Tobias Sammet hat es geschafft. Aus der hessischen Diaspora Fulda stammend, hat er in den vergangenen 25 Jahren mit Edguy und Avantasia die Metal-Welt erobert wie es zuvor vielleicht Accept und Helloween gelungen waren. Avantasia sind mittlerweile tonangebend in seinem Terminkalender.

Ursprünglich als Nebenspielwiese zu Edguy gegründet, entwickelt sich das Metal Opera-Projekt zu einem Chartbreaker. Nach dem Nummer 1-Erfolg mit dem im Februar veröffentlichten "Moonglow" zieht es Sammet mit seinem Tourtross einmal um die halbe Welt.

Das Who Is Who der Metal- und Hardrock-Szene

Das Konzept von Avantasia ist einem szenisch gestalteten Musical ähnlich. Sammet gibt mit wechselnden Gastsängern in dreieinhalb Stunden sämtliche Klassiker der Avantasia Historie zum Besten und deckt alle Alben vom wegweisenden Speed Metal-Debüt "The Metal Opera" über das Hardrock-dominierte "The Scarecrow" bis hin zu den episch-opulenten Werken jüngeren Datums wie "Ghostlight" und "Moonglow" ab. Dabei greift der Hesse auf das Who Is Who der Metal/Hardrock Szene zurück.

Ex-Queensryche-Kopfstimme Geoff Tate, Mr. Big-Sänger Eric Martin, Magnum-Frontman Bob Catley oder Power-Röhre Jørn Lande geben sich die Klinke in die Hand und sorgen für Maulsperren und fliegende Haare. Das Publikum ist buntgescheckt, vom Metal-Veteran in Kutte bis hin zum Weekend Warrior ist alles dabei. Dazu tummeln sich erfreulich viele weibliche Gäste unter den ca. 4000 Zuschauern.

Bis spät in die Nacht

Den Abend eröffnet dem folgenden bombastischen Ambiente angemessen "Ode To Joy" vom guten alten Ludwig van. Die Europa-Hymne ist den meisten Anwesenden geläufig, generiert aber auch einige Fragezeichen nach dem Motto: "Weg mit den Streichern, wir wollen Stromgitarren!".

"Ghost In The Moon" könnte auch aus der Feder von Meat Loaf-Komponist Jim Steinman stammen und knallt bei druckvollem Sound richtig rein. Die Abstimmung passt noch nicht ganz, dafür ist die Stimmung Bombe. "Wenn ich Offenbach sage, macht ihr Alarm", ist Sammets Losung des Abends.

Shouten wie ein Altmeister

Pretty Maids-Sänger Ronnie Atkins prescht bei "Starlight" nach vorne und veredelt mit seiner rauchigen Rockröhre den Uptempo-Track. Mit "Book of Shallows" legt die Truppe noch einen Tacken Härte zu. Doublebass-Drums von Felix "Goldfisch" Bohnke treiben die Nummer unaufhörlich nach vorne. Mit diesen Beinen schafft er locker jeden Berg der höchsten Kategorie.

Das auf Platte eigentlich von Blind Guardian-Frontman Hansi Kürsch und Kreator-Keifer Mille Petrozza intonierte Gewitter macht auch in dieser Form eine gute Figur. Auch Backround-Sängerin Adrienne Cowan shoutet wie ein Bay Area-Recke.

Die Stimme Mephistos

Charmeur Sammet wickelt die Leute um den Finger und präsentiert die erste Single des neuen Albums, das 12-minütige "The Raven Child". Entgegen aller Konvention koppelte Sammet dieses Epos als Single aus. Nun breitet auch Jørn Lande seine schwarzen Schwingen aus. Seit "The Scarecrow" immer mit von der Partie setzt dessen markige Hardrock-Stimme brillante Akzente.

Bei mittlerweile bestem Sound soliert auch das sechs Saiten Duo Paeth/Hartmann in trauter Eintracht. Lande, der Mann mit der Grandezza eines Tigers, übernimmt auf Sammets Solo-Alben häufig die Stimme Mephistos und zieht einen entsprechend bei "Luzifer" auf die dunkle Seite. Dieser Song stellt mit seinem Klavier-Intro einen ersten Ruhepunkt dar. Maestro Sammet schrieb "Luzifer", wie er augenzwinkernd erzählt, in den Dungeons von London.

Geoff Tate in Bestform

Ex-Queensryche-Mastermind Geoff Tate zeigt sich danach in blendender Form und setzt dem Midtempo-Kracher "Alchemy" die Krone auf. Tate schrieb vor dreißig Jahren mit "Operation: Mindcrime" Musikgeschichte. Schön diese Stimme in gebührenden Ambiente zu hören. Entsprechend erhält er mit der Ballade „Invincible“ einen Spot.

Danach beweist Oliver Hartmann, dass er nicht nur gut Gitarre spielen, sondern noch dazu singen kann. Beim schnellen "Reach Out For The Light" geht es um die Wurst. Der vegetarische Bassist bekommt davor noch sein Fett weg, bei ihm ist laut Sammet jeder Tag Karfreitag. Der Opener vom Debüt ist feinst zelebrierter Stahl in Helloween-Tradition. Backround-Sängerin Ina Morgan übernimmt den unverschämt hohen originalen Part von Michi Kiske und dies gelingt ihr ziemlich gut.

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Fantasy-Kulisse im Tim Burton-Stil

"Moonglow" wäre in einer besseren Welt der Hit schlechthin. Die Mischung aus Nightwishs "Amaranthe" und Mike Oldfields "Moonlight Shadow" reißt mit und Candice Night-Ersatz Adrienne Cowan singt besser als das Original auf dem Album. Die Hitsektion rundet Mr. Big-Sänger Eric Martin mit dem Michael Sembello-Cover "Maniac" sowie "Dying For An Angel", mit geigendem Gerippe als Backdrop-Visual, ab. Ein Hauch von Metal Disco weht durch die Stadthalle.

Die Fantasy Kulisse im Tim Burton-Stil nutzt die gesamte Mannschaft durch die Bank und platziert sich auf den diversen Podesten. Den blonden Backround-Sänger Herbie Langhans, der bei "Maniac" in der Mitte steht, kündigt Martin prompt als sexy Lady an.

Plüschrock und Vorzeige-Epos

"Lavender" und der Klassiker "The Story Ain’t Over" sind feinster AOR-Stoff in bester Plüsch-Manier, die kaum besser als von Magnum-Altmeister Bob Catley gesungen werden können. Der von Sammet als Lieblingsbrite angekündigte Sänger untermalt die Songs einem Dirigenten ähnlich mit coolen Handmoves und stellt somit in einen blauen Sakko gekleidet den Geschichtenerzähler in der internationalen Sänger-Riege dar.

Vorhang auf für das Vorzeige-Epos aus dem Hause Sammet: "The Scarecrow". Wieder mit Jørn Lande im Gepäck prägte dieses Lied alle darauffolgenden Longtracks mit seinem progressiven Metal-Bombast. Folkig-keltischer Beginn, einmal die Emotions-Klaviatur rauf und runter von Midtempo-Stampf zu Uptempo-Headbang, fünfminütiger Heldensolo-Part und nach 11 Minuten ins Ziel: atemberaubend.

Mehr Stadion-Atmo gibt’s auch nicht bei der Eintracht

Mit Melodic Metal vom Feinsten gehts weiter. Sammet hat Pause, dafür schmeißt Lande mit Martin die Show. Gemeinsam knallen sie "Promised Land" ins weite Rund. Förmlich von der Leine gelassen glänzt dieser formvollendete Paradetrack aus der "Scarecrow"-Session mit viel Spaß im den Backen.

Martin bleibt. Tate komplettiert das Duo. Die San Francisco/Seattle-Achse rockt mit dem düsteren Riffgewitter "Twisted Mind" die hessische Provinz. Mehr Stadion-Atmo gibts auch nicht bei der Eintracht, die am gleichen Abend ins Halbfinale der Euro-League einzieht. Der Debüt-Song "Avantasia" funktioniert dabei genauso wie der Brecher eines Longtracks "Let the Storm Descend Upon You".

Nur Verrückte auf der Bühne

Tate grinst, Lande faucht mit Atkins um die Wette, Sammet umarmt die Welt und lässt minutenlang Keyboarder Miro Rodenberg feiern. Der Schriftzug auf dem Backdrop steht virtuell in Flammen. Zum Keyboardsolo gesellt sich zum x-ten Mal das Offenbach-Mitsingspiel. O-Ton Sammet: "An dieser Stelle spielen Bands normalerweise ihre zwei, drei Hits gehen dann an die Bar und hauen sich zu. Nicht so wir. Wir sind hier zum Arbeiten."

Nur Verrückte auf der Bühne, grinst der 41-jährige schelmig. Das düstere "Master Of The Pendulum" bildet einen schönen Kontrapunkt zur Party, tut der guten Stimmung aber keinen Abbruch. Hier zwingen die Schwermetallelemente die Anlage fast in die Knie, was diese mit leichten Störgeräuschen quittiert.

Frotzelei auf Hessisch

Das flotte "Shelter From The Rain" teilen sich Hartmann, Langhans und Ina Morgan und bereiten die Bühne für Catley, der den zurückgenommenen Mittelteil übernimmt. Den nationalen Eurovisions Vorentscheid 2016 prägte ein gewisser Track namens "Mystery Of A Blood Red Rose" entscheidend mit und schnitt mit Platz 3 sehr gut ab. Angetrieben von Catley und Sammet singt hier jeder mit.

Das Gleiche geschieht beim nachfolgenden "Lost In Space". Der Song schürt leichte Melancholie, bevor er die Menge aus dem regulären Set entlässt. Die Frotzelei auf Hessisch mit Kollege Hartmann beantwortet dieser mit einer witzigen Choreographie zu Beginn des poppigen Songs.

Der Hans Zimmer des Heavy Metals

Zuckerstimme Cowan darf danach nochmal zum 3er-Metrum bei "Farewell" ran, bevor der gesamte Cast stimmgewaltig und unter tosendem Applaus den Abend mit dem The Metal Opera-Medley "Sign Of The Cross/The Seven Angels" beschließt. Konfetti aus Kanonen gibt es obendrein.

Der Abschluss der Deutschlandtour fällt grandios aus. Die Band spielt perfekt aufeinander abgestimmt. Sound und Licht stimmen über die gesamte Spieldauer. Umfang und Anspruch sind in dieser Form in der deutschen Metal-Landschaft einzigartig und ein Aushängeschild für harte Musik. Auch wenn der Zampano des gepflegten und melodieverwöhnten Metals vorne drauf steht, darf jeder in den Mittelpunkt.

Auf dem Grat zwischen Kunst und Kitsch wandelt Sammet wie ein moderner Till Eulenspiegel und schwingt sich zum Hans Zimmer des Heavy Metals auf. Dass der Mann obendrein mit drei Jahren einen Kasper verschluckt hat, der niemals wieder raus kam und somit für unterhaltsame Ansagen sorgt, soll hier nicht unerwähnt bleiben. Nach dreieinviertel Stunden hissen die Ohren schließlich die weiße Fahne.

Setlist

You Shook Me All Night Long / Ode To Joy / Ghost In The Moon / Starlight / Book Of Shallows / The Raven Child / Luzifer / Alchemy / Invincible / Reach Out For The Light / Moonglow / Maniac / Dying For An Angel / Lavender / The Story Ain’t Over / The Scarecrow / Promised Land / Twisted Mind / Avantasia / Let The Storm Descend Upon You / Master Of The Pendulum / Shelter From The Rain / Mystery Of A Blood Red Rose / Lost In Space / Farewell/ Sign Of The Cross / The Seven Angels

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