Lana Del Rey (Pressebild, 2017)

Lana Del Rey (Pressebild, 2017) © Neil Krug

In der ausverkauften Mercedes-Benz-Arena inszeniert Lana Del Rey ein Konzert nach den Regeln Hollywoods. Mit einer entscheidenden Ausnahme: Sie hebt die Distanz zwischen Künstlerin und Publikum auf und geht auf Tuchfühlung mit ihren Fans.

Vor zwei Jahren spielte Cat Power ein Solo-Set in der Centralstation in Darmstadt. Das Konzert erfüllte die Erwartungen: Musikalisch über jeden Zweifel erhaben und nahegehend, die Künstlerin selbst auch gut 20 Jahre nach Karrierebeginn nicht von ihrem Lampenfieber geheilt und unsicher.

Zwei Jahre später eröffnet sie die Show für Lana Del Rey in der ausverkauften Berliner Mercedes-Benz-Arena.

The Queens of Sadness

Diesmal hat Cat Power eine Band dabei und wirkt deutlich lockerer. Knapp 40 Minuten dauert ihr Set, das alte ("Cross Bones Style") und neuere ("Manhattan") Fanlieblinge mit ein paar neuen Songs mischt. Vermutlich handelte es sich um neue Songs, denn Chan Marshall, so ihr gebürtiger Name, hat nämlich die Angewohnheit ihre Songs live ständig bis zur Unkenntlichkeit umzuarrangieren. 

Nach dem überzeugenden Auftritt von Cat Power dann Lana Del Rey. Anders gesagt: Einer der großen Popstars, die dieses Jahrzehnt hervorgebracht hat, folgt auf eine Indie-Ikone. Insgesamt passt das sehr gut: die Königinnen der melancholischen Liedkunst sind unter sich und wer sich anhört, wie Del Rey als unbekannte Singer-Songwriterin vor ihrem Durchbruch klang, wird erkennen, wie sehr der Haupt-Act an diesem Abend vom Support beeinflusst wurde.

H is for Hollywood

Dennoch fiel der Name Cat Power selten, als Lana Del Rey vor sieben Jahren auf der Bildfläche erschien und tief in die Referenzenkiste gegriffen wurde, um sich dem neuen Phänomen zu nähern. Nancy Sinatra wurde besonders oft bemüht, zuletzt kam Pitchfork auf die Idee, Del Rey sei in Wirklichkeit die amerikanische Antwort auf Morrissey.

Doch vielleicht sollte man bei der Suche über den musikalischen Tellerrand hinausblicken, gerade jetzt zu ihrem aktuellen Album "Lust for Life". Das bedient sich nämlich sogar noch mehr als die Alben zuvor beim Film: "Climb up the H of the Hollywood sign" lautet bereits die erste Zeile des Titeltracks.

Filmische Stilmittel

Selbst das Bühnenbild hat etwas von einem Filmset voller Requisiten: Zwischen Büschen und Steinen ist die Band verteilt, ein Liegestuhl wird genauso in die Show eingepflegt wie der Flügel, auf dem sich die Sängerin zu einem Song räkelt wie einst die Diven des Hollywoods der Goldenen Ära.

Eine davon hat sogar einen Kurzauftritt auf der Leinwand: Im Anschluss an "Blue Jeans" (das seinen Titel vom Look James Deans bezieht) singt Marilyn Monroe "Happy Birthday, Mr. President" und Del Rey singt mit. Auch das traditionelle Stück "Scarborough Fair" wird angespielt – im Arrangement von Simon & Garfunkel, bekannt aus dem 1967er Film "Die Reifeprüfung".

Mit filmischen Elementen spielt Del Rey die ganze Show über. Eröffnet wird das Set von "13 Beaches" – mit entsprechenden Bildern auf der Leinwand. "It took 13 beaches to find one empty", erklingt die Stimme der Sängerin, ohne dass sie zu sehen ist: Den ersten Kontakt mit dem Star macht das Publikum über Bild und Stimme – als Soundtrack, ohne sichtbaren Performer.

Eine Sängerin im Ozean

Die Bühne ist von zwei Leinwänden umgeben, die passend zur Stimmung der Songs sowie der Retro-Referenzen in schwarz/weiß gehalten werden. Auf der großen Leinwand hinter den Musikern wird sogar das Geschehen auf der Bühne zum Film: Die Livebilder werden in die darauf gezeigten Szenen eingebunden – nicht als eigene Szenen, sondern direkt in das Bild hineinprojiziert.

Auch der Bühnenboden dient als Fläche für Bewegtbilder, etwa als sich Del Rey und ihre Tänzerinnen/Backgroundsängerinnen auf den Boden legen, ein Ozean unter ihnen erscheint und die Kameras das Bild von oben für die Leinwände einfangen. Dabei immer wichtig ist die Eleganz, ein Kernelement ihrer Inszenierung seit "Video Games".

Neugefundener Optimismus

Obwohl Lana Del Rey keine Künstlerin ist, die sich mit jedem Album neu definiert, stellte "Lust For Life" doch eine Veränderung dar. Auf "Born To Die" steckte der tragische Fatalismus nicht nur im Titel, sondern auch in den Songs: Liebesgeschichten, die immer gleichzeitig idealisiert und zum Scheitern verurteilt sind, weil die bad boys, von denen sie sang, nicht anders konnten als irgendwann ihr Glück zu sabotieren.

Im Video zu "Lust for Life" hingegen folgen Del Rey und ihr Duettpartner The Weeknd dem Rat der Eröffnungszeile und erobern auf den Buchstaben des Hollywood Sign ihre Herzen und wer in Hollywood ein Herz erobert, erobert immer auch die Welt. Doch nicht einmal die Welt ist genug: Im Video zu "Love" begleiten wir eine Gruppe von Jugendlichen auf ihrer Reise zum Mond, denn wenn man jung ist, scheint alles möglich, ganz so wie es die Traumfabrik Hollywood versprach, als sie sich vor etwa 100 Jahren formierte. Dazu passt auch der Tourname: "L.A. to the Moon".

Die Nähe zu den Fans

Doch so sehr das alte Hollywood auch über diesem Abend schwebte, eine seiner Regeln missachtete Del Rey vollkommen: die Distanz des Stars zum Publikum als Teil des eigenen Mythos. Das begann mit einem Gang in die erste Reihe für Selfies, Autogramme und Wangenküsse zum Instrumentalstück "Burnt Norton" und wirkte so erst wie eine etwas billige Routine, um Sympathiepunkte zu sammeln.

Doch danach kehrte die Sängerin immer wieder zum Publikum zurück, betonte, wie viele Gesichter sie noch aus alten Tagen kenne und bedankte sich außerdem, indem sie das Publikum ganze vier Stücke aussuchen ließ. Das hatte tatsächlich etwas sehr Ungekünsteltes und ließ kurz vergessen, wie groß die Arena war, in der diese Bonding-Sessions stattfanden.

Wunschkonzert

Für die Wunschstücke fielen natürlich andere Songs unter den Tisch, so auch die drei hervorragenden Lead-Singles "West Coast" (von "Ultraviolence"), "High by the Beach" (von "Honeymoon") und sogar "Love", die erste Single von "Lust for Life" und damit ein Stück, mit dem man auf jedem Popkonzert eigentlich rechnen würde. Zumindest "West Coast" und "Love" wurden an anderen Abenden der Tour gespielt und mussten wohl dem Wunschkonzert weichen.

Das ist ein durchaus mutiger Schachzug, gerade bei einem Konzert dieser Größenordnung, zu dem sicherlich einige Zuschauer kommen, um die Hits zu hören. Doch Lana Del Rey ist es an diesem Abend wichtiger, die eingefleischten Fans zufrieden zu stellen, ohne die sie sich nie in Hallen dieser Größe hätte hochspielen können.

Das alte Hollywood endete, als seine Distanz aufgebrochen wurde und neue Filmmacher auf den Plan traten, die den direkten Kontakt zum Alltag seines Publikums suchten statt Traumwelten zu inszenieren. Wäre Lana Del Rey ein Filmstar in den 1960ern gewesen, ihre Karriere hätte diesen Wandel vermutlich überlebt.

Setlist

13 Beaches / Cherry / Scarborough Fair / Pretty When You Cry / White Mustang / Born to Die / Burnt Norton / Blue Jeans / Happy Birthday, Mr. President / National Anthem / Dark Paradise / Lust for Life / Change / Black Beauty / Young and Beautiful / Ride (angespielt) / Video Games / Yayo / Gods and Monsters / Serial Killer / Honeymoon / Ultraviolence / Summertime Sadness / Get Free (angespielt) / Off to the Races

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