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Talib Kweli (live in Mannheim, 2018) © Johannes Rehorst

Obwohl die Show von Talib Kweli in Mannheim zunächst ein gewöhnliches Konzerterlebnis zu werden verspricht, kommt es in der Alten Feuerwache bald zu tumultartigen Szenen. Minutenlang droht der Rapper nach einer Konfrontation mit einem Besucher mit Konzertabbruch.

Es hätte ein durchschnittlicher Konzertabend sein können. Mit einigen Längen, aber durchaus auch mit Highlights – stabil, wie man heute sagt. Tja, hätte, hätte, Fahrradkette.

Stattdessen geriet der Auftritt von Talib Kweli in der Alten Feuerwache zu einer durchaus kontroversen Lehrstunde über künstlerisches Selbstverständnis und Anspruch, aber auch über Befindlichkeiten, Stolz und die Erwartungshaltungen von Künstler und Publikum, die sich manchmal doch stark unterscheiden können.

90er-Party

Zu Beginn des Abends sieht es danach zunächst nicht aus. Der Raum ist bereits früh gut gefüllt, die Besucher sind gut gelaunt und DJ Spintelect heizt den Saal schon einmal mit den Klassikern des Genres auf Betriebstemperatur vor. Von Nas über die Fugees, Wu Tang bis Dead Prez reicht die Palette.

Dass das manchmal etwas an eine 90er-Jahre Hip Hop-Party erinnert ... geschenkt. Old School never gets old, und dem Publikum jedenfalls – größtenteils gefühlt schon in der Nostalgieecke zu verorten, was den Altersdurchschnitt betrifft – scheint es zuzusagen. Immer wieder wird mitgesungen, der Lautstärkeregler fleißig als Stilmittel genutzt – it’s bigger than Hip Hop halt.

Danach poltert erst Niko IS mit wehender Lockenmähne und gelegentlichen Akrobatik-Einlagen über die Bühne. Reibeisenstimme und Cognac im Glas harmonieren hervorragend, auch wenn die Performance hier und da etwas holprig wirkt. „I hope you live a hundred years! Cheers!“ Prost zurück.

Routinierter Einstieg

Nach zwei bis drei weiteren Klassiker-Runden, in denen DJ Spintelect Originale und Sample-Tracks durchaus atemberaubend in Einklang bringt, ist es endlich Kweli-Time. Der Meister allerdings scheint mehr routiniert als übermäßig motiviert, spult seine ersten Songs runter – freilich auf hohem Niveau, aber dennoch mit viel Luft nach oben. Das Publikum geht trotzdem mit, verzeiht viel und ist dankbar für jede Interaktion.

Ein Highlight: Der kurze Auftritt von Spoken-Word-Artistin Jessica Care Moore, die mit atemberaubendem Tempo ein Textstakkato ins Publikum ballert. Das hätte gerne mehr sein können. Danach wieder Kweli solo, mit einer Bob-Marley-Hommage, bzw. wohl eher einem Playalong mit Publikumsanimation und einem Nekrolog auf den 2015 verstorbenen Rap-Kollegen Sean Price, letzterer durchaus energisch und kraftvoll.

Die Stimmung kippt

Dann aber kommt es zum Eklat, der den Wendepunkt des Abends markiert. Und der ist durchaus ein wenig kompliziert zu rekonstruieren. Kweli, der offenbar Redebedarf hat, holt zu einem Rant über Twitter, Meinungsfreiheit, Neofaschismus in den USA im Allgemeinen und Donald Trump im Besonderen aus. 

Für das Äußern seiner politischen Meinung auf Twitter werde er immer wieder kritisiert, teilt er mit, lässt sich jedoch davon nicht abhalten: "Tweets are my words without beats", so Kweli. Bezugnehmend auf Deutschlands jüngere Geschichte sagt er anschließend, der wahre Faschismus sei heutzutage in den USA zu Hause.

Das alleine ist ja nichts außergewöhnliches, schließlich ist der Rapper bekannt für seine starken Meinungen zu sozialen und politischen Themen und Besucher, die Karten für eine Talib-Kweli-Show kaufen, sollten sich dessen eigentlich auch bewusst sein. In Mannheim ist jedoch das offenbar nicht so.

Als ein junger Mann (vermeintlich halb Deutscher, halb US-Amerikaner) aus dem Publikum wohl genug hat von politischem Aktivismus und dies auch lautstark kundtut, ignoriert Kweli ihn nicht etwa, sondern beginnt eine Diskussion darüber, was sein Anliegen ist. Die Kernaussage: Wer hierher kommt, muss auch zuhören können. Und ignorante Menschen, die wollen, dass alles nach ihrer Pfeife tanzt, hätten ein System Trump erst möglich gemacht. Als der so Kritisierte dann im Verlauf der Diskussion noch zugibt, keinen Eintritt gezahlt zu haben, platzt dem Künstler dann endgültig die Hutschnur: Nichts zahlen, aber bestimmen wollen, wo’s lang geht – das gehe gar nicht.

Kurz vor dem Abbruch

Die Situation wird unübersichtlich. Nach weiteren Provokationen klettern Kweli und der DJ über den Zaun ins Publikum, wo es zu einer Rangelei kommt. Ein Security-Mitarbeiter gerät beim Schlichtungsversuch dann auch noch mit dem DJ aneinander – der Tumult ist perfekt.

Das Ergebnis: Ein zorniger Kweli, der minutenlang mit Konzertabbruch droht, eine Entschuldigung vom Security-Mitarbeiter fordert und schlussendlich gar den Veranstalter auf die Bühne zitiert. Dem gelingt es dann zwar immerhin, die Situation wieder einigermaßen zu deeskalieren, so dass der Rapper – zwar immer noch sichtbar wütend – zur Tagesordnung zurückkehrt, nicht ohne allerdings vorher überflüssigerweise einen weiteren Zuschauer mit Diskussionsbedarf entfernen zu lassen.

Aufgewacht

Der zweiten Hälfte der Show allerdings – und das ist das eigentlich Erstaunliche, hat dann alles in sich, was die erste vermissen ließ. Wie überflüssig auch immer die vorangegangenen 20 Minuten gewesen sein mögen, offenbar lieferten sie Talib Kweli das nötige Feuer. Mit messerscharfen, auch nach heutigen Standards technisch anspruchsvollen Reimen und der nötigen Power als Performer sowie einer ordentlichen Portion Publikumsnähe und Enthusiasmus zeigt er eindrucksvoll, dass er immer noch zu den ganz Großen seiner Zunft gehört.

Dass ein Klassiker wie Blackstars „Definition“ inzwischen auch schon 20 Jahre auf dem Buckel hat, macht der Rapper wie im Vorbeigehen vergessen – und das ganz ohne Kumpel Mos Def, der immerhin auf der Leinwand dauerpräsent ist.

Hip Hop für Gerechtigkeit

Kurz vor Ende gibt es dann sogar so etwas wie eine halbe Entschuldigung für die langen Reden und den rauhen Ton, aber Talib Kweli macht auch nochmals klar, dass seine Shows keine Wunschkonzerte sind. "You can pay money for your favourite songs you want to hear – that’s called Spotify!", erklärt er.

Hip Hop habe auch immer mit sozialen Aspekten und mit dem Kampf um Gerechtigkeit zu tun, dafür stehe er eben. Und wem das nicht passe, der sei hier eben falsch. Sprach’s und haut dem Publikum, das die Gelegenheit zum Tanzen dankbar ergreift, zum Abschluss ein wunderbar funkiges "Get by" um die Ohren.

Glatt ist anders

Nur das finale "Hip Hop is Love and Peace" wirkt angesichts der vorangegangenen Szenen etwas fehl am Platz. Fakt ist, dass der Abend sicherlich bei manchem Besucher noch für Gesprächsstoff gesorgt haben dürfte. Und das ist im doch heutzutage ganz gerne mal glatten Hip Hop-Business durchaus was Besonderes.

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