt, ist die Qualität der Songs. Wer aber mehr als einen Hit haben will, der muss auch mehr bieten, als aktuelle Trends aufzugreifen. Ein eigener Sound und eine klar erkennbare musikalische Identität sind für dauerhaften Erfolg unverzichtbar.

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