Das A Summer's Tale Festival in der wunderschönen Lüneburger Heide bildete in diesem Jahr zum dritten Mal in Folge eine Alternative zum klassischen "Abriss-Festival" – und das mit Erfolg. Mit seinem Programm "Music and Nature - Art and Leisure" und der Ausdehnung über vier Tage unter der Woche bietet sich das Festival als Urlaubsalternative anstatt ausgiebigem Wochenendprogramm an. Für Erholung sorgen das auf vier Tage gestreckte Musikprogramm eines sonst zweitägigen Festivals, Workshops, Yoga und Co. und natürlich die idyllisch gelegene Location.

Dieses Konzept spricht gekoppelt mit einem vielseitigen Kinder- und Naturerlebnisprogramm nicht nur sogenannte "Hipster" und "Ökos", sondern in erster Linie auch junge Familien an. So wird der eigentlich recht hohe Altersdurchschnitt wieder drastisch gesenkt und eine allgemein rücksichtsvolle, friedliche Atmosphäre geschaffen.

Das geht gut los

Den musikalischen Auftakt bildet die junge Band Mister&Mississippi aus den Niederlanden, die direkt sämtliche Erwartungen übertrifft. Schade nur, dass die musikalisch sehr reife Band mit wuchtigen Folksongs vor recht kleinem Publikum spielen muss: Es ist Anreisetag und noch nicht viel los zwischen den Bäumen vor der Waldbühne. Diese Gelegenheit will genutzt sein, also nichts wie los einen ersten Eindruck vom außermusikalischen Programm erhaschen!

Achtung Kinder!

Für erste Auflockerung soll das Comedy-Format Nightwash sorgen, dessen auf die Bühne geladene Gäste sich jedoch im Voraus nicht ausreichend über das Festival informiert zu haben scheinen. Dass das Programm beider Comedians auf Peniswitze und Co. aufbaut, kommt weder bei den zahlreichen Kindern noch bei deren Eltern sonderlich toll an. Danach also lieber das unangenehme Fremdschamgefühl beim gut besuchten Madison-Tanzworkshop abschütteln.

Wem das nicht reicht, kann sich danach bei einer Thai Yoga Massage entspannen oder bei einem Woodworking-Workshop seinen individuellen Festivalhocker bauen. 

"Die beste Band auf der Lichtung"

Am Mittwoch wird das Musik-Programm regional gehalten, Heimspiel haben Bernd Begemann & die Befreiung und Die Sterne, Urgesteine der Hamburger Musikszene und Pioniere der sogenannten Hamburger Schule. Während Bernd Begemann und seine Combo noch durch ihre vollkommen "unoptimierten" Entertainer-Qualitäten und den charakteristischen Begemann-Charme das Publikum packen, können sich beim Sterne-Konzert eher nur echte Sterne-Fans begeistern.

Umso mehr begeistern können sich die Festivalbesucher für gemeinsames Grölen der beliebtesten Pop- und Rocksongs der letzten vierzig Jahre, sodass das parallel zu den Sternen stattfindende Massenkaraoke mit exzellenter Live-Band im "The Tales-Café" aus allen Nähten platzt. 

Oliven zum Frühstück

Am Donnerstag eröffnet der tonnenweise Oliven essende William McCarthy das Musikprogramm. Dank seines Kommunikationstalents und seines Humors schafft es der wie ein großer emotionaler Bär wirkende Wahl-Berliner aus den USA, das Publikum trotz seiner teils sehr tiefgründigen Songs nicht in Depressionen zu stürzen.

Während A Tale of Golden Keys mit ihrem seichten Pop eher nicht lange im Gedächtnis hängen bleiben, beweist die junge Australierin Tash Sultana, dass man schon als Newcomer mit Anfang zwanzig seinen ganz eigenen Sound haben kann. Kein Instrument ist vor der Multiinstrumentalistin mit scheinbar doppeltem Energievorrat sicher. Am Ende hinterlässt sie ein jubelndes und gleichzeitig ungläubig kopfschüttelndes Publikum.

Das groovt

Bei makellosem Festivalwetter eröffnen Cigarettes after Sex am Donnerstag Nachmittag die Hauptbühne des Festivals. Das Ambient-Projekt um Greg Gonzalez sorgt dank seines Namens für Kopfkino, während man in der Sonne im Gras liegt und das Festival genießt. Wenn das nicht "Entschleunigung" ist.

Genauso groovend geht es mit Thomas Dybdahl aus Norwegen weiter. Mit seiner stilbewussten Band und einer angenehmen Portion Südstaaten-Sound bereitet der Mann mit der "Wunderbraue" das Publikum auf den folgenden Auftritt vor.

Calm without a storm

Die Musik der inzwischen zum Quartett angewachsenen The Common Linnets schafft es, die Regenwolken magischerweise am Festivalgelände vorbeizuleiten, sodass die Frontfrau Ilse DeLange und die Sonne ungehindert um die Wette strahlen können. Die erfahrenen Musiker bauen in nur einer Stunde eine herzliche Nähe zum Publikum auf und sorgen für Euphorie.

Danach überraschen die unscheinbaren Jungs um den noch unscheinbareren Dan Croll mit ihrem kurzweiligen funky Stilmix, kreativen Arrangements und vor allem ihrem sicheren mehrstimmigen Gesang im "Zeltraum". 

Zarte Frau, wuchtige Songs

Mit einer entrückten Performance wie von einem anderen Planeten zieht PJ Harvey als erste Headlinerin in ihren Bann. Mit ihrer neunköpfigen Band und gleichzeitigem Männerchor, Saxophontrio und wuchtigem Schlagwerk bleibt für eine Stunde die Zeit stehen.

Wem PJ Harvey zu gewöhnungsbedürftig ist, der kann sich mit Johnossi austoben. Die Schweden prophezeihen "magic's gonna happen tonight" und bringen sogar kleine Pogos zustande. Damit hätte auf dem A Summer's Tale wohl niemand gerechnet. 

Where is my mind

Der Rockband für die eher Jüngeren folgt die Indie-Band für die Älteren: Mit den Pixies hat sich das Summer's Tale eine DER Ikonen der Neunziger exklusiv nach Deutschland geholt.

Während nur wenige Fans der alten Tage tatsächlich textsicher den Auftritt feiern, wartet die jüngere Generation hauptsächlich auf den einen Hit, der sich die dreißig Jahre seit der Gründung der Band im Kanon der großen Indie-Songs gehalten hat: "Where Is My Mind".

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Put on your dancing boots!

Während am Donnerstag Nachmittag ein Festivalbesucher noch meint: "Jetzt könnten die Bands doch langsam mal ein bisschen mehr abgehen" stehen am Freitag mit der ansteigenden Anzahl von Tagesbesuchern auch Bands auf den Bühnen, deren Musik mehr in die Beine geht.

Den Höhepunkt bilden dabei ein Urgestein der deutschen Indie-Szene The Notwist und der Headliner des Tages: Franz Ferdinand. Beide reißen mit ihrem jeweils ganz eigenen, charakteristischen Stil und ihrer Bühnenerfahrung die Menge mit und erreichen Besucher-Höchstzahlen. 

Wir bleiben uns treu

Dennoch bleibt das Festival seinem entspannten Musikgeschmack mit Hang zu avantgardistischen Ansätzen treu und lädt sich mit Get Well Soon eine Band ein, die der pünktlich zum Nachmittagsprogramm herauskommenden Sonne den perfekten Soundtrack bietet. Die Band um Konstantin Gropper hat von ihrem Konzert vor zwei Jahren beim A Summer's Tale noch etwas gut zu machen, mit Erfolg.

Auch Dear Reader glänzen durch ausgefeilte Arrangements, die vom Ideenreichtum und der "tightness" der aus Russland stammenden Schlagzeugerin getragen werden. Die Multikulti-Band um die in Berlin lebende, aber aus Südafrika stammende Frontfrau Cherilyn MacNeil zieht das Publikum mit ihrem synthielastigen Indie-Pop vom ersten Ton an in ihren Bann.

Was ist denn noch autenthisch?

Das ist eine schwierige Frage, die am Freitag aber mit einer einfachen Antwort beantwortet werden kann: Conor Oberst. Bei dem Singer-Songwriter aus Nebraska geht es nur um die Musik; reibungslose Bühnenabläufe und "ein Künstler zum Anfassen"-Anforderungen der Social Media-Zeiten sind ihm egal.

Ohne Klick im Ohr und ohne Backing Track liefert die Band ein unglaublich energetisches und voll dynamisches Konzert. Da sitzt vielleicht nicht jeder Ton perfekt, dafür entsteht ein intensiver Auftritt der das gesamte Publikum mitreißt. Ein Highlight!

Verkehrte Welt

"Es ist uns noch nie passiert, dass wir auf einem Festival eine der härtesten Bands sind, sonst ist das immer andersrum!", so Von Brücken-Frontmann Nicholas Müller. Der in den vergangenen Monaten stark eingegangene Sänger scheint mehr Energie zu haben denn je, vielleicht liegt das auch an dem überraschend euphorischen Publikum.

Während Von Brücken sich die Bühne zu eigen machen, machen die Musiker um die bezaubernde Birdy den Eindruck, als ob sie auf die Bühne gezwungen worden wären. Gesanglich übertrifft die junge Engländerin jedoch alle Erwartungen und zieht das Publikum vor allem bei den Balladen am Klavier in ihren elfenhaften Bann.

Morgentoilette

Egal ob man seinen Tag lieber mit Yoga, einem Film oder einfach in Ruhe ausschlafend beginnt, hier kann jeder machen wie er will. Der Lautstärkepegel hält sich auf dem Campingplatz allgemein unter Schulhofniveau.

Ein Film zum Frühstück hat was: man hat schon eine ganze neue Welt kennengelernt, wenn man aus dem "Zeltraum" auf ein noch verschlafenes, gemütlich aufwachendes Festivalgelände tritt. Und Yoga auf der Sonnenwiese zwischen rauschenden Bäumen und dem Lehrer wie einem Propheten leicht erhöht auf einem kleinen Hügel... wenn das nicht Idylle wie aus dem Märchen ist!

Und apropos Toilette: warum gibt es nicht bei jedem Festival die umweltfreundlichen und gleichzeitig viel besser riechenden Komposttoiletten von Goldeimer mit Holzspänespülung?

Mächtige Sounds

In der Tradition von Cigarettes After Sex, Thomas Dybdahl oder Get Well Soon eröffnet mit Blaudzun am letzten Festivaltag eine weitere echte "Summer's Tale-Band" das Musikprogramm. Ursprünglich als Singer-Songwriter begonnen, reißt der Niederländer mit seiner vielköpfigen Band und wuchtig-sphärischem Sound das Publikum mit.

Mit Rhonda steht noch eine Hamburger Band auf einer Summer's Tale-Bühne. Die Neo-Soul-Band um Sängerin Milo Milone überzeugt mit ihrem Sixties-Sound zum Reinlegen und leidenschaftlicher, teilweise an James Bond-Titelsong erinnernder Dramatik und schafft es an einem allgemein grauen Samstag, die Sonne hervorzulocken. Hoppla klingt da etwa gerade ein bisschen Amy Winehouse durch?

Dancing in the rain...

Dass die Stimmungsgaranten Electric Swing Circus aus Birmingham überhaupt auftreten konnten, grenzt an ein Wunder: Bei ihrem Flug nach Deutschland gingen alle Instrumente der Band verloren. Besonders glücklich über den Electro-Swing dürften alle Teilnehmer der täglich stattfindenden Madison- und Swing-Tanzkurse sein, die nun ihre neu erworbenen Tanzschritte auspacken können. Aber auch den Tanzlaien geht die Musik direkt in die Beine, so ausgelassen wurde nachmittags noch nie im randvollen Zeltraum getanzt.

Bear's Den müssen die Nachsicht des Wetters der vorherigen Tage im wahrsten Sinne des Wortes ausbaden. Während trotz düsterer Vorhersagen der große Regen bisher ausblieb oder bis zur Nacht wartete, reißen pünktlich zu Konzertbeginn der Folk-Pop-Band die Himmelsschleußen. Nur wenige Hardcorefans und Regencape-Besitzer versammeln sich zunächst vor der Hauptbühne.

Alles Optimisten

Zwei Größen und mehr oder weniger alte Hasen der deutschen Musikszene stehen am Samstag auf dem Programm: Judith Holofernes und Element of Crime.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder man mag die Musik von Judith Holofernes oder man kann sie auf den Tod nicht ausstehen. Sie selbst muss man aber lieben.

Die charmante Sängerin und Wortakrobatin präsentiert eine Mischung aus älteren und vor allem neueren Songs und Gedichten und spielt ungeniert und ausgelassen ungewöhnlich viele Cover. "Wer in diesem Sommer auf ein Festival geht, ist ein unerschütterlicher Optimist". Recht hat sie.

Ultra-liberal

Element of Crime sind zwar älter geworden, der musikalischen Qualität ihres Auftritts tut das jedoch keinen Abbruch. Sie sind "ultra-liberale Leute" und spielen deshalb von allem etwas, damit für jeden was dabei ist.

Es fällt auf, wie bunt gemischt die meistens leise und manchmal laut mitsingende Fangemeinde im Publikum ist. Am Ende hinterlassen sie jedenfalls eine nachdenkliche und vielleicht auch ein bisschen erfülltere Zuhörerschaft.

Das Beste zum Schluss

Highlight und Headlinerin zugleich: die Kanadierin Feist fasst mit ihrem atemberaubenden Konzert am Samstagabend das Festival mit all seinen charakteristischen Qualitäten zusammen: Der Sinn für Ästhetik, die Liebe ins Detail, die Leidenschaft und der Zugang zu teils nicht locker-flockig zugänglichen Songs zum Mitdenken durch ehrliche Herzlichkeit...

Und dann ist da natürlich noch diese Stimme, die jeden Ton zum Abheben und Schweben bringt. "Die hat was besonderes, die versprüht was...", flüstert es von allen Seiten.

Friede, Freude, Eierkuchen

Hipster-Festival hin oder her, mit einer Beobachtung hatte Get Well Soon-Frontmann Konstantin Gropper in jedem Fall recht: Das A Summer's Tale ist wohl das einzige Festival, bei dem man danach erholter aussieht als zuvor!

Mit Lampions in den Zelten, beleuchteten Bäumen und bunt gestalteten, kaum als solche erkennbaren Mülleimern steckt beim A Summer's Tale eindeutig die Liebe im Detail. Und wer keine Lust auf Kindergeschrei im Urlaub hat, muss sich dem Fakt stellen, dass selten so viele glückliche Menschen an einem Ort zu beobachten sind.

Und was bleibt?

Kein bisschen Müll liegt am Abreisetag auf dem Boden. Nur eine Menge zertrampeltes Gras zeugt am Ende davon, dass hier etwa zwölftausend Menschen fast eine Woche lang in tatsächlicher Harmonie zusammenlebten und natürlich etwa zwei Marmeladengläser voll Erinnerungen pro Person – mindestens!

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