Brad Mehldau (live in Heidelberg 2017) © Manfred Rinderspacher
Es gab eine Zeit, als man in Europa Jazzpianisten Konzertflügel vorenthalten hat. Die edlen und teuren Instrumente waren nach dem Willen der Konzerthäuser den klassischen Pianisten vorbehalten.
Mit edlem Instrument
Das ist heutzutage glücklicherweise anders und so kann Brad Mehldau sein Solo-Konzert in der fast ausverkauften Stadthalle Heidelberg bei Enjoy Jazz 2017 auf einem hochwertigen Steinway-Flügel spielen.
Auf diese Weise erhalten die Zuschauer die Möglichkeit, das nuancenreiche Spiel des Pianisten in allen Details nachzuvollziehen. Von tosenden Akkordfolgen bis hin zu lyrischer Zärtlichkeit vermag Mehldau alle Register in der Königsdisziplin des Jazz zu bespielen.
Kreative Songauswahl
Die Auswahl des Songmaterials ist ebenso vielfältig und kreativ. Mehldau beginnt mit einer eher abstrakten selbstkomponierten Version, bevor er eine Reihe von Pop/Jazz-Standards spielt. Unter diesen ragt besonders "When I Fall I Love" heraus, ein Lied, das auch von Doris Day, Nat King Cole und zahlreiche modernen Sängern und Sängerinnen aufgenommen wurde.
Außerordentlich hörenswert ist außerdem Mehldaus Interpretation von "West Coast Blues", eine Komposition des großartigen Gitarristen Wes Montgomery. Mehldau ist ein Meister darin, Spannung aufzubauen und anschließend wieder aufzulösen – wahrlich kein neues Konzept der Musik, aber in Form seines Klavierspiels doch außerordentlich erfüllend.
Zurück in die 1970er
Das zentrale Stück des Abends, das auch den meisten Applaus erhält, ist ein Cover von Led Zeppelins "Going To California". Mehldau widmet es den Opfern der verheerenden Waldbrände und erklärt, er habe es zum ersten Mal gespielt, was freilich unzutreffend ist.
Dennoch kann die lange Interpretation der Verdeutlichung der Stärke des Konzerts dienen. Mehldau kostet die charakteristische Melodie des Stücks minutenlang auf, bevor er zu einer ausgedehnten Exkursion durch den Golden State aufbricht, mit allen Höhen und Tiefen, die eine solche musikalische Reise zu bieten hat.
Ausloten der Abgründe
Mit "The Needle And The Damage Done" von Neil Youngs viertem Soloalbum "Harvest" bleibt Mehldau dem 1970er-Jahre-Thema treu und man fragt sich, ob es einen Kommentar zur katastrophalen Heroin-Epidemie bildet, der die USA derzeit erschüttert.
Mehr Abgründiges folgt mit einer von Mehldaus berühmten Radiohead-Interpretationen. Seine Wahl fällt diesmal auf "Little By Little" vom nicht wirklich gelungenen "The King Of Limbs". Aber Mehldau gelingt es, die düsteren, verstörenden Seiten auszuloten und doch die melodische Stärke nicht zu vergessen, deren Zusammenspiel die Musik von Radiohead so einzigartig macht.
Auf der Höhe bleiben
Als zweite Zugabe spielt Mehldau ein Cover von Paul McCartneys "Blackbird", vermutlich dem schönsten Lied, das der Liverpooler je geschrieben hat. Mehldau bleibt eng an der melodischen Grunstruktur des Liedes und liefert so eine bezaubernd schöne Interpretation.
Zu diesem Zeitpunkt stehen die Zuschauer längst und feiern Mehldaus Auftritt. Dieser bedankt sich und lobt das Festival, das er fast jährlich besucht. Aber wie Rainer Kern zu Anfang sagt: Bei einem Künstler von der Bedeutung Brad Mehldaus ist es stets interessant herauszufinden, welche musikalischen Ideen er gerade verfolgt.
Setlist
(Improvisation) / It's Alright With Me / When I Fall In Love / West Coast Blues / Going To California / The Needle And The Damage Done // Little By Little // Blackbird // ?