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Drangsal (live beim City Riot Fest, 2018) © Leonard Kötters

Der Heilsbringer des deutschen Indiepops gastiert in der Alten Feuerwache in Mannheim und lässt musikalisch wie verbal die Muskeln spielen. Dabei strickt Max Gruber alias Drangsal an seinem Superstarstatus, zeigt sich als Dompteur der Massen und versetzt seine jungen Fans komplett in Euphorie.

Die Alte Feuerwache in Mannheim ist als einzige Location der Herbstournee von Drangsal im Vorfeld nicht ausverkauft, aber gegen 20 Uhr schon imposant gefüllt.

Das Berliner Trio Pabst wird als Support mit seiner Mischung aus Stoner Rock und Grunge vom überwiegend jungen Publikum ordentlich gepusht. Drangsal, der mit bürgerlichem Namen Max Gruber heißt, zeigt sich dann in der Umbauphase volksnah und packt selbst mit an.

Beim Soundcheck steht er in seinem Trainingsoutfit kurz allein auf der Bühne, feixt mit den Zuschauern und genießt die schmachtenden Zwischenrufe der Fans. Ein cleveres Vorspiel für den ungeduldig erwarteten Hauptgang.

A Star Is Born

Es ist schon eine immense Wucht, die dann auf das dicht gedrängte Publikum hereinbricht. Mit drei Gitarren, Bass, Schlagzeug und etwas Tasteneinsatz sorgen Drangsal und Band mit ihren stakkatoartigen, nach vorne drängenden Wellenbrechern sofort für größtmögliche Intensität.

"Jedem das meine" vom aktuellen Album "Zores" als Opener spricht exemplarisch für das Selbstverständnis des Wahlberliners: Alles wollen, Kleinstadtfesseln ablegen, Selbstzweifel überwinden. Dabei verdreht der Protagonist die Augen, macht Luftsprünge wie Pete Townshend und ist ganz klar Anführer seiner Gang.

Starker Beginn

Auch "Will ich nur dich" vom Erstling "Harieschaim" mit den denkwürdigen Zeilen "Ich hab den Kopf voller Pflastersteine" erzeugt größtmögliche Resonanz bei den jungen Fans, die ohne Umschweife zum Crowdsurfing übergeht und von den Ordnern kurz vor der Bühne abgefangen wird.

Auch "Do The Dominace" hält das Euphorie-Level im blutroten Bereich, handelt es sich doch um einen der stärksten Tracks des Debütalbums. Das sich am englischen Wave der Mittachtziger orientierende Lied wird wie ein alter Bekannter abgefeiert. 

Diese Reminiszenzen an die 80er haben auch einige Alt-Waver in die Feuerwache gelockt, welche die Bewegung der Massen mit Sicherheitsabstand von der Seite aus beäugen.

Schlechte Laune

Auf der Basstrommel von Schlagzeuger Kevin Kuhn klebt das Emblem der "Roten Teufel". Der 1. FC Kaiserslautern hat am selben Abend eine 0:5 Klatsche kassiert – die ganze Band sei deswegen "grumpy", lässt Drangsal die Menge wissen. Max Grubers Dialoge mit seinem Publikum sind schon jetzt legendär.

Zickig, mit vielen Kraftausdrücken untermalt und doch nah am Publikum, bezeichnet der Südwestpfälzer Mannheim eben nur "fast" als Heimat, erinnert an einen Supportgig für Kraftklub und erzählt über sein zwiespältiges Verhältnis zu Presse.

Dazu grüßt er seine Mutter und seinen Deutschlehrer unter den Zuschauern und informiert letzteren, dass die ganze Schulplagerei letztendlich nichts gebracht hätte und er als "Star" jetzt das bessere Los gezogen habe.

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Zwischenansagen mit „Schmackes“

Gruber wandelt auf einem schmalen Grat zwischen Narzissmus ("Sind meine Haare schön?"), Größenwahn, Selbstzweifel und Arroganz, der ihm im Augenblick aber bestens gelingt. Bei "Magst du mich" reißt Bassist Sam Segarra eine Saite.

Der Herxheimer unterbricht den Song, watscht einen aufdringlichen Zwischenrufer unnachahmlich verbal ab und beginnt den Song alleine und rein akustisch zu spielen bis "sein Angestellter" wieder bereit ist. Dann bringt er einen seiner bisher besten Songs – eine Mischung aus Hubert Kah und The Smiths – famos zu Ende.

Volle Power

Im weiteren Verlauf brettern Stücke wie "Hinterkaifeck", "Der Ingrimm" oder "Arche Gruber" wie ein Orkan über das Auditorium hinweg und das feierwillige Volk beginnt in Festivalmanier im Kreis zu tanzen. Die aktuelle Single "Und du? Vol. II" zeigt dann, was die geschmeidige erste Seite seiner aktuellen LP auszeichnet: deutschsprachiger Pop, mit Texten die auf diese Weise sonst niemand am Start hat und gewachsenes, differenziertes Songwriting.

Die vom ihm eingeforderte Queerness in deutschen Texten bringt er hier in romantischen Bildern mit: "Gegen die Decke meines Schädels schlägt ein Spalier junger Mädels… gegen die Wände meines Herzens halten 100 heiße Jungs kleine Kerzen" zum Ausdruck.

Intensiver Zugabenteil

Nach dem episch-noisigen "Wolpertinger Jam" beginnt die Band mit den Zugaben, die nochmal am Intensitätsbarometer schrauben. "Eine Geschichte" jagt den Zuschauern Gänseheut über den Rücken. Drangsal badet zu hunderten Handylichtern in dieser balladesken Bestandsaufnahme seines kometenhaften Erfolgs als Musiker.

"Allan Align", der Hit vom ersten Album, wird gefolgt von "Turmbau zu Babel", wiederum eines der glanzvollsten Stücke auf "Zores". Unermüdlich singt das Auditorium weiterhin vor allem die deutschen Texte voller Inbrunst mit. Die mutige Entscheidung, beim Zweitling "Zores" die deutschen Texte in den Vordergrund zu stellen, war ein richtiger Schritt, denn Drangsal hat genügend Gespür und Identität, dies mit zündenden Pop-Rock-Melodien umzusetzen.

Zündendes Cover

 "1.000 und 1 Nacht" der Klaus Lage Band erscheint demzufolge als einziges Cover zum Abschluss überhaupt nicht unlogisch. Der Herxheimer reißt sich das Unterhemd vom Leib und wirft es im Stil von Morrissey, bei dessen beiden letzten Berlinkonzerten er im Publikum war, in die Menge.

Damit ist das eindrucksvolle Fast-Heimspiel in Mannheim zu Ende. Während die Menge zu DJ Schwede vom Band weitertanzt, bleibt dem Betrachter das Fazit, dass Drangsal definitiv einer der außergewöhnlichsten deutschen Künstler ist. Mit "Zores" hat er einen wichtigen Schritt getan, um sich musikalisch eigenständiger zu präsentieren.

Seine Zerrissenheit weicht momentan auch aufgrund der wachsenden Bühnenpräsenz einer größeren Selbstverständlichkeit, die manchen Kraftausdruck in den Zwischenansagen gar nicht nötig hat. Zu seiner Bühnenpersönlichkeit gehört das im Augenblick jedoch noch dazu – was immer das für die Zukunft bedeutet.

Setlist

Jedem das Meine / Ich will nur dich / Do The Dominance / Sirenen / Magst du mich (oder magst du bloß noch dein altes Bild von mir) / Love Me Or Leave Me Alone / Und du? Vol. II / Der Ingrimm / Hinterkaifeck / Laufen lernen / Arche Gruber / ACME / Wolpertinger Jam/Weiter nicht / Eine Geschichte /  Allan Align / Turmbau zu Babel / 1000 und 1 Nacht

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